Die nächste Ebene erklimmen: Deutsches Netzwerk Systembiologie der Leber (Virtual Liver Network)

Im April 2010 ging in Deutschland ein ehrgeiziges Projekt an den Start: Das Deutsche Netzwerk Systembiologie der Leber. Initiiert wurde dieser einzigartige interdisziplinäre Forschungsverbund vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das in den kommenden fünf Jahren rund 43 Millionen Euro zur Finanzierung des Vorhabens zur Verfügung stellen wird.

Es handelt sich weltweit um das einzige Forschungsnetzwerk seiner Art, das von einer einzelnen nationalen Einrichtung in der Systembiologie finanziert wird. Ziel des Netzwerkes ist, die Leber als vollständiges Organ mit seinen vielfältigen und lebenswichtigen Funktionen in einem Computermodell darzustellen. So soll es gelingen, die Prozesse in der Leber besser zu verstehen und passgenaue Medikamente zu entwickeln.

Biochemische Fabrik im Körper
Die Leber ist ein einzigartiges Organ: Als zentrales Stoffwechselorgan der Wirbeltiere baut sie täglich über 10.000 Substanzen auf, um oder ab. So trägt sie zur Nahrungsverwertung und zur Entgiftung des Körpers bei. Sie unterstützt das Verdauungssystem, kontrolliert den Eisenhaushalt, und synthetisiert lebenswichtige Eiweißstoffe wie beispielsweise Gerinnungsfaktoren. Ihr Stoffwechsel ist zudem ein wichtiger Faktor, den es bei der Medikamentenentwicklung zu berücksichtigen gilt: Er ist entscheidend für die Wirksamkeit und Toxizität von Medikamenten. Die Arbeit des Netzwerks zur Erforschung der Leber und ihren Funktionen ist daher von großer Relevanz für die Medizin und die Pharmaindustrie.
Mit Systembiologie in die Zukunft
Um ein Gesamtbild der Leber und der vielfältigen dynamischen Prozesse im Organ zu erhalten, setzen die Forscher des Netzwerks auf die Systembiologie. Dieser Wissenschaftszweig widmet sich der Erforschung biologischer Prozesse auf der Systemebene. Er will ein Gesamtbild schaffen von den dynamischen Vorgängen des Lebens unter Einbeziehung sämtlicher Ebenen – vom Genom über die Gesamtheit der Proteine bis hin zur kompletten Zelle oder gar einem vollständigen Organismus. Dazu verknüpft die Systembiologie quantitative Methoden aus der Molekular- und Zellbiologie mit dem Wissen und den Werkzeugen aus Mathematik, Informatik und Systemwissenschaften. „Die Systembiologie kann den Transfer aus der Forschung zum Patienten beschleunigen und in der Medikamentenentwicklung auch Kosten sparen. Sie ist deshalb Schlüsseltechnologie und Innovationsmotor für eine zukünftige individualisierte Medizin“, betont Bundesforschungsministerin Annette Schavan die Bedeutung dieser Forschungsdisziplin in einer Pressemitteilung des BMBF im Juli 2010.
Von der Zelle zum ganzen Organ
In den letzten Jahren hat sich das HepatoSys-Netzwerk intensiv mit der Systembiologie der Leberzelle befasst. Auf dieser Basis strebt jetzt das Nachfolgeprojekt Deutsches Netzwerk Systembiologie der Leber ein Verständnis der Vorgänge in Zellverbänden bis hin zum ganzen Organ an. Für dieses ehrgeizige Vorhaben haben sich bundesweit 70 Arbeitsgruppen aus 41 Institutionen in Wissenschaft und Wirtschaft zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen die Beteiligten die Leber als wichtigstes Stoffwechselorgan des Körpers mit ihren Funktionen und Krankheitsmechanismen erfassen und als integrierte Modelle im Computer darstellen. Die Modelle helfen Vorhersagen über die Physiologie der Leber, ihre Funktionsweise als Organ und ihre Krankheitsmechanismen zu machen, und diese im Experiment zu überprüfen. Das trägt schließlich entscheidend dazu bei, neue Ansatzpunkte für Therapien zu finden und vorauszuberechnen, wie sich Wirkstoffe im Organ verteilen, wo sie angreifen und wie schnell sie abgebaut werden. So lassen sich Medikamente gezielter, effektiver und kosteneffizienter entwickeln – auch im Hinblick darauf, die optimale Dosis für den Patienten zu bestimmen.
Weltweiter Vorreiter
Das Deutsche Netzwerk Systembiologie der Leber ist das weltweit erste Projekt, das ein Computermodell eines vollständigen Organs anstrebt und dabei von Anfang an sämtliche Ebenen – von den molekularbiologischen und biochemischen Vorgängen bis zur Anatomie des gesamten Organs – berücksichtigt und in die Simulation mit einbezieht. „Die Herausforderung ist groß, doch wir freuen uns darauf, sie anzunehmen und nicht nur das Verständnis der Leber voranzutreiben, sondern dem gesamten Bereich der systembiologischen Forschung wichtige Impulse zu geben. Unser Ziel ist es, ihre Bedeutung für die Medizin zu zeigen“, sagt Adriano Henney, Programmdirektor des Deutschen Netzwerkes Systembiologie der Leber (German Virtual Liver Network).

Media Contact

Sabine Trunz idw

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