Die Schatten des jüdischen Traumes: Palästina von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung Israels

Der Nahost-Konflikt beherrscht weiterhin die internationalen Schlagzeilen: Im Kampf um die Vorherrschaft im Heiligen Land scheint sich die Gewalt gegenüber der Politik durchzusetzen; sie überschattet alle Formen des Neben- und Miteinanders von Arabern und Juden. Bislang wurde die Geschichte Palästinas häufig von ihrem Ausgang, das heißt der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, geschrieben. Einen neuen Ansatz unternimmt die „Geschichte Palästinas“ der FU-Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer, die das Schicksal der arabischen Bevölkerung Palästinas von Beginn der osmanischen Herrschaft bis zur Gründung des Staates Israel packend analysiert.

Palästina gilt den Anhängern der drei monotheistischen Weltreligionen – Juden, Christen und Muslimen – als „Heiliges Land“, auf das sie, wenn auch in je eigener Form, Anspruch erhoben, selbst wenn sie dort nicht ihren Lebensmittelpunkt hatten. Im 16. Jahrhunderten eroberten die Osmanen Palästina, das für sie vor allem als Durchgangsland auf dem Pilgerweg nach Mekka Bedeutung hatte. Im Rahmen des islamischen Gesetzes, der Scharia, genossen Christen wie Juden als „Dhimmis“ (Schutzbefohlene) dort einen gesicherten, wenn auch untergeordneten Rechtsstatus. Während der kurzen Zeit der ägyptischen Besetzung in den Jahren 1831-40 gelangten verstärkt europäische Diplomaten, Missionare, Pilger und Forscher nach Palästina, das sich im Zuge der osmanischen Tanzimat-Reformen von den 1860er Jahren zusehends öffnete und auf unterschiedlichen Gebieten modernisierte.

Von den 1880er Jahren an verstärkte sich auch die jüdische Einwanderung nach Palästina. Anders als zuvor stand sie unter nationalen, zionistischen Vorzeichen und strebte den Aufbau eines jüdischen Gemeinwesens im „Land Israel“ (Eretz Israel) an. Die Einwanderer kamen nicht nur aus Europa, sondern auch aus dem Jemen, aus Kurdistan und Nordafrika. Sie kauften Land, teilweise illegal, von der arabischen Bevölkerung und legten erste landwirtschaftliche Siedlungen an. Rasch etablierten sich auch in den Städten jüdische Einrichtungen, wie ein Amtsgericht, eine Krankenkasse, eine Bibliothek, die ersten Oberschulen, Theatergruppen, Zeitungen und Sportvereine. Außerdem begann sich das Ivrit, das moderne Hebräisch, langsam durchzusetzen. Einzelne arabische Bauern, Journalisten und Notabeln widersetzten sich – ohne großen Erfolg – dem Landverkauf an jüdische Siedler, die osmanische Regierung versuchte ihn nach Kräften einzudämmen. Nicht nur als Folge der verstärkten jüdischen Zuwanderung verlagerte sich das wirtschaftliche Zentrum des Landes allmählich vom Innern an die Küste; neue Verkehrsverbindungen wurden geschaffen, die landwirtschaftliche Fläche ausgeweitet, neue Kulturen wie die berühmte Jaffa-Orange angebaut und exportiert.

Die Situation der arabischen Bevölkerung änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg und der anschließenden Mandatszeit grundlegend. Die Briten verfolgten in Palästina zunächst ihre eigenen Interessen, unterstützten im Rahmen der Balfour-Erklärung und des Mandatsvertrags auch das jüdische Aufbauwerk, verstanden sich aber als „guter Makler“ zwischen Arabern und Juden. Die politischen und kulturellen Gegensätze zwischen den beiden Gemeinschaften konnten sie nicht überbrücken. Für die patriarchalisch verfasste arabische Bevölkerung bedeutete das Verhalten europäischer Einwanderer (insbesondere jüdischer Pionierinnen) eine Provokation, die gegen eigene Vorstellungen von Sitte und Anstand verstieß. In Palästina bildeten sich zwei immer deutlicher voneinander abgegrenzte Gesellschaften, eine jüdisch/zionistische und eine arabisch/islamische, die unter britischer Herrschaft ihre eigenen Strukturen und Institutionen ausbildeten.

Während des Zweiten Weltkrieges spitzten sich die Konflikte im Nahen Osten zu. Geschockt vom Ausmaß des Holocaust gab die Weltgemeinschaft dem Drängen jüdischer Organisationen nach, in Palästina nicht nur eine jüdische Heimstätte, sondern einen jüdischen Staat zu gründen. Ab 1946 setzte ein Zustrom jüdischer Einwanderer aus den „displaced persons-Lagern“ ein. Dabei scheuten sich einzelne Untergrundorganisationen wie Irgun, der der spätere israelische Premierminister Menachem Begin angehörte, nicht, zur Durchsetzung ihrer Ziele militärische Gewalt und Terror gegen die britische Mandatsmacht und die arabische Bevölkerung einzusetzen. Die Briten übergaben das Land 1947 den Vereinten Nationen, die im November einen Teilungsplan für Palästina verabschiedeten. Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen und unmittelbar danach von seinen arabischen Nachbarstaaten militärisch angegriffen. Schon zuvor hatte die Massenflucht und -vertreibung der arabischen Einwohner aus den Zonen eingesetzt, die von den Vereinten Nationen dem neuen Staat Israel zugesprochen worden waren oder aber für diesen strategische Bedeutung besaßen. Den Krieg mit den arabischen Nachbarstaaten beendeten 1949 einzelne Waffenstillstandsabkommen. Die Flucht und Vertreibung der Palästinenser hingegen schuf ein Problem, das bis heute ungelöst ist. Während sich der Traum eines eigenen Staates für die Juden erfüllte, wirkte er für die Araber als Trauma.

Informationen:
Prof. Dr. Gudrun Krämer, Institut für Islamwissenschaft der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-52487, E-Mail: gkraemer@zedat.fu-berlin.de 

Literatur:
Gudrun Krämer: „Geschichte Palästinas“, München: Beck, 2002, ISBN 3406476014, 14 Abb., Euro: 17,90

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Hedwig Görgen idw

Weitere Informationen:

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