"Freispruch" für Gen unter Schizophrenie-Verdacht

Knapp ein Prozent aller Deutschen leidet unter Schizophrenie. Die Anlage, an dieser schweren psychischen Störung zu erkranken, wird vererbt; verschiedene Studien deuten darauf hin, dass eine Erbanlage auf Chromosom 1 für den Ausbruch der Krankheit mitverantwortlich ist. In der bisher größten Kontrollstudie, die in der Mai-Ausgabe der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science publiziert wird, kommen die Forscher jedoch zum Schluss, dass das Kandidatengen eine geringere Rolle spielt als erwartet. An der Studie sind Zentren aus Amerika, Australien und Europa beteiligt, darunter auch die Klinik für Psychiatrie der Universität Bonn.

Schizophrene können nicht zwischen Einbildung und Wirklichkeit unterscheiden; sie fühlen sich verfolgt, hören Stimmen, die ihnen Befehle erteilen, oder sehen Dinge, die außer ihnen niemand wahrnimmt. Die Krankheit verläuft meist in Schüben; nahezu beschwerdefreie Perioden wechseln mit Phasen, in denen die Wahnvorstellungen überhand nehmen. Die Medikamente, die heute zur Verfügung stehen, haben unangenehme Nebenwirkungen; die Auswirkungen der Erkrankung erstrecken sich auch auf das soziale Umfeld der Betroffenen.

Häufig kommt Schizophrenie in besonderen Stresssituationen zum Ausbruch; die Anlage scheint aber in hohem Maße erblich zu sein: Ist bei eineiigen Zwillingen der eine schizophren, erkrankt der andere mit einer Wahrscheinlichkeit von 45 bis 60 Prozent ebenfalls. In zahlreichen Studien versuchen Wissenschaftler weltweit, die Erbanlagen, die zur Entstehung dieser schweren psychischen Störung beitragen, zu identifizieren, um wirksamere Therapien entwickeln zu können. Als ein heißer Kandidat für den Sitz eines dieser Gene galt dabei bislang die Region 1q auf Chromosom 1.

Die an der Studie beteiligten Wissenschaftler haben nun an 779 Familien mit 1918 Schizophrenie-Patienten überprüft, ob diese Hypothese zutrifft. Sie nutzten dazu die Beobachtung, dass nebeneinander liegende Gene häufig gemeinsam vererbt werden – und zwar um so wahrscheinlicher, je geringer die räumliche Distanz zwischen ihnen ist. Ist also beispielsweise der Vater Träger eines Gens, das Schizophrenie auslösen kann, die Mutter aber gesund, sollten bei einem betroffenen Kind auch die DNS-Sequenzen rund um das „Schizophrenie-Gen“ mit größerer Wahrscheinlichkeit vom Vater stammen – ein Effekt, der als „Kopplung“ bezeichnet wird.

Die Forscher untersuchten die Vererbung von insgesamt 16 DNS-Sequenzen auf Chromosom 1q. Keine dieser Gensequenzen wird in den untersuchten Familien gekoppelt mit der Schizophrenie-Erkrankung vererbt. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Region auf Chromosom 1q bei der Entstehung von Schizophrenie eine größere Rolle spielt, bewerten wir daher als gering“, erklärt Dr. Sibylle Schwab von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn.

Damit widerspricht die Studie den Ergebnissen finnischer, kanadischer und schottischer Arbeitsgruppen, die sehr wohl auf eine Beteiligung von Chromosom 1q hindeuten. Die Patientenzahlen waren in allen drei Studien aber deutlich niedriger; zudem stammten die Betroffenen jeweils aus derselben Region, so dass von einer wesentlich geringeren genetischen Heterogenität ausgegangen werden kann.


Ansprechpartner für die Medien: Dr. Sibylle G. Schwab und Dr. Dieter B. Wildenauer, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Bonn, Tel.: 0228/287-2352, Fax: 0228/287-2617, E-Mail: schwab@uni-bonn.de bzw. wildenauer@uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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