Plasma plus Zelle

Interdisziplinäre Zusammenarbeit des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie Greifswald e.V. (INP) mit dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin (IHU) und dem Institut für Pharmazie (IPh) der Greifswalder Universität.

Klaus-Dieter Weltmann (INP), Axel Kramer (IHU), Ulrike Lindequist (IPh)
Der Fortschritt der modernen Lebenswissenschaften, allen voran der Medizin, ist in starkem Maße durch Innovationen bestimmt. Diese werden nicht allein durch das Voranschreiten des Basiswissens in Medizin und Biologie an sich ermöglicht, sondern auch durch die Fortschritte vielfältiger anderer, mitunter sogar zunächst sehr artfremd erscheinender Wissensgebiete und Technologien. Mikrosystemtechnik und Mikroelektronik, Laser und Optik, neue Werkstoffe und Biomaterialien sowie Nanotechnologie haben sich zu Schlüsseltechnologien entwickelt, ohne die der Fortschritt in den Lebenswissenschaften nicht denkbar wäre.

In den letzten Jahren hat sich auch die Plasmatechnologie zu einer solchen Schlüsseltechnologie für medizinische und biologische Applikationen entwickelt. Physikalische Plasmen sind ionisierte Gase, von denen je nach Zusammensetzung unterschiedliche Wirkungen ausgehen können. Ein gewichtiger Vorteil von Plasmen liegt in ihrer hohen selektiven Reaktionsfähigkeit. Bei Niedertemperaturplasmen im Bereich des Atmosphärendrucks treten nur geringe thermische Belastungen von Substraten auf. Das macht diese Plasmen auch für die Behandlung von thermolabilen Materialien für medizinische und biotechnologische Anwendungen interessant. Typische Anwendungsfelder sind die Beschichtungen von Knochenimplantaten zur Biologisierung bzw. Verschleißminderung, die Dekontaminierung von Oberflächen, z. B. von Primärpackmitteln in der Pharmaindustrie sowie die Funktionalisierung von Oberflächen.

Plasma hilft heilen

Mit einer Häufigkeit von 3,5 % Neuerkrankungen gehören akute Wundinfektionen in Europa und Nordamerika zu den wichtigsten Komplikationen der akuten traumatischen Wunde. Darüber hinaus leben allein in Deutschland 4,5 bis 5 Millionen Menschen mit schlecht heilenden, chronischen Wunden. Etwa 5 % aller stationären Patienten in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen sind Patienten mit chronischen Wunden. Bei Druckgeschwüren (Ulcus decubitus) beträgt die Prävalenz unter stationären Patienten in Österreich und Deutschland sogar etwa 10-25 %, in Rehabilitationseinrichtungen etwa 30%. Neben der häufig erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität verursacht die Behandlung chronischer Wunden allein in Deutschland jährlich Kosten von mehr als 5 Mrd. EUR.

Davon werden allein 2 Mrd. EUR aufgrund der verlängerten stationären Krankenhausaufenthalte um durchschnittlich 2 Monate verursacht. Mikrobielle Infektionen sind eine häufige Ursache für Komplikationen bei der Wundheilung, wodurch die Gewebereparation massiv behindert und verzögert wird. Das kann zu einer Chronifizierung der Wunde führen. Bei einer Infektion ist die effektive Wundantiseptik Voraussetzung für den ungestörten und komplikationslosen Heilungsprozess. Aus den bisherigen Untersuchungen zur antimikrobiellen Wirksamkeit von Atmosphärendruckplasmen ist bekannt, dass damit auch Erreger von Wundinfektionen abgetötet werden und Plasmen damit eine antiseptische Wirkung entfalten können. Aber Plasma kann möglicherweise noch mehr als „nur“ das.

Plasmatis – mit Plasma heilen

„plasmatis – mit Plasma heilen“ ist der Slogan einer Initiative, welche in Greifswald ein Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) etablieren möchte. Die ZIK Initiativen laufen im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Programms „Unternehmen Region“. Das Zentrum soll sich in erster Linie mit der Erforschung von Grundlagen der Wechselwirkungen physikalischer Plasmen mit lebenden Zellen und Geweben befassen. Die meisten der bisher bekannten Untersuchungen zu biologischen und medizinischen Plasmaanwendungen sind vor allem unter Applikationsgesichtspunkten bearbeitet worden und überwiegend durch Empirie gekennzeichnet, so dass grundlegende Erkenntnisse zu den Wirkmechanismen weitgehend fehlen. Im Unterschied hierzu wird mit plasmatis erstmals der umgekehrte Weg beschritten, das heißt am Anfang steht die wissenschaftlich begründete Hypothese.

Die geplanten Forschungsarbeiten können dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Dabei sollen nicht nur letale Wirkungen von Plasmen untersucht werden, wie sie bei der Inaktivierung von Mikroorganismen genutzt werden. Viel mehr kann auch eine positive Beeinflussung des Wachstums und der Regeneration von Körperzellen durch eine genau dosierte Plasmaanwendung erreicht werden. Dabei will man sich zunächst auf Möglichkeiten des Einsatzes von Plasmen zur Unterstützung der Geweberegeneration unter spezieller Berücksichtigung der Wundheilung konzentrieren. Das Zusammenspiel der antiseptischen Wirkung mit Unterstützung der Neubildung von gesundem Gewebe ergibt ein breites Spektrum an neuen Fragestellungen, deren Beantwortung ein besseres Verständnis der Vorgänge in lebenden Zellen ermöglichen und zur systematischen Erschließung innovativer therapeutischer Ansätze führen sollen.

Damit ist plasmatis ein einzigartiges Projekt, das von den beteiligten Einrichtungen dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP Greifswald) e.V., dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin, dem Institut für Pharmazie der Universität Greifswald und einem internationalen Beirat getragen wird. Diese Interdisziplinarität ist Ausdruck der großen Komplexität des Untersuchungsgegenstandes. Im Rahmen der Erarbeitung des Strategiekonzeptes für dieses Forschungszentrum fand am 1./2. Oktober 2007 der „1st International Workshop on Plasma Tissue Interactions“ in Greifswald statt. Forscher aus den USA, Großbritannien, Österreich und Deutschland gaben Übersichten über den aktuellen Stand biologischer und medizinischen Plasmaanwendungen, stellten Verfahren der Zell- und Gewebediagnostik vor und diskutierten Möglichkeiten der Nutzung des biologischen und physikalischen Methodenspektrums zur Untersuchung von Plasma-Zell-Wechselwirkungen unter besonderer Berücksichtigung von Wundheilungs- und Geweberegenerationsmechanismen. Bis Ende Februar 2008 haben 12 ZIK- Initiativen (zwei in Greifswald) Zeit, um Strategiekonzepte für den Aufbau leistungsstarker Forschungszentren zu erarbeiten. Die Entscheidung über die Vergabe der Millionenförderung wird durch das BMBF Anfang Juni 2008 bekannt gegeben. Das BMBF stellt hierfür bis zum Jahr 2012 rund 150 Millionen Euro zur Verfügung.

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Liane Glawe idw

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