Der Biologie der Ästhetik auf der Spur

Wenn sich ein Mediziner und ein Informatiker zusammenfinden, um gemeinsam dem Wesen ästhetischen Empfindens der Menschen auf die Spur zu kommen, verspricht das spannend zu werden. Genau diesem Thema widmet sich ein interfakultatives Forscherteam der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Bereits seit Jahren beschäftigt den Neurobiologen Prof. Dr. Dr. Christoph Redies, Direktor des Instituts für Anatomie I und passionierter abstrakter Maler, die Frage, ob es allgemeingültige Regeln gibt, mit denen es möglich ist, Schönes von weniger Schönem zu unterscheiden. In Prof. Dr. Joachim Denzler, dem Lehrstuhlinhaber für Digitale Bildverarbeitung, fand er vor zwei Jahren den kongenialen Partner. Gemeinsam forschen sie seither nach physikalisch messbaren Merkmalen der ästhetischen Wahrnehmung. Jetzt startet ein neues gemeinsames Forschungsprojekt, das die langjährige Forschung weiter voranbringen soll.

„Kunstbilder besitzen ein statisches Merkmal, das man auch in Bildern der Natur findet“, bringt Prof. Redies das Hauptergebnis ihrer bisherigen Untersuchungen auf den Punkt. „Hinter diesem als Skalierungsinvarianz bezeichneten Phänomen verbirgt sich die Tatsache, dass die Frequenzen, also die Anteile hoher und niedriger räumlicher Schwingungen, in etwa gleich bleiben, wenn man in ein Bild hinein- beziehungsweise hinauszoomt“, ergänzt Prof. Denzler. Dieses Prinzip sei jedem Menschen vertraut, der beispielsweise ein Gebirge, eine Wolkenformation oder die Verästelungen eines kahlen Baumes betrachte. Wenn man näher herangehe, kämen immer wieder Strukturen mit ähnlichen statistischen Eigenschaften zum Vorschein, so dass die räumlichen Frequenzen für die Wahrnehmung ungefähr konstant blieben, machen die Jenaer Wissenschaftler deutlich.

Strukturen, die sich wiederholen, aber nie genau gleichen

Bereits 1999 habe der amerikanische Forscher Richard Taylor entdeckt, dass der Künstler Jackson Pollock (1912-1956) – allerdings unbewusst – abstrakte „Klecks-Bilder“ mit ebendiesen Eigenschaften malte, sagt Redies. Er und Denzler fanden nun heraus, dass nicht nur Pollocks Bilder Strukturen aufweisen, die sich wiederholen, aber nie genau gleichen (Fraktalität), sondern auch Hunderte von Bildern aus verschiedenen Epochen westlicher Kulturen, die sie untersuchten. „Diese Beobachtung lässt sich möglicherweise damit erklären, dass das Sehsystem des Menschen im Laufe der Evolution derart optimiert wurde, dass es Eindrücke von komplexen natürlichen Szenen besonders effizient verarbeiten kann“, vermutet das Jenaer Forscherteam. Diese Anpassung – so ihre Hypothese – könnte einer der Gründe sein, warum Menschen das Betrachten der Natur als angenehm und schön empfinden. Eine ähnliche ästhetische Wirkung würden Künstler mit ihren Bildern erzielen. Den Grund dafür, dass Menschen sowohl natürliche Szenen als auch Kunstbilder als schön empfinden können, vermuten die Wissenschaftler in eben jener Optimierung des Sehsystems.

Die ersten Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichen Prof. Redies und Prof. Denzler jetzt in drei internationalen Publikationen. Besondere Anerkennung erfährt sie zudem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die das ungewöhnliche Forschungsprojekt in den nächsten zwei Jahren mit rund 170.000 Euro fördert. „In dieser Zeit wollen wir versuchen, die Bildmerkmale von natürlichen Szenen und Kunstbildern näher zu charakterisieren“, steckt der Gehirnforscher Redies das Ziel ab. Dazu wird es auch Versuche geben, in denen Menschen beurteilen, ob sie das Original oder ein gezielt verändertes Abbild als schöner empfinden. „Daraus wollen wir Modelle entwickeln, die unsere Hypothese entweder bestätigen, vielleicht aber auch widerlegen“, ergänzt der Informatiker Denzler. Wenn es gelinge, mathematisch fassbare Merkmale für ästhetisch wirkende Bilder zu finden und diese mit der biologischen Informationsverarbeitung im Gehirn in Zusammenhang zu bringen, „wäre das nicht nur eine Fußnote in der Wissenschaftsgeschichte, sondern würde uns in die Lage versetzen, die biologischen Grundlagen des menschlichen Schönheitsempfindens genau zu analysieren“, sind sich die Jenaer Forscher sicher.

Der Werbeindustrie eine neue Dimension eröffnen

Auf eine gezielte Anwendung sind die Grundlagenforschungen der Jenaer Wissenschaftler naturgemäß nicht ausgerichtet. Sollten sich ihre Annahmen jedoch bestätigen, könnte das beispielsweise der Werbeindustrie ganz neue Dimensionen eröffnen. „Auf der Basis der von uns entwickelten Modelle könnte man herausfinden, was Menschen anspricht und entsprechend gezielt Werbeprospekte entwickeln“, wagt Prof. Denzler einen Blick in die Zukunft.

Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Christoph Redies
Institut für Anatomie I
Medizinische Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Teichgraben 7, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 938511
E-Mail: redies[at]mti.uni-jena.de
Prof. Dr. Joachim Denzler
Lehrstuhl für Digitale Bildverarbeitung
Fakultät für Mathematik und Informatik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ernst-Abbe-Platz 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 946420
E-Mail: denzler[at]informatik.uni-jena.de

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