Legasthenie-Forschung – Neue Ergebnisse zur Lese-Rechtschreibschwäche aus Salzburg

Eine nicht unerhebliche Anzahl von Kindern, mehrheitlich Buben, hat unerwartete Schwierigkeiten mit dem Erwerb des Lesens und des Rechtschreibens. Schätzungen rechnen mit bis zu 10 % aller Kinder. Heinz Wimmer, Karin Landerl und Florian Hutzler vom Institut für Psychologie der Universität Salzburg beschäftigen sich, unterstützt vom FWF, mit der neuropsychologischen Verursachung dieser Lernstörungen. Ein erstes wichtiges Ergebnis ist, dass zwischen Leseschwäche und Rechtschreibschwäche unterschieden werden muss.

Die vorwiegend rechtschreibschwachen Kinder zeigten in einer großen Salzburger Längsschnittstudie bereits am Schulbeginn eine Reihe sprachlicher Defizite v.a. im phonologischen Bereich (u.a. beim Reimen, Behalten neuer Wörter). Dieser Befund steht im Einklang mit der internationalen, anglo-amerikanischen Forschung. „Die Erklärung geht dahin, dass die spezifischen Schreibungen von Wörtern effizient gespeichert werden, wenn die Buchstabenabfolge in vielfacher Weise mit Lautbestandteilen assoziativ vernetzt wird“, erläutert Wimmer.

Diese multiple assoziative Vernetzung ist bei rechtschreibschwachen Kindern nicht gegeben. Bemerkenswert ist der neue Befund, dass eine Gruppe von Kindern spezifisch leseschwach ist, d.h. sehr mühevoll und langsam liest, aber durchschnittliche Rechtschreibleistungen zeigt. Diese Kinder zeigten am Schulbeginn keine phonologischen Beeinträchtigungen. Einziges Problem war eine Beeinträchtigung beim schnellen Benennen visueller Reize.

Mehrere Studien zielten speziell auf die Aufklärung des langsamen Lesens von legasthenen Kindern ab. Wimmer: „Ein wesentlicher Befund ist hier, dass die reduzierte Lesegeschwindigkeit nicht aus Schwierigkeiten mit dem Textverständnis (längeres Nachdenken) resultiert, denn es tritt ebenso beim Lesen von Wortlisten (ohne Sinnzusammenhang) und auch beim Lesen von völlig neuen Wörtern auf.“ Letzteres schließt aus, dass eine spezifische Gedächtnisschwäche für häufig vorkommende Schriftwörter die Ursache der reduzierten Leseflüssigkeit ist.

In gerade laufenden Untersuchungen geht Wimmer der Frage nach, ob ein generelles Problem mit der Steuerung von Blickbewegungen die reduzierte Lesegeschwindigkeit verursacht. Denn leseschwache Kinder zeigen kürzere und damit zahlreichere Vorwärtssprünge der Augen beim Lesen. Erste Ergebnisse sprechen dagegen, denn bei einer Suchaufgabe mit buchstaben- bzw. wortähnlichen visuellen Reizen (ohne lautlichen und sprachlichen Bezug) zeigte die Mehrzahl dieser Kinder unbeeinträchtigte Blickbewegungsmuster. Aktuell werden Muster der elektrischen Gehirnaktivität (Elektroenzephalogramm – EEG) bei legasthenen Kindern während verschiedener Leseanforderungen untersucht. Wimmer: „Überraschenderweise kommt es beim Lesen schwieriger neuer Wörter zu geringerer Aktivität der rechten Gehirnhälfte in Arealen, die für die Steuerung und Verteilung von kognitiven Verarbeitungsressourcen zuständig sind.“

Mit neuen bildgebenden Verfahren, erstellt in Zusammenarbeit mit Neurologen, soll nun die Rolle spezifischer Gehirnregionen beim beeinträchtigten Lesen untersucht werden. „Darauf aufbauend lassen sich dann neue Fördermöglichkeiten entwickeln. Höchste Priorität hat aber die Verursachungsfrage. Zur Zeit kursieren um die Verursachung der Schwächen beim Lesen und Rechtschreiben oft unfundierte Spekulationen, die für die betroffenen Kinder und ihre Eltern nicht hilfreich sind“, so Wimmer.

Univ.-Prof. Dr. Heinz Wimmer
Institut für Psychologie, Universität Salzburg
Tel.: 0662 8044 5128

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