Finanzplätze London und Frankfurt — Partner im Wettbewerb?

Geographen aus Heidelberg und Loughborough untersuchen die Beziehungen zwischen Europas führenden Finanzplätzen – Machtbeziehungen zwischen London und Frankfurt im weltumspannenden Netz von „global cities“

Als in Frankfurt die Europäische Zentralbank errichtet und der Euro eingeführt wurde, die Deutsche Börse mit dem London Stock Exchange verhandelte und der Eurex in Frankfurt seinen Siegeszug antrat, erwarteten viele Experten einen heftigen Wettbewerb zwischen London und Frankfurt um die Vorherrschaft im europäischen Finanzwesen und eine Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt auf Kosten Londons. Wie werden die Beziehungen zwischen beiden Finanzplätzen einige Jahre nach diesen Weichenstellungen von wichtigen Entscheidungsträgern in Finanzwesen und verwandten Branchen eingeschätzt? Haben die Einführung des Euro und die Standortentscheidung für Frankfurt als Sitz der EZB die Position der Stadt im Vergleich zu London verändert? Wie artikulieren sich Machtbeziehungen zwischen London und Frankfurt im weltumspannenden Netz von „global cities“? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Politik daraus ziehen? Diesen Fragen ging ein gemeinsames Forschungsprojekt der Geographischen Institute von Heidelberg und Loughborough (Großbritannien) nach, das von der Deutsch-Britischen Stiftung für das Studium der Industriegesellschaft finanziert und dessen Ergebnisse vor kurzem in Frankfurt vorgestellt wurden.

Das Projekt

Grundlage der Studie bilden zahlreiche Interviews, die während zweier Erhebungsphasen in 2000 und 2001 parallel in Frankfurt und London durch Michael Hoyler (Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Geographisches Institut der Universität Heidelberg) und Kathryn Pain (Department of Geography, Loughborough University) mit hochrangigen Entscheidungsträgern in unternehmensorientierten Dienstleistungsfirmen und mit führenden Institutionen und Organisationen der Finanzwelt durchgeführt wurden. Nahezu alle befragten Unternehmen rangieren unter den Top Ten ihrer Branche (national bzw. global). Berücksichtigt wurden Banken, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberatungen, Wirtschaftskanzleien und Werbeagenturen. Das Projekt ist eingebunden in die Arbeit der Globalization and World Cities Study Group and Network (GaWC), einer internationalen Forschungsgruppe, die sich unter der Leitung von Peter Taylor und Jon Beaverstock (Loughborough) mit der Herausbildung eines weltweiten Städtenetzes im Zeichen ökonomischer Globalisierung beschäftigt.

Globale Vernetzung

London und Frankfurt sind wichtige Knotenpunkte der Weltwirtschaft, so genannte Weltstädte oder „global cities“, in denen eine hohe Konzentration von Entscheidungs- und Kontrollfunktionen in Finanz- und anderen wissensintensiven Dienstleistungen gegeben ist. London ist neben New York einer der beiden global am besten vernetzten Standorte, Frankfurt nimmt als wichtigste deutsche „global city“ einen oberen Rang unter den kontinentaleuropäischen Städten ein. Die unterschiedliche Einbindung der beiden Städte in weltweite Verflechtungen und Transaktionen ? in Personal-, Kommunikations- und Finanzströme ? weist jeder dieser Städte ihren spezifischen Platz im globalen Städtenetz zu: London als internationaler Weltstadt ersten Ranges, Frankfurt als Finanzplatz mit eher europäischer Ausrichtung als „gateway“ zwischen deutschen Märkten und international agierenden Dienstleistungsunternehmen.

Der Euro

Der Einführung des Euro wurde von den befragten Unternehmen nur ein geringer Einfluss auf die Positionierung beider Finanzplätze zugeschrieben. Die Errichtung der EZB in Frankfurt stärkt zwar das Image der Stadt, hat aber für die überwiegende Zahl der Unternehmen kaum praktische Relevanz. Entscheidend für die Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt in den letzten Jahren ist weniger der Euro als vielmehr die Bedeutung des deutschen Marktes und die zunehmende Internationalisierung unternehmensorientierter Dienstleistungen. Die Stellung Londons als führender Welt-Finanzplatz wird durch das Festhalten am britischen Pfund im Vereinigten Königreich nicht gefährdet.

Räumliche Konzentration von Wissen

Die herausragende Position Londons gründet sich ganz entscheidend auf den verfügbaren Wissenspool und die institutionelle Dichte in der City. Im Gegensatz zu Informationen, die heute in Sekunden weltweit verbreitet werden können, sind Wissen, Kreativität, Erfahrungen und Qualifikationen an Personen und Organisationen gebunden und somit räumlich stärker verwurzelt. Eine solche Konzentration von Wissen und hochspezialisierten Netzwerken kann nicht einfach von einem Standort auf einen anderen übertragen werden. Der Zugang zu entscheidenden Informationen erfolgt trotz aller Digitalisierung meist über face-to-face Kontakte. Paradoxerweise ist die räumliche Konzentration von Wissen gerade in jenen Branchen am stärksten, die als erste und am intensivsten digitalisiert und mit weltweiter Kommunikationstechnologie vernetzt wurden.

Kooperation statt Wettbewerb?

Das Forschungsprojekt zeigt, dass sich das häufig als Rivalität charakterisierte Verhältnis zwischen Frankfurt und London nicht auf den Aspekt des Wettbewerbs reduzieren lässt. Die Stärkung eines Standortes muss nicht zwangsweise auf Kosten des anderen erfolgen, sie ist kein Nullsummenspiel. London und Frankfurt ergänzen sich in vielen Bereichen; der Erfolg Londons als Zentrum globaler Vernetzung kommt Frankfurt zugute, die wachsende Bedeutung Frankfurts als gateway zum deutschen und europäischen Markt stärkt auch London. Der Intensivierung von Verflechtungen zwischen beiden Städten sollte deshalb zumindest ebensoviel Aufmerksamkeit geschenkt werden wie dem immer wieder beschworenen Wettbewerb.

Forschungsbericht

Jonathan V. Beaverstock, Michael Hoyler, Kathryn Pain and Peter J. Taylor (2001): Comparing London and Frankfurt as World Cities: A Relational Study of Contemporary Urban Change. London: Anglo-German Foundation for the Study of Industrial Society. 51 pp. ISBN 1 900834 28 6 £15.00

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Dr. Michael Schwarz idw

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