Neuronale Aktivitäten im Blickpunkt: neue Forschung zu Sinnesorganen, Stress und Bewusstsein

VolkswagenStiftung fördert neurowissenschaftliche Fragestellungen in breitem Kontext – auch aus der Perspektive der Geisteswissenschaften

Was weiß man eigentlich über Orientierungsvermögen und -möglichkeiten im Wasser lebender Säugetiere? Antwort: längst nicht genug. Entsprechende Untersuchungen an Robben oder Delphinen und anderen Walen sind im Meer schwierig durchführbar, und wissenschaftlich nutzbare Anlagen an Land stehen kaum zur Verfügung. Zwar ist seit geraumer Zeit das Sonarsystem der Delphine bekannt, andere spezielle Sinnessysteme, die es nach Einschätzung vieler Wissenschaftler geben muss, blieben bislang jedoch unentdeckt oder unerforscht. Gleiches gilt für die Mechanismen der multimodalen Orientierung. Vor allem wurde meist versäumt, mit Blick auf die Orientierung im aquatischen Lebensraum bei den marinen Säugern die verschiedenen Sinnesleistungen im Zusammenwirken mit den kognitiven Fähigkeiten zu sehen.

Genau hier setzt ein Forschungsvorhaben an, das von der VolkswagenStiftung mit knapp 1,4 Millionen Euro unterstützt wird. Privatdozent Dr. Guido Dehnhardt vom Lehrstuhl Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der Biologischen Fakultät der Universität Bochum beschäftigt sich in den kommenden fünf Jahren mit den Orientierungsmechanismen mariner Säuger, und zwar in „aquatischer Umgebung“. Dabei sollen sämtliche denkbaren Orientierungsmechanismen berücksichtigt werden und eine Vielzahl experimenteller Methoden zur Anwendung kommen. Eigens zu diesem Zweck umgebaut wird die Eisbärenanlage des Kölner Zoos. Geplant ist, in die Versuche sieben Seehunde und zwei Kalifornische Seelöwen einzubeziehen.

Dehnhardt wird sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen seinem Untersuchungskomplex nähern. Er plant, das Orientierungsvermögen der Meeressäuger zu erforschen im Hinblick auf die Verarbeitung physikalischer, chemischer und akustischer Reize sowie unter Einbeziehung der Astronavigation.

Der Biologe kann dabei auf umfangreichen Vorarbeiten aufbauen. So konnte er nachweisen, dass Seehunde entfernt im Wasser befindliche Objekte mit Hilfe der Barthaare („Vibrissensystem“) wahrnehmen. Nachdem klar war, dass Seehunde unter anderem „hydrodynamische Spuren“ zu unterscheiden vermögen – folgt er gerade einem Fisch oder einem U-Boot -, soll nun untersucht werden, ob dies auch für biologisch erzeugte Spuren gilt. Darüber hinaus ist es Ziel, die maximale Distanz zu bestimmen, über die ein Seehund einen Fisch oder Artgenossen durch die Verfolgung von dessen hydrodynamischer Spur lokalisieren kann. Nachweisen konnte der Bochumer Forscher auch, dass die Seehunde ein „Salzschmeckvermögen“ besitzen, das ihnen als chemosensorische Orientierungshilfe dient. Im Zuge noch zu entwickelnder sinnesökologischer Untersuchungen soll nun getestet werden, wie fein diese Fähigkeit bei den Seehunden – möglicherweise werden auch die Seelöwen in die Tests einbezogen – ausgebildet ist, mit deren Hilfe sie Salzunterschiede im Meerwasser nutzen, um bestimmte Orte genau anzusteuern.

Eine dritte mögliche Orientierungshilfe sind akustische Informationen. Die Fähigkeit, Geräusche exakt lokalisieren zu können, dürfte bei der Orientierung über kürzere Distanzen beim Beuteerwerb und bei der Wahrnehmung von Feinden eine Rolle spielen. Jedoch scheinen auch weit entfernt liegende „abiotische Schallquellen“ von Bedeutung zu sein, vermuten die Wissenschaftler. Über solch eine weiträumige Richtungsbestimmung, etwa im Sinne einer „Landmarken-Seitenpeilung“, ist wenig bekannt. Untersucht wird daher Folgendes: Wie können die Robben aus der Bewegung heraus zum einen kurze akustische Signale orten, und inwieweit lässt sich darüber hinaus bei dauerhaft akustischen Signalen ein Bezug zur Bewegungsrichtung erkennen?

Des Weiteren könnten unter den besonderen Bedingungen des marinen Lebensraumes visuelle Bezugspunkte eine Rolle spielen – etwa im Sinne einer „Astronavigation“. Nehmen die Robben beispielsweise verschiedene Himmelskörper sowie polarisiertes Licht wahr? Und dient das dann ihrer
Orientierung? Dies beantworten zu können, muss unter anderem das Sehfeld der Meeressäuger bestimmt werden, über dessen Umfang es bislang bei Seehunden und Seelöwen keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Auch das wird die Bochumer Forscher beschäftigen.

Die Ergebnisse sollen noch dadurch an Gewicht gewinnen, dass sie in einem letzten Schritt im freien Wasser überprüft werden. Dies geschieht in Kooperation mit Dr. Markus Horning an der Texas A & M University, USA.
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Kontakt: Privatdozent Dr. Guido Dehnhardt, Fakultät für Biologie, Universität Bochum, Telefon: 0234/3227709, Fax: 0234/3214185
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Schwerpunkt Neurowissenschaften
Etwa 50 000 Forscher rund um den Globus sollen es sein – so die Zeitung DIE WOCHE vom 26. Oktober 2001 -, die sich momentan im engeren oder weiteren Sinne mit neurowissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigen: so viele wie in keinem anderen Wissensgebiet. Die VolkswagenStiftung hat in ihrem dezidiert neurowissenschaftlichen Schwerpunkt „Dynamik und
Adaptivität neuronaler Systeme – Integrative Ansätze zur Analyse kognitiver Prozesse“ zwei weitere Projekte in die Förderung genommen:
Eines davon beschäftigt sich mit einer Kernfrage der Neurobiologie, der dynamischen Interaktion zwischen genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen bei der Reifung und Entwicklung der neuronalen Plastizität und kognitiver Funktionen. Was heißt das hier konkret? Die beiden Forscher Professorin Dr. Inga D. Neumann vom Institut für Zoologie der Universität Regensburg und Professor Dr. Paul J. Lucassen vom Institute of Neurobiology der University of Amsterdam werden untersuchen, wie sich Stress vor und nach der Geburt auf Rattenstämme auswirkt, deren Vertreter erblich bedingt unterschiedlich ängstlich sind. Die Forscher verknüpfen dabei Verhaltensexperimente mit anatomischen und biochemischen Untersuchungen, wollen beispielsweise ermitteln, wie sich die Stressbewältigung emotional oder hormonell charakterisieren lässt. Von den Ergebnissen der Studie erhoffen sich die Wissenschaftler unter anderem ein besseres Verständnis darüber, inwieweit es in Abhängigkeit von genetischen und auch nicht erblich bedingten Faktoren möglicherweise unterschiedliche „Anfälligkeiten“ für kognitive Störungen oder psychiatrische Erkrankungen gibt. Die VolkswagenStiftung unterstützt das Vorhaben mit 580.000 Euro.
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Kontakt: Professorin Dr. Inga D. Neumann, Institut für Zoologie, Universität Regensburg, Telefon: 09 41/9 43 30 55,
Fax: 09 41/9 43 30 52

Professor Dr. Paul J. Lucassen, Institute Neurobiology
University of Amsterdam, Telefon: 00 31/2 05 25 76 31,
Fax: 00 31/2 05 25 77 22
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Weiterhin im neurowissenschaftlichen Schwerpunkt bewilligt mit knapp 390.000 Euro wurde ein Projekt zur dynamischen Gedächtnisspeicherung auf zellulärem und Netzwerkniveau, das gemeinsam getragen wird vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg und dem Department of Neuroscience der University of Edinburgh, Großbritannien.
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Kontakt: Professor Dr. J. Uwe Frey, Leibniz-Institut für Neurobiologie, Magdeburg, Telefon: 03 91/6 26 34 22,
Fax: 03 91/6 26 34 21
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Programm „Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften“
In diesem Programm werden Vorhaben bevorzugt gefördert, die sich aus den etablierten geisteswissenschaftlichen Disziplinen heraus anderen Wissenschaftsgebieten öffnen. An der Schnittstelle von Philosophie und Psychologie/Neurowissenschaften bewegt sich das Vorhaben „Willenshandlungen: Untersuchungen zur Natur und Kultur des Wollens“ unter Federführung von Professor Dr. Wolfgang Prinz vom Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München. Hintergrund ist das Gegenüber einerseits von individuellem Selbstverständnis einer Person und der Zuschreibung individueller Verantwortung (worauf zum Beispiel die Rechtsprechung aufbaut) und andererseits dem neu gewonnenen Bild des Menschen, das letztlich bestimmt ist von neuronalen und kognitiven Aktivitäten sowie durch historische und soziale Einflüsse. Die Schlüsselfrage lautet: Welche Rolle kommt der Idee des „willentlich handelnden Selbst“ – das eben nicht mehr ein „Ich“ ist – zu? Dahinter verbirgt sich eines der großen ungelösten Probleme der experimentellen Verhaltens- und Neurowissenschaften; gleichzeitig aufgeworfen wird die Frage nach dem Bewusstsein und dem Leib-Seele-Verhältnis. Die VolkswagenStiftung fördert das Vorhaben mit 750.000 Euro.
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Kontakt: Professor Dr. Wolfgang Prinz, Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung, München, Telefon: 0 89/38 60 22 56, Fax: 0 89/38 60 22 90
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Kontakt VolkswagenStiftung: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Telefon: 0511/8381 – 380, Fax: 0511/ 8381 – 344, E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

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Dipl.Biol. Christian Jung idw

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