Nachhaltigkeit: Auftrag für die Wissenschaft

Bei der Nachhaltigkeits-Forschung geht es um Zukunftsvorsorge: um Schutz vor Risiken, denen wir alle ausgesetzt sind. Im Bremer Forschungszentrum werden Arbeits-, Umwelt-, Technik- und Wirtschaftsfragen interdisziplinär bearbeitet.

Ein Tornado zerstört Teile einer Ortschaft in Sachsen-Anhalt. Die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft scheidet in der Vorrunde der Europameisterschaft aus. Bewohner von Pazifik-Inseln müssen ihre Heimat verlassen, um sich vor den steigenden Meeresfluten in Sicherheit zu bringen. Tanklaster transportieren Erdbeeren für unseren Frühstücks-Joghurt durch halb Europa. Blumen für die Ehefrau werden aus Afrika eingeflogen, wo uns gleichzeitig täglich die Bilder von hungernden Menschen erschrecken. Was verbindet diese zufälligen Szenen miteinander? Sie alle haben mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ zu tun. Nachhaltigkeit meint einen zukunftsorientierten Umgang mit Risiken, denen wir ausgesetzt sind. In einigen Beispielen dokumentieren sich die Folgen aus Versäumnissen der Vergangenheit; bei anderen Bespielen zeichnen sich Probleme der Zukunft ab, hervorgerufen durch Gedankenlosigkeit im Alltag oder auch kurz gedachtes wirtschaftliches Handeln. Im Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen werden in einem langfristigen Fokus Arbeits-, Umwelt-, Technik- und Wirtschaftsfragen interdisziplinär bearbeitet. Am 1. Juli 2004 konstituiert sich der wissenschaftliche Beirat des Zentrums Nachhaltigkeit. Ihm gehören Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft an, viele aus dem Ausland. Der Beirat hat die Aufgabe, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums beim Festlegen der Forschungsziele zu beraten.

Der Begriff Nachhaltigkeit gehört heute in jede öffentliche Rede – und verliert allein durch diese politisch korrekte Verwendung an Glaubwürdigkeit. Zu Unrecht: Denn hier geht es um Entwicklungen, die uns vielleicht schneller persönlich betreffen, als uns lieb sein kann. Was konkret treiben eigentlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Forschungszentrum, das diesen Begriff kürzlich in den Eigennamen aufgenommen hat? Sie arbeiten in ganz konkreten Projekten, dafür einige Beispiele:

Beispiel 1: In dem Projekt „Nachhaltige Metallwirtschaft Hamburg“ kooperierten Unternehmen, Behörden, Verbände und Wissenschaftler aus Hamburg und Bremen mit klaren Zielen: Sichern der ökologischen Kreisläufe von Metallen, indem beispielsweise bereits in der Produktion eine Verunreinigung der Metalle (wie Kupfer in Stahl) vermieden wird und so ein hochwertiges Recycling ermöglicht; radikales Vermindern von umweltbelastenden Kühlschmierstoffen (zum Beispiel durch Trockenbearbeitung); Schärfung des Problembewusstseins bei allen Akteuren von Stahlwerken und Automobilherstellern, über Demontagebetriebe bis hin zu Schrotthändlern; Aufbau eines bei der Hamburger Handelskammer angesiedelten „Forums Nachhaltiges Wirtschaften Hamburg“. Die Bremer Wissenschaftler bearbeiteten das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt auch, um über das Einzelvorhaben hinaus allgemein gültige und übertragbare Typisierungen von Nachhaltigkeitsproblemen und -strategien abzuleiten.

Beispiel 2: Im Projekt „Nachhaltiges Konsumverhalten in großstädtischen Wohnstrukturen“ wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen der TU Berlin die Frage verfolgt, ob eine Änderung des privaten Konsumverhaltens dann leichter erfolgen kann, wenn Angebote individuelle Verhaltensmuster berücksichtigen. So wurden in Berlin Wohnungsbausgesellschaften und Mieter gemeinsam aufgefordert, über konkrete Schritte zu nachhaltigem Verhalten nachzudenken. Mit Verleihbörse, Kooperation mit StattAuto und Kaufgemeinschaften für ökologische Lebensmittel kam es zu konkreten Konsumalternativen. Trotz einiger Schwierigkeiten entstand im Rahmen des ebenfalls BMBF geförderten Projektes eine lebendige Nachbarschaft mit neuem Konsumverhalten ? in der Zusammenarbeit von Wohnungsbaugesellschaften und Bewohnern durchaus ein überlegenswertes Modell für andere Städte.

Beispiel 3: Im BMBF-Förderschwerpunkt „Nachhaltiger Konsum / Nachhaltiges Wirtschaften“ wurden in Bremen an drei Beispielen Nachhaltigkeitsziele verfolgt: Umstellen der Kindergartenkost auf regionale Produkte, Stadtteillieferdienst der Einzelhändler; Anwohnerparken zur Verbesserung der Wohnqualität. Bis auf das Kindergartenessen waren die Projekte nicht erfolgreich. Auch aus diesen Misserfolgen zogen die Bremer Wissenschaftler wichtige Schlüsse. Eine Kernthese lautet: Nachhaltige Aktivitäten vor Ort bedürfen der klaren Unterstützung von Politik und Verwaltung.

Beispiel 4: „Risikomanagement im Küstenschutz“: In Norddeutschland macht sich die globale Erwärmung durch einen höheren Meeresspiegel und die Zunahme schwerer Sturmfluten bemerkbar. Wie die Deiche auch in Zukunft sicher sein können, ist strittig. Doch die Verantwortlichen für den Küstenschutz aus Politik und Verwaltung müssen Entscheidungen treffen, die für Umwelt und Staatsfinanzen folgenschwer sein können. Aufgabe des Projektes ist es, in die vorrangig technisch-naturwissenschaftlich ausgerichtete Debatte bei der Entscheidungsfindung auch die sozialen Folgen zu integrieren.

In der Nachhaltigkeits-Forschung geht es stets auch um die Frage der Durchsetzbarkeit und Realisierbarkeit von Strategien. Deshalb wird der Vermittlung und Legitimierung von nachhaltigem Verhalten ein Hauptaugenmerk gewidmet. Das Bremer Forschungszentrum Nachhaltigkeit verfügt über besondere Kompetenzen in den Bereichen Wirtschaftswissenschaften (strategisches Ressourcenmanagement, Entscheidungsprozesse), Arbeitswissenschaften (Organisationslernen, Change-Management und internationale Regulierung), Umweltsoziologie (Umweltbewusstsein, Alltagshandeln, Lebensstile und Gender, Konfliktbewältigung zwischen Politik, Verwaltung und Gesellschaft sowie Innovations- und Technikforschung).

Nachtrag: Was hat das frühe Ausscheiden der Deutschen Herren-Fußballer bei der EM nun mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ zu tun? Auch wenn die Bremer Forscher sich nicht damit beschäftigen: Defizite im Ressourcen- und Change-Management im deutschen Spitzenfußball sind offensichtlich. Wer sich nicht rechtzeitig um den Nachwuchs kümmert, steht irgendwann mit „leeren Händen“ da. Ein bisschen Nachhaltigkeit könnte dem deutschen Fußball nicht schaden.

Weitere Informationen:

Universität Bremen
Forschungszentrum Nachhaltigkeit
Prof. Dr. Hellmuth Lange
Prof. Dr. Georg Müller-Christ
Brigitte Nagler (Geschäftsführerin)
Tel. 0421 218 2435
Email: nagler@artec.uni-bremen.de

Media Contact

Angelika Rockel idw

Weitere Informationen:

http://www.artec.uni-bremen.de

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