"Low Vision": Vielen Blinden bringt geringer Lichtschein Möglichkeit der Orientierung

„Low Vision“ – niedriges Sehvermögen – mit dieser Diagnose leben Menschen, die als hochgradig sehbehindert oder sogar blind gelten. Die Mehrzahl der als blind definierten Menschen nimmt zumindest Lichtscheine wahr, sie verfügt somit über visuelle Wahrnehmungen, die hinsichtlich der alltäglichen Lebensgestaltung durchaus genutzt werden können. So haben Hell-Dunkel-Wahrnehmungen beispielsweise eine entscheidende Rolle für den Tag-Nacht-Rhythmus und für Stoffwechselprozesse. Erstmals versucht jetzt ein europäisches Projekt, den Standard der Diagnostik und Förderung bei“Low Vision“ in den einzelnen europäischen Ländern zu ermitteln. Das Projekt wird geleitet von Prof. Dr. Renate Walthes, Rehabilitation und Pädagogik bei Sehbehinderung an der Universität Dortmund.

Die Diagnose und Förderung des verbliebenen Sehvermögens in der Kindheit ist ein junges Forschungsfeld. Seine höchste Effizienz zeigt sich im Bereich der Frühförderung: Je früher bei einer Sehschädigung die verbliebenen visuellen Wahrnehmungsmöglichkeiten angeregt und unterstützt werden, desto größer ist die Chance einer multisensorischen [unter Einschluss visueller Faktoren] cortikalen Koordinationsleistung.

Ein besonderes Problem besteht in der Diagnose des verbliebenen Sehvermögens. Objektive Verfahren (wie z.B. EVP = Evozierung visueller Potenziale), geben zu wenig Aufschluss über das funktional zu nutzende Sehvermögen, subjektive Verfahren bedürfen der Mithilfe der Betroffenen, was bei Säuglingen, Kleinkindern und nicht sprechenden Kindern oftmals nicht möglich ist. Daher existieren bisher keine verlässlichen Daten über die Zahl der betroffenen Kinder.

Epidemiologische Untersuchungen in verschiedenen Ländern zeigen, dass z.B. bei Kindern mit einer geistigen Behinderung in 30% der Fälle auch eine Sehschädigung festzustellen ist, bei Kindern mit cerebral bedingten Schädigungen liegt die Zahl wesentlich höher. Man muß daher davon ausgehen, dass bisher nur ein kleiner Teil von betroffenen Kindern Zugang zu einer Low-Vision Diagnostik und Förderung hat.

Das Forschungs- und Interventionsfeld „Low-Vision“ hat sich in den einzelnen europäischen Ländern höchst unterschiedlich entwickelt. Die spezifischen, von einzelnen Institutionen der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik erarbeiteten Programme, Konzepte und Fördermöglichkeiten sind bisher weder erfasst, noch verglichen, noch auf ihre Kompatibilität hin befragt worden.

Low-Vision-Arbeit findet in unterschiedlichen institutionellen Zusammenhängen statt, und es sind verschiedenste Berufsgruppen beteiligt: Augenärzte, Orthoptisten, Optiker, Blinden- und Sehbehindertenpädagogen, Rehabilitationsfachkräfte.

An dem von der europäischen Forschungsinitiative „Sokrates“ geförderten Projekt sind neben Wissenschaftlern der Universität Dortmund und der Universität Edinburgh weitere Psychologen, Ophthalmologen und Sonderpädagogen aus Deutschland, Finnland und Spanien beteiligt. Ziele sind die

– Entwicklung von gemeinsamen Standards in der Diagnose und Förderung im Bereich Low-Vision;

– Entwicklung von Modulen und Materialien für alle europäischen Länder, die langfristig zu einem gemeinsamen europäischen Curriculum zur Förderung des Sehens weiterentwickelt werden;

– Fort- und Weiterbildung von Multiplikatoren in allen europäischen Ländern;

– Aufbau von Netzwerken und Diskussionsforen im Internet.

Aufgrund einer Expertenbefragung in 34 europäischen Ländern wurde inzwischen die Situation der Low-Vision-Diagnostik wie der Förderung des Sehens ermittelt. Die Ergebnisse dieser Befragung bilden die Basis für weitere differenzierte Untersuchung und für die Erarbeitung weiterer Maßnahmen.

Vom 22. bis 28. 9. 2000 fand auf Schloß Eringerfeld in Geseke eine Expertentagung zum Thema „Low Vision Assessment and Intervention“ statt, an der Fachleute aus 16 europäischen Ländern teilnahmen. Im Mittelpunkt der von der Europäischen Union unterstützten Arbeitstagung der Universität Dortmund standen folgende Themen:

1. Vorstellung und Diskussion eines Basis Curriculums „Low Vision in Early Intervention“ (Low Vision in der Frühförderung);
2. Austausch über unterschiedliche Diagnostik und Förderungsverfahren;
3. Festlegung von fachlichen Standards und Verabschiedung von Empfehlungen;
4. Implementierung von Weiterbildungsangeboten in allen europäischen Ländern unter dem Dach des International Council for Education of People with Visual Impairment (ICEVI – Europe)

Das Projekt „Low Vision in Europa – Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Frühförderung blinder, sehbehinderter und mehrfachbehinderter Kinder“ wurde von der Europäischen Kommission um ein weiteres Jahr verlängert und wird im August 2001 abgeschlossen sein.

Weitere Auskünfte:
Prof. Dr. Renate Walthes, Ruf 0231 – 755 4559
Internet: http://low-vision.fb13.uni-dortmund.de

Weitere Informationen finden Sie im WWW:

Media Contact

Klaus Commer idw

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