Wie der Himalaya die Menschen prägt

      Jenaer Geograph untersucht Landschaftswandel in Tibets Hochland

Jena (22.08.00) Weder der Yeti noch einzigartige Naturkatastrophen bestimmen die Existenz der Menschen im Himalaya. Im Hochgebirge an der Grenze zu Tibet leben die Bewohner seit rund 2.500 Jahren kontinuierlich vom Bewässerungsfeldbau. „Mit dem Bewässerungsfeldbau können zwar die ungünstigen klimatischen Voraussetzungen für den Ackerbau abgepuffert werden, gleichzeitig ergeben sich aus den geoökologischen Rahmenbedingungen neue Gefährdungen“, hat Dr. Jussi Baade ermittelt. Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt hat der 38-jährige Geograph in seiner gerade an der Friedrich-Schiller-Universität Jena abgeschlossenen Habilitation „Landschaftswandel im Thakkhola“ dargelegt. Er behandelt darin eine Gebirgsregion, die zuvor kultur- und umwelthistorisch ein „weißer Fleck“ auf der Landkarte war.

Baades Arbeiten sind Teil eines bundesweiten interdisziplinären Forschungsprogramms zur „Siedlungsentwicklung und Staatenbildung im Tibetischen Himalaya“. Der Jenaer Geograph beschränkte sich während seiner sechs Forschungsaufenthalte auf das nördlich des Himalaya-Hauptkamms gelegene obere Fluss-Einzugsgebiet der Kali Gandaki (~ 28°45’N / 83°45’E). Das dortige Muktinath-Tal liegt auf einer Höhe zwischen 2.500 und 6.000 m, ist durch kalt-trockenes Klima, spärliche Vegetation und extreme Reliefenergie gekennzeichnet. Die seit rund 3.000 Jahren besiedelte Region eignet sich für die kulturhistorischen und geoökologischen Untersuchungen besonders, weil sich dort zahlreiche verlassene Siedlungen finden. Diese spiegeln die Siedlungsgewohnheiten und -veränderungen der Bevölkerung, die neben Bewässerungsfeldbau auch Fernhandel betreibt, wider.

Mittels modernster Forschungsmethoden gelang es Dr. Baade, die Region zu kartieren und den Landschaftswandel seit dem Jungpleistozän vor etwa 100.000 Jahren zu erschließen. Dabei musste er ältere Studien revidieren: „Die dort gefundenen Seesedimente, die bisher mehrheitlich als hoch- bis spätglazial eingeordnet wurden, sind deutlich älter“, ermittelte Dr. Baade. Sie sind Ergebnis eines Sees, der durch einen Bergsturz aufgestaut wurde und erst nach etwa 40.000 Jahren wieder abfloss.

Von solchen Rutschungsaktivitäten sind die Bewohner der Region noch heute bedroht. „Die Rutschungen werden kaum beachtet“, hat Jussi Baade erfahren müssen, obwohl die ’Bergbewegungen’ die Lebensgrundlage der Bevölkerung permanent bedrohen. Denn obwohl das System des Bewässerungsfeldbaus robust ist, finden sich immer wieder verlassene Siedlungen. Katastrophale Ereignisse sind nicht nachweisbar, aber das Wasser schneidet sich etwa einen Meter pro 100 Jahre in den Felsen ein. Seit dem Siedlungsbeginn vor 3.000 Jahren kam es so zu Einschneidungen von 25 m. Das zwingt die Menschen zum Umzug, da die Bewässerung der Felder permanent schwieriger wird und sie teilweise zu versalzen drohen. Dies ist umso tragischer, als die Bewässerungsterrassen in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut wurden. Sie nehmen durch Düngung um rund 2 mm pro Jahr an Höhe zu, hat der Jenaer Geograph herausgefunden. Einige Terrassen sind inzwischen durch diese Anthrosoleschichten um mehrere Meter gewachsen.

Der Mensch verändert durch seine Taten die Natur – und damit sein eigenes Siedlungsverhalten – stärker, als es etwa die holozänen Klimaschwankungen vermochten, unterstreicht Baade. Um weiteren Rutschungen und der Zerstörung der Terrassen vorzubeugen, rät er den Bewohnern, die Be- und Entwässerung der Felder bewusst zu steuern.

Dieser Tipp entspringt seinen Erkenntnissen zur geoökologischen Vergangenheit der Region. Allerdings gibt der Geograph zu, dass sich „kausale Abhängigkeiten zwischen der Siedlungsentwicklung und der Landschaftsdynamik nur schwer beweisen lassen“. Es existieren deutliche lokale Unterschiede, warum die Menschen ihre Siedlungen an den Talhängen verlassen haben – und schriftliche Quellen über die Ursachen sind bislang nicht gefunden worden. Dennoch ist Baade davon überzeugt, dass sich einzelne Ergebnisse seiner Forschungen sowie die ermittelten Tendenzen auf andere Hochgebirgsräume übertragen lassen und damit helfen, die Bedingungen, unter denen extreme Räume besiedelbar sind, besser zu verstehen.

Ansprechpartner:
Dr. Jussi Baade
Institut für Geographie der Universität Jena
Löbdergraben 32
07743 Jena
Tel.: 03641/948803
Fax: 03641/948812
E-Mail: jussi_baade@hotmail.com


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