Brodeln in der Atmosphärensuppe

Umwelt: Schwachstelle der Wettervorhersage ist die Prognose von Unwettern

Karlsruher Meteorologen untersuchen im Schwarzwald, wie warme Luft in die Höhe steigt. Das Ziel: Unwetter besser vorherzusagen. Unter Ohren betäubendem Schrillen der Alarmglocke öffnet sich die stählerne Schiebetür des Flugzeughangars. Ein Hase hoppelt aufgeschreckt übers Rollfeld. Ulrich Corsmeier checkt ein letztes Mal die Messgeräte in der DO128. Noch ein kurzer Anruf bei den Kollegen im Lagezentrum in Karlsruhe über die Wettervorhersage und die geplante Route, dann gibt Corsmeier das Kommando: „Wir fliegen.“ Wenig später rollt die zweimotorige Propellermaschine auf die Startbahn des Baden-Airpark und startet nach Nordosten in Richtung Schwarzwald.

Die Mission an diesem Morgen gehört zu „Vertikator“, einem ehrgeizigen Programm des gemeinsamen Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) von Universität Karlsruhe und Forschungszentrum Karlsruhe. In dem Projekt mit dem Titel „Vertikaler Austausch und Orographie“ soll geklärt werden, wie warme und feuchte Luft vom Boden bis in zehn km hohe Atmosphärenschichten aufsteigt und welchen Einfluss Tageszeit und Geländebeschaffenheit dabei haben. Daraus möchten die Wetterforscher um Institutsleiter Professor Franz Fiedler Rückschlüsse auf Wolkenbildung und Niederschläge ziehen.

Die Forscher hoffen, in wenigen Jahren lokale Schauer und Gewitter vier bis sechs Stunden im Voraus vorhersagen zu können. Die Prognose wann und wo ein Unwetter niedergehen wird, steckt verglichen mit dem Stand der übrigen Wettervorhersage noch in den Kinderschuhen – „wie eine Anlasserkurbel am Formel-1-Rennauto“, sagt Corsmeier.

Die Karlsruher haben die DO128 und vier weitere Flugzeuge mit Messelektronik voll gestopft. Mehrere Ausleger an Nase und Flügelspitzen tragen Sensoren, die im Flug alle 50 cm Temperatur, Druck, Feuchte und Windstärke messen. Durch ein Rohr oben am Rumpf wird Luft angesaugt und auf die Konzentration von Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Ozon analysiert. Unten hängen zwei Kameras, die Geländeprofil und Vegetation dokumentieren. Besonders stolz ist Corsmeier auf die Abwurfsonden, die in Styropor verpackt an einem Fallschirm zu Boden segeln und laufend Wetterdaten erfassen. Wird die Sonde vom Winde verweht, lässt sich aus den Satelliten-Positionsdaten die Windgeschwindigkeit ableiten. Ein integriertes Handy, das pausenlos SMS verschickt, meldet den Ort, wo die Sonde landet. Das klappt nicht immer. „Wer eine Sonde findet und einschickt, bekommt 50 Euro“, verrät Corsmeier – ein bescheidener Posten im Vertikator-Gesamtetat von 1,7 Mio. ¿, der zum Teil vom Bundesforschungsministerium stammt.

Der Schwarzwald und die Alpen, wo ab Anfang Juli gemessen wird, sind für die Karlsruher Meteorologen und die Kollegen vom Deutschen Wetterdienst, dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt sowie der Uni München ideal. An den Hängen brennt die Sonne schon vormittags senkrecht zu Boden, entsprechend stark ist die Konvektion in der Atmosphäre – wie in einem Topf Suppe, wenn die Nudeln beim Kochen nach oben brodeln. Die auftreibenden Luftmassen führen zu mächtigen Wolken und Gewittertürmen. Deshalb regnet es im Sommer in den Bergen heftiger als im Flachland. An der Rheinseite des Schwarzwalds können es pro Jahr 1500 mm Niederschlag sein, an der Wetter abgewandten Seite am Neckar ist es nur halb so viel.

Wie schnell sich Wolken bilden können, zeigt Corsmeier an den Daten des Vortags: „Um 15 Uhr gab es bei Freudenstadt kleine Schäfchenwolken, eine halbe Stunde später reichte eine Schauerwolke bis in 12 Kilometer Höhe.“ Welche physikalischen Prozesse dabei ablaufen, ist im Prinzip bekannt: Warme Luft steigt auf, kühlt sich ab und kondensiert – es regnet oder hagelt. Doch wann und wo das passiert, ist für die Meteorologen Kaffeesatzleserei. Das soll sich mit Vertikator ändern, hofft Bernhard Vogel, der am IMK an der Verfeinerung von mathematischen Wettervorhersage-Modellen tüftelt. Zusammen mit einem Kollegen vom IMK hat Vogel an diesem Tag Stellung in Brandmatt bezogen, einem Feriendorf an den Hängen des Schwarzwalds, berühmt für seinen herrlichen Blick auf die Rheinebene. „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“, sagt Vogel, weil heute wegen der unbewegten Atmosphäre viele Partikel in der Luft seien und der Rhein im Dunst liege. Alle zwei Stunden lassen die Meteorologen an einer Schnur einen rosaroten Heliumballon mit einer Sonde in die brütend heiße Luft steigen und sammeln zusätzliche Messdaten aus geringer Höhe. Zur selben Zeit sitzen weitere Messteams über den Schwarzwald verteilt.

Am Nachmittag ändert sich die Wetterlage: Das Flackern kleiner Konvektionszellen über dem Boden vereinigt sich weiter oben zu großen Schornsteinen – schwere Gewitter kündigen sich an. Wo es genau regnen wird, könnte Vogel aus seinen Modellen bisher nicht herauslesen. Lassen sich die Vertikator-Daten verallgemeinern, fließen diese in die Rechenmodelle ein, die dann auch für andere Regionen eine genauere Vorhersage von Niederschlagsmenge und Unwetter erlauben würden.

Doch die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet: Wie wird das Wetter diesen Sommer? „Keine Ahnung“, grinst Vogel und zuckt die Schultern.

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