Subjektiver Wahrnehmung wird mehr vertraut als der Wirklichkeit – Verblüffendes Forschungsergebnis

Fehlende Informationen werden im Gehirn vervollständigt – mit dem Ergebnis, dass uns die vervollständigte Wahrnehmung vertrauenswürdiger erscheint als die Wirklichkeit. Foto: Universität Osnabrück/ Ricardo Gameiro

Dass unsere Wahrnehmung öfters mal nicht der Realität entspricht, weiß man schon länger, aber dass wir dies nicht nur unterbewusst hinnehmen sondern sie im Vergleich zu verlässlichen Informationen sogar bevorzugen – das war selbst für die Forscher der Studie überraschend, die sich dazu das Phänomen des Blinden Flecks im Auge zunutze gemacht haben.

»Um im alltäglichen Leben zurechtzukommen, müssen wir ständig mehrere Sinneseindrücke nach ihrer Verlässlichkeit beurteilen und gewichten«, erklärt der Leiter der Studie, Prof. Dr. Peter König von dem Institut für Kognitionswissenschaften der Universität Osnabrück.

»Wenn wir beispielweise eine Straße überqueren, so verlassen wir uns bevorzugt auf unseren Sehsinn. Dagegen würden wir an einem nebligen Tag, mit eingeschränkter Sichtbarkeit, stärker auf den Verkehrslärm achten, also die akustischen Informationen als verlässlicher einstufen. Unser Gehirn bewertet also die Verlässlichkeit von Sinneswahrnehmungen.«

Wie geht unser Gehirn aber mit lückenhaften Informationen um? Hier kommt der Blinde Fleck ins Spiel: wir sehen, indem die Lichtreize von der Außenwelt auf die Sehzellen in der Netzhaut des Auges gelangen. An der Stelle, wo die Austrittstelle des Sehnervs befindet, gibt es aber keine Sehzellen, folglich können wir dort keine Informationen sammeln. Dies entspricht dem Blinden Fleck, den jeder im Auge hat aber nicht wahrgenommen wird.

»Im Fall des Blinden Flecks vervollständigt unser Gehirn automatisch die fehlende Information, indem es auf die Inhalte der benachbarten Stellen zurückgreift. Dadurch fällt uns keine Lücke auf«, erläutert Prof. König, und fügt hinzu: »Dieses Vervollständigen durch das Gehirn, auch als ‚filling-in‘ Effekt genannt, ist zwar ausreichend im Alltag, aber sonst grundlegend unzuverlässig. Faktisch kommen keine direkten visuellen Informationen von der Außenwelt im Gehirn an«, so der Kognitionswissenschaftler. »Doch ob wir uns überhaupt bewusst sind, dass so eine Information nicht vertrauenswürdig ist, war bisher vollkommen unklar. «

Hierzu wurde eine Studie mit 100 Probanden durchgeführt, welche zwei Kreise vergleichen sollten, die physikalisch unterschiedlich waren aber wegen des blinden Flecks als gleich wahrgenommen wurden. Die Aufgabe war, denjenigen Kreis auszuwählen, der durchgängig gestreift war.

»Wir hatten angenommen, dass die Probanden, da sie ja vom Blinden Fleck nichts wussten, sich gleich häufig für den einen und den anderen Kreis entscheiden, oder aber bevorzugt den lückenlosen, wirklich durchgängig gestreiften auswählen würden,“ erklärt der Erstautor Benedikt Ehinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Osnabrück. Herausgekommen ist aber genau das Gegenteil: »Die Probanden wählten bevorzugt den Kreis aus, der teilweise im blinden Fleck angezeigt wurde, also nicht den, den sie tatsächlich zu hundert Prozent sehen konnten. Das war ein verblüffendes Ergebnis.«

Anders gesagt: Wenn im Gehirn die verschiedenen bildlichen Sinneseindrücke verglichen werden, genießt die vom Gehirn selbst interpretierte bildliche Information eine höhere Vertrauenswürdigkeit als das im echt gesehene Sinnesreiz.

Nach diesem Ergebnis stellen sich neue spannende Fragen: Lässt sich dieses Effekt auch bei anderen vom Gehirn konstruierten Sinneseindrücken, zum Beispiel bei visuellen Illusionen beobachten? Wie genau wird die Verlässlichkeit gewichtet? Was sind die genauen Mechanismen wonach im Gehirn die Entscheidungen getroffen werden ausgehend von den verschieden zuverlässigen Sinneseindrücken?

Wohlgemerkt: »Im Alltag dürfte uns der Blinde Fleck nicht zu bedeutenden Falschinformationen führen, zumal meist beide Augen geöffnet sind. Aber, dass subjektive Wahrnehmung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit manchmal über die Wirklichkeit gestellt wird, sollte genauer untersucht und beachtet werden«, so der Osnabrücker Kognitionswissenschaftler Prof. König.

Weitere Informationen für die Medien:

Prof. Dr. Peter König, Universität Osnabrück,
Institut für Kognitionswissenschaft,
Abteilung Neurobiopsychologie,
Wachsbleiche 27, 49090 Osnabrück,
Tel: +49 541 969 2399 Fax: +49 541 969 2596,
E-Mail: peter.koenig@uni-osnabrueck.de

Benedikt Ehinger, Universität Osnabrück,
Institut für Kognitionswissenschaft,
Abteilung Neurobiopsychologie,
Wachsbleiche 27, 49090 Osnabrück,
Tel: +49 541 969 2245 Fax: +49 541 969 2596,
E-Mail: behinger@uni-osnabrueck.de

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Dr. Utz Lederbogen idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

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