Computer mit Köpfchen

Um eine bessere Übertragungsqualität von Hirnsignalen zu erreichen, tragen die Forscher Kontaktgel auf die Elektroden einer EEG-Kappe auf. Foto: Michael Veit

Beim Filtern von Informationen mit Suchmaschinen, als Gegner bei Brettspielen oder zur Erkennung von Bildinhalten: Bei bestimmten Aufgaben ist künstliche Intelligenz der menschlichen längst überlegen. Wie Ideen aus der Informatik auch die Hirnforschung revolutionieren könnten, zeigen nun mehrere Gruppen aus dem Freiburger Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools um den Neurowissenschaftler Privatdozent Dr. Tonio Ball.

Im Fachjournal „Human Brain Mapping“ demonstrieren sie, wie ein selbstlernender Algorithmus menschliche Hirnsignale entschlüsselt, die von einem Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen wurden. Darunter waren zum Beispiel ausgeführte, aber auch bloß vorgestellte Fuß- und Handbewegungen oder eine imaginäre Rotation von Gegenständen. Obwohl ihm keine Merkmale zur Auswertung vorgegeben sind, arbeitet der Algorithmus so schnell und präzise wie herkömmliche Systeme, die für die Lösung bestimmter Aufgaben anhand vorher bekannter Hirnsignal-Eigenschaften entworfen wurden – und sich deswegen nicht in allen Fällen eignen.

Die Nachfrage nach solch vielseitigen Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine ist groß: Am Universitätsklinikum Freiburg würde man sie beispielsweise zur Früherkennung epileptischer Anfälle nutzen. Denkbar sind aber auch verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten für Schwerstgelähmte oder eine automatisierte Diagnostik in der Neurologie.

„Unsere Software basiert auf Modellen, die vom Gehirn inspiriert sind und sich als äußerst hilfreich dabei erwiesen haben, verschiedene natürliche Signale, wie zum Beispiel Sprachlaute, zu entschlüsseln“, sagt der Informatiker Robin Tibor Schirrmeister. Damit umschreibt der Forscher die Methode, die das Team zur Dekodierung der EEG-Daten nutzte: So genannte künstliche neuronale Netze sind das Herzstück des aktuellen Projekts bei BrainLinks-BrainTools.

„Das Tolle an dem Programm ist, dass wir keine Merkmale vordefinieren müssen. Die Informationen werden schichtweise, also in mehreren Instanzen, mittels einer non-linearen Funktion verarbeitet. Somit lernt das System selbst, Aktivitätsmuster von verschiedenen Bewegungen zu erkennen und voneinander zu unterscheiden“, erklärt Schirrmeister. Das Modell ist an die Verbindungen zwischen Nervenzellen im menschlichen Körper angelehnt, wo elektrische Signale von Synapsen über Zellfortsätze zum Zellkern und wieder hinaus geleitet werden. „Die Theorien dazu sind schon seit Jahrzehnten im Umlauf, aber erst mit der Rechenleistung heutiger Computer wurde das Modell praktikabel“, kommentiert Schirrmeister.

Typischerweise wird die Genauigkeit des Modells mit einer größeren Anzahl von Verarbeitungsschichten besser. Bis zu 31 kamen bei der Studie zum Einsatz. Dabei spricht man von „Deep Learning“. Problematisch jedoch war bisher der Umstand, dass die Verschaltung eines Netzwerks nach dem Lernvorgang kaum noch interpretierbar ist. Alle algorithmischen Prozesse passieren unsichtbar im Hintergrund. Deshalb veranlassten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Software dazu, Karten zu erstellen, anhand derer sie die Dekodierungsentscheidungen nachvollziehen konnten. Jederzeit können die Forschenden dem System neue Datensätze hinzufügen.

„Im Unterschied zu bisherigen Verfahren können wir direkt an die Rohsignale gehen, die das EEG vom Gehirn aufnimmt. Dabei ist unser System mindestens genauso präzise oder sogar besser“, fasst Versuchsleiter Tonio Ball den wissenschaftlichen Wert der Studie zusammen. Das Potenzial der Technologie ist noch nicht ausgeschöpft – der Forscher möchte sie mit seiner Gruppe weiterentwickeln: „Unsere Vision für die Zukunft sind selbstlernende Algorithmen, die in der Lage sind, unterschiedlichste Absichten des Nutzers noch zuverlässiger und schneller anhand seiner Hirnsignale zu erkennen. Außerdem könnten solche Algorithmen künftig die neurologische Diagnostik unterstützen.“

Originalveröffentlichung
Schirrmeister RT, Springenberg JT, Fiederer LDJ, Glasstetter M, Eggensperger K, Tangermann, M, Hutter F, Burgard W, Ball T; Deep learning with convolutional neural networks for EEG decoding and visualization. 2017 Hum Brain Mapp. DOI: 10.1002/hbm.23730. URL: https://arxiv.org/abs/1703.05051

BrainLinks-BrainTools
http://www.brainlinks-braintools.uni-freiburg.de

Kontakt:
Robin Tibor Schirrmeister
Translational Neurotechnology Lab
Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/270-93300
E-Mail: robin.schirrmeister@uniklinik-freiburg.de

https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2017/computer-mit-koepfchen

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