Revolution in 3D – intelligente Stadtmodelle

Im Hafen von New York explodiert eine Bombe, Verletzte liegen am Kai, eine radioaktive Wolke fegt durch die Straßenschluchten. Auf solche Situationen können sich Sicherheits- und Rettungskräfte, Stadtplaner und Katastrophenmanager nur unzureichend vorbereiten, da sie nicht im Voraus wissen können, wo Terroristen zuschlagen, eine explodierende Gasleitung Häuserzeilen einstürzen lässt oder eine Flutwelle durch die Straßen schießt.

Im Chaos unmittelbar danach die richtigen Maßnahmen ergreifen, sofort das richtige Gebäude für ein Notkrankenhaus finden oder die besten Zufahrts- und Abtransportwege für Rettungskräfte festlegen, ist schwierig. Es sei denn, die Verantwortlichen haben sich im Vorfeld mit Prof. Dr. Thomas Kolbe vom Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik der TU Berlin zusammengesetzt.

Das Beispiel mit der Bombe, die Radioaktivität freisetzt, hat der Informatiker und Geowissenschaftler mit den verantwortlichen Stellen der Stadt New York durchgespielt. Dabei übernimmt ein dreidimensionales Stadtmodell die Rolle des Katastrophenmanagers, das Kolbe gemeinsam mit Kollegen in aller Welt entwickelt hat. Der Informatiker erläutert die Unterschiede zu herkömmlichen 3D-Stadtmodellen. Sieht ein Benutzer eine dreidimensionale Ansicht des Berliner Reichstages, fallen ihm oft weitere Informationen ein, die nicht im herkömmlichen 3D-Modell enthalten sind: Das Bild zeigt zum Beispiel ein Gebäude mit einer riesigen, durchsichtigen Kuppel. Oft weiß der Betrachter auch noch, dass im Innern des Gebäudes der Deutsche Bundestag sitzt, und vielleicht kennt er auch noch das Baumaterial des Reichstages.

Alle diese Informationen aber enthalten bisherige Modelle nicht. Integriert man diese zusätzlichen Informationen in ein 3D-Modell, spricht man von „semantischen 3D-Stadtmodellen“. Würde man das herkömmliche Modell als den Teil eines Eisbergs darstellen, der über Wasser gut sichtbar ist, zeigt das semantische 3D-Modell auch die unter dem Wasserspiegel liegenden verborgenen Teile des Eisberges. Dieser Vergleich zeigt die großen Anforderungen, vor denen Thomas Kolbe und seine Kollegen stehen, wenn sie ihre „intelligenten“ 3D-Stadtmodelle entwickeln. So müssen alle wichtigen Objekte der Stadt im Computer erfasst werden. Solche Datensätze erarbeitet Thomas Kolbe zum Beispiel mit den Landesvermessungs- und den Katasterämtern. In Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Frankfurt am Main und ganz Nordrhein-Westfalen ist dieses Modell bereits angekommen.

Am Anfang ist der Aufwand groß, und auch im Betrieb muss ein solches Stadtmodell gepflegt und zum Beispiel ein neuer Kreisverkehr oder neue Einbauten in bestehende Modelle nachgetragen werden. Gemeinsam mit der Berliner Stadtverwaltung haben Thomas Kolbe und Kollegen von der Universität Bonn eine solche 3D-Datenbank für die Stadt entwickelt. Damit können Feuerwehr und Polizei Einsätze in Echtzeit üben, das System kann aber im Ernstfall auch schnell den besten Weg zum Einsatzort oder einen Fluchtweg aus einem brennenden Gebäude ermitteln.

Da jede Anwendung unterschiedliche Anforderungen an die Modelle stellt, haben Thomas Kolbe und seine Kollegen das Stadtmodell in verschiedene Detail-Stufen unterteilt: Level 1 ist eine Art Klötzchenmodell, das Straßenzüge nur grob skizziert. Level 2 zeigt bereits typische Dachstrukturen wie Sattel- oder Flachdach, in Level 3 werden noch feinere Strukturen wie Außentreppen, Schornsteine oder Gebäudesimse gezeigt. Das höchste Level 4 zeigt dann sogar, wie die Gebäude im Inneren aussehen. Damit lassen sich Fluchtwege oder mögliche Hohlräume nach dem Einsturz eines Gebäudes ausrechnen, in denen Menschen überlebt haben könnten.

Längst leitet der TU-Forscher Thomas Kolbe die deutschlandweite Arbeitsgruppe mit internationaler Beteiligung „Special Interest Group 3D“ (SIG 3D), deren Mitarbeiter zu gleichen Teilen aus Wissenschaft, Industrie und Verwaltung kommen. Diese Gruppe entwickelt einen einheitlichen Standard mit dem Namen CityGML, nach denen solche 3D-Stadtmodelle in Zukunft weltweit aufgebaut sein werden. In diesem Bereich sind deutsche Forscher wie Thomas Kolbe schon seit einigen Jahren Weltspitze. Die Verwendung des unter Federführung der TU Berlin entstandenen Standards für die Simulation der Explosion einer schmutzigen Bombe im New Yorker Hafen demonstriert diese Führung sehr deutlich.

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Weitere Informationen erteilen Ihnen gern: Prof. Dr. Thomas Kolbe, Institut für Geodäsie und Geoinformationstechnik, TU Berlin, Tel.: 030/314-23274 oder -23205, E-Mail: kolbe@igg.tu-berlin.de

Hinweis: Dieser Beitrag ist das „Thema der Woche – EIN-Blicke für Journalisten“ auf dem TUB-newsportal. Sie finden dort neben dem Beitrag eine Fotogalerie, einen Expertendienst sowie weiterführende Links:

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