Formeln zum Leben erwecken

Selbst Hollywood kommt nicht mehr ohne Mathematiker aus. Zu komplex sind die Spezial-Effekte in den modernen Kinofilmen: Superhelden turnen durch die Skyline von New York, Dinosaurier stapfen durch prähistorische Landschaften und Pistolenkugeln fliegen in Zeitlupe durch die Luft – alles erscheint echt und sieht auch so aus. Solche Effekte entstehen in Computern, die mit Algorithmen gefüttert werden. Das sind komplizierte Formeln, die dem Computer vorgeben, was er rechnen muss, damit am Schluss eine ansehnliche Animation oder ein spektakulärer Trick herauskommt. So werden Zahlen sichtbar und lebendig.

Konrad Polthier beschäftigt sich schon sein ganzes akademisches Leben mit der „Visualisierung der Mathematik“, also dem Sichtbarmachen von Formeln und Gleichungen. Wer dabei an „Malen nach Zahlen“ denkt, liegt vollkommen falsch. Der Professor am Fachbereich für Mathematik und Informatik der Freien Universität Berlin entwickelt zusammen mit seinem Team Algorithmen, die dabei helfen, dass Spiderman & Co. realistisch wirken. „Wir kooperieren mit einer Computer-Grafik-Firma aus Berlin“, sagt Polthier. Deren Kunden sind Filmstudios aus Hollywood.

Doch die Unterhaltung im Kino ist nicht das Hauptanliegen des Zahlen-Zauberers. Schon während seines Studiums in den 1980er Jahren begann er, Gleichungen in Bilder zu verwandeln. Damals kamen die ersten Grafik-Computer auf den Markt. und erschlossen alle drei Dimensionen des Raumes: Die ersten 3D-Grafiken wurden geboren. Polthier erkannte die Möglichkeiten und war einer der Ersten, der sie nutzte. „Ich wollte eine Brücke bauen von der abstrakten Forschungs-Mathematik zu den Menschen, die sich populär-wissenschaftlich dafür interessieren“, sagt der Wissenschaftler. Er selbst konnte sich schon in der Schule für Mathe begeistern. „Ich hatte einen sehr guten Lehrer.“ Zwischen Fußballverein und Radtouren nahm er damals an Mathematik-Olympiaden teil und belegte selbstverständlich den Leistungskurs Mathematik. „Auf viele wirkt Geometrie ziemlich trocken, dabei ist sie das überhaupt nicht.“ Ein Mathematiker habe ja keine Zahlenkolonnen im Kopf, „da passiert etwas Lebendiges“. Das will er mit anderen teilen.

Ein Verlag sah die ersten Grafiken von Polthier in den 80er Jahren und war so beeindruckt von der Ästhetik der geometrischen Figuren, dass er einen Bild-Kalender veröffentlichte. Daraus entstand eine ganze Reihe; erst in schwarz-weiß, später mit aufwändigen Farbdrucken. Knubbelige Körper, elastische Kurven und virtuelle Seifenblasen, die in der realen Welt sofort zerplatzen würden, sind da zu sehen. Auch Filme über die mathematischen Mysterien und ihre Zusammenhänge hat Polthier mit seinem Team produziert. Der Neuste erscheint im Dezember auf DVD; „Mesh“ heißt er. Der Inhalt: Alle Körper und Formen lassen sich als ein Netz vieler kleiner Flächen darstellen, so genannte polyedrische Flächen, mit denen sich im Computer besonders gut arbeiten lässt. Was sich trocken anhört, kommt in dem Film als unterhaltsame und spannende Geschichte daher. Es spannt den Bogen von den griechischen Philosophen wie Platon bis zur modernen Computer-Grafik und zur modernen Wissenschaft – alles faszinierend animiert. „Die Zielgruppe sind nicht Forscher, sondern Lehrer, Schüler oder Hobby-Mathematiker“, sagt Polthier. Seine Filme wurden bereits mehrfach international ausgezeichnet.

Schon einmal, vor mehr als 100 Jahren, gab es in der Mathematik einen Trend zur Visualisierung – damals natürlich nicht als Film oder Grafik. In Göttingen fertigten Studierende und Professoren Gips-Modelle von errechneten geometrischen Körpern und diskutierten darüber in ihren Seminaren. Doch auch in der Welt der Zahlen gibt es Moden. „In den Jahrzehnten danach rückte die Anschaulichkeit in den Hintergrund“, sagt Polthier. Die Mathematiker des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts konzentrierten sich mehr auf die Grundlagenforschung – präzise, aber abstrakt.

So wurde Polthier mit dem Computer in den 80er Jahren zu einem Vorreiter seiner Zunft. Anfangs gab es noch einige Puristen unter den Forscher-Kollegen, die seine Darstellungen zunächst für Spielereien hielten. Doch es hat sich viel getan. „Heute gehören Programmier-Kenntnisse für jeden Mathe-Studenten ebenso dazu wie das Schreiben einer E-Mail“, sagt er.

Mathematiker sind mittlerweile auch in der Wirtschaft gefragte Leute. Die wichtigsten mathematischen Institute und Einrichtungen in Berlin haben sich in einem Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft zusammengetan. „Matheon“ heißt es und beschäftigt sich mit der „Mathematik für Schlüsseltechnologien“. Auch die Freie Universität ist daran beteiligt. So können Polthiers Forschungen von der Industrie genutzt werden – zum Beispiel bei der Entwicklung eines Oberflächendesigns für ein Auto oder eine Computer-Maus. Die Verbindung von Effizienz und Schönheit ist das Ziel.

„Anschaulichkeit fördert Inspiration“, findet Polthier. Deswegen setzt er seine Animation und Bilder verstärkt in der Lehre ein. Und wer weiß, vielleicht entwickelt einer seiner Studierenden eine Formel, mit der sich auch die Drehbücher manch eines Hollywood-Filmes verbessern lassen.

Von Oliver Trenkamp

Weitere Informationen über die DVD „Mesh“:
http://www.springer.com/3-540-28478-8
Kontakt:
Prof. Dr. Konrad Polthier, Fachrichtung Numerische Mathematik und Scientific Computing der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-75871, E-Mail: polthier@mi.fu-berlin.de

URL dieser Pressemitteilung: http://idw-online.de/pages/de/news187590

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