Das Stasi-Puzzle

Mit innovativer Scannertechnologie werden Dokumente in hoher Geschwindigkeit verarbeitet <br>© Lufhansa Systems

In 16 000 Säcken lagern zerrissene Dokumente der Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Die manuelle Rekonstruktion des immensen Schnipselberges würde einige 100 Jahre dauern. Ein System für die automatische Rekonstruktion zerstörter Dokumente kann das Stasi-Puzzle in fünf Jahren zusammensetzen. Konzipiert wurde es vom Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK und der Lufthansa Systems GmbH im Auftrag der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, BSTU.

Aufarbeitung eines Stücks deutscher Geschichte: Im Berliner Ministerium für Staatssicherheit und seinen Bezirksverwaltungen lief in den Zeiten der Wende eine beispiellose Aktion. Zwischen Herbst 1989 und Januar 1990 wurden dort systematisch Akten vorvernichtet. Weil die Reißwölfe ausfielen, konnte ein Teil der Unterlagen nur per Hand zerrissen werden. Das Ergebnis: 16 000 Säcke voll mit Papierschnipseln. Geheime Informationen über inoffizielle Mitarbeiter und Stasi-Opfer sind in den Schnipseln verborgen. Seit Jahren sind Mitarbeiter der BSTU daran, diese Papierschnipsel zu sichten, zu sortieren und von Hand wieder zusammenzusetzen: Mit dieser Methode eine Arbeit für einige 100 Jahre. Inspiriert durch einen Fernsehbericht über dieses manuelle Puzzeln entstand am Fraunhofer IPK die Idee, mittels computergestützter Rekonstruktionsverfahren den Vorgang des Schnipselzusammensetzens zu automatisieren. Bereits vor Jahren wurde begonnen, ein elektronisches Puzzeln zu entwickeln. Gegen eine große Konkurrenz gewannen IPK und Lufthansa Systems die Ausschreibung der BSTU – gemäß einer Initiative des deutschen Bundestages – für eine Konzeptstudie. Dazu gehörte auch, mit einem Prototypen Originalschnipsel automatisch zusammenzusetzen, um so die Machbarkeit zu belegen.

Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Schnipsel in eine elektronische Form gebracht werden. Den dafür erforderlichen Scanprozess will Lufthansa Systems übernehmen. Das Unternehmen ist mit der Tochter-Gesellschaft für beleglose Dokumentenbearbeitung (GbD) europaweit einer der größten Anbieter von Outsourcing-Lösungen im Bereich der elektronischen Belegerfassung, -bearbeitung und -archivierung. Das Unternehmen verarbeitet heute bereits jährlich bis zu 100 Millionen Dokumente. „Dank langjähriger Prozesserfahrung, hoher Qualitäts- und Leistungsstandards, kombiniert mit innovativer Scannertechnologie, können wir Material jeder Größenordnung und Beschaffenheit scannen. Die Schnipsel scannen wir beidseitig und in Farbe. Der Unterschied zu herkömmlichen Belegen ist, dass die Stasischnipsel sehr klein sind und keine rechtwinkligen Kanten haben. Deshalb müssen die Schnipsel zunächst vereinzelt und in Folientaschen sortiert werden, um sie dann dem automatischen Scanvorgang zuzuführen“, so Dr. Gunter Küchler, Geschäftsführer Lufthansa Systems Group GmbH.

Digitale Schnipsel zu haben, ist das Eine. Das Andere ist, die vielen Einzelteile zu Seiten zusammenzufügen. „Wir haben eine Erkennungssoftware als Prototyp entwickelt, die in der Lage ist, die zerrisenen Akten zu rekonstruieren“, sagt Dr. Bertram Nickolay vom IPK. Das System arbeitet in zwei Schritten: Zuerst sortiert es ähnliche Schnipsel zusammen. Dafür werden die Schnipselform sowie die Farbe, Textur, Linierung, das Schriftbild und die Schriftart des Papiers analysiert. „So schränken wir den Suchraum ein. Die Rekonstruktion der zusammengehörenden Papierstücke geht dann schneller“, so Dr. Nickolay weiter. Nach dieser Vorsortierung folgt das Zusammensetzen der Seiten. Anhand der Informationen über die einzelnen Schnipsel werden mögliche Schnipselnachbarn ausgewählt. Wie bei einem gigantischen Puzzle werden die Konturen und Schnipselmerkmale bewertet. Wenn alle Parameter übereinstimmen, ist das nächs-te Teil des Puzzles gefunden. Schnipsel für Schnipsel entstehen so wieder Seite für Seite der vernichteten Akten.

„Zu Schereffekten, also ausgefaserten Papierkanten kommt es, wenn Dokumente per Hand zerrissen werden“, erklärt Dr. Nickolay. „Unsere Algorithmen arbeiten flächen- und konturbasiert, das heißt sie berücksichtigen sowohl die Form als auch den Inhalt der Schnipsel. Deshalb sind sie besonders robust und können die zusammengehörigen Puzzlestücke sicher erkennen.“

Das gemeinsame Konzept von Lufthansa Systems und IPK könnte das Stasi-Puzzle – die Rekonstruktion der zerrissenen Dokumente – in fünf Jahren bewältigen.

Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Bertram Nickolay
Telefon 0 30/3 90 06-2 01, Fax 0 30/3 91 75 17, bertram.nickolay@ipk.fraunhofer.de

Ottmar Bünnemeyer
Telefon 0 30/3 90 06-2 05, ottmar.buennemeyer@ipk.fraunhofer.de

Sandra Hammer
Telefon 0 69/6 96-9 07 76, Fax -9 07 77, publicrelations@LHsystems.com

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Dr. Johannes Ehrlenspiel Fraunhofer-Gesellschaft

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