ArchiSig mach elektronische Dokumente rechtssicher

Wem glaubt ein Richter, wenn ihm elektronische Dokumente als Beweis vorgelegt werden? Seine Entscheidung kann er jetzt mit „ArchiSig“ treffen, einem neuartigen System zur rechtssicheren Aufbewahrung elektronisch signierter Dokumente, das jetzt unter Federführung der Universität Kassel entwickelt und in einer Simulationsstudie erfolgreich getestet wurde.

Kassel. Viele Jahre nach der Einführung elektronischer Aktenführung klagt Herr Teron gegen die Berufsgenossenschaft wegen seiner Berufsunfähigkeitsrente. Er macht eine unheilbare Lungenschädigung geltend, weil er vor 30 Jahren asbesthaltige Materialien habe verarbeiten müssen. Zu dem Prozess kam es, weil die Berufsgenossenschaft sich ihrerseits auf archivierte elektronische Ergebnisberichte der damaligen Routineuntersuchungen stützte, nach denen seinerzeit keine Auffälligkeiten festgestellt worden waren. Herr Teron dagegen legt für seinen Anspruch den elektronischen Bericht einer privatärztlichen Untersuchung vor, die damals schon einschlägige Anfangsschädigungen feststellte. Die Berufsgenossenschaft zweifelt an der Echtheit dieses Berichts und schließt sogar eine Fälschung durch Herrn Teron nicht aus. Wem kann der Richter glauben? Seine Entscheidung traf er mit „ArchiSig“, einem neuartigen System zur rechtssicheren Aufbewahrung elektronisch signierter Dokumente, das jetzt unter Federführung der Universität Kassel entwickelt und in einer Simulationsstudie erfolgreich getestet wurde.

Dokumente mit rechtsrelevanten Erklärungen oder Feststellungen sollen in Konfliktfällen Beweissicherheit schaffen und eigentlich solche Streitigkeiten vermeiden. Dokumente über Forderungen werden deshalb aufbewahrt, solange sie geltend gemacht werden können – bis über 30 Jahre lang. Dokumente über die Rechtsstellung eines Menschen müssen unter Umständen ein ganzes Menschenleben aufbewahrt werden, Dokumente über Rechte an einem Grundstück oder Gebäude unter Umständen sogar weit mehr als ein Jahrhundert. Will man der Nachwelt ein Dokument aus historischen Gründen aufbewahren, ist dieser Zeitraum noch länger. Bisher bestanden solche Dokumente aus Papier und waren eigenhändig unterschrieben. Für die Aufbewahrung unterschriebener Papierurkunden bestehen Jahrhunderte lange Erfahrungen. Die Aufbewahrung elektronisch signierter Dokumente hingegen ist weitgehend Neuland, zumal wenn sie rechtsverbindlich sein soll. Erste Erfahrungen mit elektronischen Signaturen, die eigenhändige Unterschriften ersetzen, gibt es schon. Doch die langfristige Aufbewahrung elektronisch signierter Dokumente war bisher ein völlig ungelöstes Problem.

Die Schwierigkeiten bestehen zum einen darin, dass elektronische Signaturen auf kryptographischen Verfahren beruhen, die mit dem Fortschritt der Rechnertechnologie nach und nach an Sicherheit verlieren. Elektronische Signaturen müssen daher immer wieder mit besseren Algorithmen neu „versiegelt“ werden. Auch muss schon heute entschieden werden, welche Daten für die Überprüfung der Urheberschaft einer Signatur im vielen Jahren erforderlich sein könnten. Diese Verifikationsdaten werden nämlich nach Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr zur Verfügung stehen und müssen daher von Beginn an mit dem Dokument archiviert werden.

Zwar bieten elektronische Signaturen Rechtssicherheit. Doch gab es bisher noch keine Gerichtsentscheidung zu deren Beweiswert. Und was nützt elektronische Kommunikation, wenn am Ende alle elektronischen Dokumente auf Papier gedruckt werden müssen, um rechtsgemäß aufbewahrt werden zu können? Die verbleibende Unsicherheit wird noch verschärft, wenn es um langfristig aufbewahrte signierte Dokumente geht. Ein Archivsystem, dem auch noch nach Jahrzehnten beweistaugliche elektronische Dokumente entnommen werden können, erwies sich deshalb als ein Grundproblem des elektronischen Geschäfts- und Verwaltungsverkehrs.

In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit geförderten Konsortialprojekt „Beweiskräftige und sichere Langzeitarchivierung digital signierter Dokumente (ArchiSig)“ (Partner: Fraunhofer-Institut SIT, Universität Heidelberg, PERGIS, Secude, IXOS, IZN, Archivverwaltung Niedersachsen, DATEV, T-Systems, s. www.archisig.de) wurde nun unter Mitwirkung der Projektgruppe verfassungsverträgliche Technikgestaltung (provet) an der Universität Kassel (http://www.uni-kassel.de/fb10/oeff_recht/projekte/provet.ghk) unter Leitung von Prof. Dr. Alexander Roßnagel ein Konzept für die rechtssichere Langzeitaufbewahrung elektronisch signierter Dokumente entwickelt, das auch für große elektronische Archive geeignet ist. Ein Prototyp des ArchiSig-Systems wird derzeit im Universitätsklinikum Heidelberg real erprobt. Automatisiert werden durch ArchiSig die notwendigen Verifikationsdaten erhoben und zusammen mit dem Dokument gespeichert, die auslaufende Sicherheitseignung von Signaturen erkannt und alle Dokumente, für die dies zutrifft, erneut signiert.

Um zu testen, inwieweit dieses Konzept geeignet ist, mit den archivierten elektronisch signierten Dokumenten auch noch nach vielen Jahren Beweis zu erbringen, haben die Forschergruppen provet und FhG-SIT eine Simulationsstudie entwickelt, die im September und Oktober 2003 durchgeführt wurde. Richter, Rechtsanwälte und Gutachter überprüften in zwölf gerichtlichen Verfahren, deren Streitgegenstand realistischen Streitfällen nachgestellt war, die entwickelten Konzepte und prototypischen Lösungen auf ihre Beweistauglichkeit. Hierfür wurde für die beweiserheblichen elektronisch signierten Dokumente ein Archivierungsverfahren für einen Zeitraum von über 40 Jahren im „Zeitraffer“ durchgeführt. Am 15. und 16. Oktober 2003 fanden in Heidelberg die mündlichen Verhandlungen im Rahmen des Simulationsprojekts statt.

Durch die Prozesse konnte eine erheblich größere Einschätzungssicherheit für die Beweistauglichkeit archivierter signierter Dokumente gewonnen werden. Dabei haben die mit ArchiSig aufbewahrten Dokumente durchweg ihre Beweistauglichkeit erwiesen. Dokumente, bei denen Neusignierungen oder Verifikationsdaten fehlten, konnten meist keinen Beweis erbringen. Für Richter und Rechtsanwälte war die Fragestellung zwar ungewohnt, aber in allen Fällen – oft mit Hilfe von Sachverständigen – zu bewältigen.

Herr Teron hat seinen Prozess übrigens verloren. Während die Berufsgenossenschaft ihre Dokumente mit ArchiSig aufbewahrt hatte, konnte er nur vortragen, seine Dokumente 30 Jahre auf seinen Festplatten gespeichert zu haben. Dies war für einen Echtheitsbeweis trotz Signatur dem Richter zu wenig. Herr Teron sieht nun einem Strafprozess entgegen.

Info:

Universität Kassel
Prof. Dr. Alexander Roßnagel
FB Berufsbildungs-, Sozial- und Rechtswissenschaft
Tel. (0561) 804-3130 oder -2442

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Ingrid Hildebrand idw

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