Warum Geld Tauschringe nicht ersetzen kann – Mehr Sozialprestige durch Geben und Annehmen

Ein- bis zweimal im Jahr legen die Inselbewohner mehrtägige Seereisen zurück, um Tauschpartner aufzusuchen und aus Schneckengehäusen gefertigte Armreifen gegen Halsketten aus Spondylus-Muscheln zu tauschen. Aber Malinowski irrte: Auch nach der Einführung des Geldes setzten sie ihre Tauschexpeditionen fort. Warum Tauschringe heutzutage noch weltweit verbreitet sind, erklärt der Ethnologe Prof. Dr. Hans Peter Hahn in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“.

„Keine Gesellschaft kann existieren, ohne Praktiken der Gabe und ohne Anerkennung für Gebende“, erläutert Hahn, Professor für Ethnologie an der Goethe-Universität. Der Wert der Objekte des Kula-Tauschrings speist sich aus den immer wieder erzählten Geschichten von erfolgreichen Tauschakten, Vorbesitzern und Gefahren, die beim Tausch zu meistern waren. Das Ansehen des Tauschpartners in Verbindung mit der Wertschätzung des Tauschobjektes sind soziale und kulturelle Tatsachen; zugleich sind sie das Fundament sozialer Beziehungen. Deshalb ist die Verpflichtung der Gabe universal verbreitet und wurde mit der Einführung des Geldes nicht obsolet.

Das gilt auch in modernen Gesellschaften, in denen Geld längst dominiert. Tauschringe gibt es in vielen Städten Deutschlands (www.regiogeld.de/initiativen.html). In der Regel verstehen sie sich zunächst als Einrichtungen der Nachbarschaftshilfe. Im weltweiten Maßstab gibt es jedoch auch sehr viel größere Tauschringe, etwa in Argentinien, wo mehrere hunderttausend Personen beteiligt sind. Egal ob es dabei um „Creditos“ (in Argentinien), „Time Dollar“ (in den U.S.A.) oder „Bockis“ (in Frankfurt-Bockenheim) geht, stets geben sich die daran beteiligten Personen bestimmte Regeln, denen die getauschten Leistungen unterliegen. So sind vielfach nur bestimmte Leistungen gegeneinander zu tauschen, oft verfallen die Gutscheine, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist eingelöst werden, und nicht zuletzt gibt es Begrenzungen, was das Ansammeln solcher Gutscheine betrifft.

Hahn hebt zwei Eigenschaften als gemeinsame Merkmale des Kula-Tauschzyklus und des modernen Tauschringes hervor: Erstens geht es um die sozialen Pflichten, die an den – stets nur vorübergehenden – Besitz geknüpft sind. Der zweite Aspekt betrifft das Verhältnis zum gemünzten, staatlich garantierten Geld: Entgegen der Auffassung, bei Tauschsystemen handele es sich um „primitive“, zeitlich vor der Verbreitung des Geldes einzuordnende Institutionen, beweisen sie die Möglichkeit einer gleichzeitigen Existenz. Tauschringe haben offensichtlich spezielle Eigenschaften, die dem Geld fehlen, oder wenigstens in der monetären Sphäre weniger leicht zu realisieren sind.
Dazu Hahn: „Wer bereit ist zu geben und eine Gabe anzunehmen, erhält mehr als den Wert der Ware. Für die Öffentlichkeit klar erkennbar genießt er auch soziales Ansehen. Die Pflichten der Annahme und der Erwiderung zeigen seine Bereitschaft, am Erhalt sozialer Bindungen mitzuarbeiten.“ Die genauere Betrachtung der vielen Dimensionen von Tauschringen leistet deshalb einen wichtigen Beitrag, um verborgene Dimensionen des Geldgebrauchs aufzuzeigen und die nicht ökonomischen Voraussetzungen der Wirtschaft besser zu verstehen.

Informationen: Prof. Dr. Hans Peter Hahn, Institut für Ethnologie, Campus Westend, Tel: (069) 798-33064, hans.hahn@em.uni-frankfurt.de.

„Forschung Frankfurt“ kostenlos bestellen: ott@pvw.uni-frankfurt.de
Im Internet: www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/34831594/aktuelle_Ausgabe

Media Contact

Ulrike Jaspers idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften

Der neueste Stand empirischer und theoretischer Erkenntnisse über Struktur und Funktion sozialer Verflechtungen von Institutionen und Systemen als auch deren Wechselwirkung mit den Verhaltensprozessen einzelner Individuen.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Demografische Entwicklung, Familie und Beruf, Altersforschung, Konfliktforschung, Generationsstudien und kriminologische Forschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ideen für die Zukunft

TU Berlin präsentiert sich vom 22. bis 26. April 2024 mit neun Projekten auf der Hannover Messe 2024. Die HANNOVER MESSE gilt als die Weltleitmesse der Industrie. Ihr diesjähriger Schwerpunkt…

Peptide auf interstellarem Eis

Dass einfache Peptide auf kosmischen Staubkörnern entstehen können, wurde vom Forschungsteam um Dr. Serge Krasnokutski vom Astrophysikalischen Labor des Max-Planck-Instituts für Astronomie an der Universität Jena bereits gezeigt. Bisher ging…

Wasserstoff-Produktion in der heimischen Garage

Forschungsteam der Frankfurt UAS entwickelt Prototyp für Privathaushalte: Förderzusage vom Land Hessen für 2. Projektphase. Wasserstoff als Energieträger der Zukunft ist nicht frei verfügbar, sondern muss aufwendig hergestellt werden. Das…

Partner & Förderer