EU-Projekt: Vitalitätsbarometer für die Sprachen Europas soll Minderheitensprachen vor dem Aussterben schützen

Ein Vitalitätsbarometer für die Sprachen Europas soll uns in einigen Jahren zuverlässig anzeigen, welche Sprachen akut vom Aussterben bedroht sind oder aber auch als Minderheitensprachen eine gute Überlebenschance haben.

Unter der Leitung von Prof. Anneli Sarhimaa, Expertin für die nordischen und baltischen Sprachen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, werden im Auftrag der EU ab März 2010 Wissenschaftler an acht Universitäten in sechs europäischen Ländern ein solches Vitalitätsbarometer erarbeiten. Die Europäische Kommission misst dem Projekt große Bedeutung bei und stellt für die 42-monatigen Forschungen 2,7 Millionen Euro bereit.

Die Wissenschaftler werden 14 finnougrische Sprachen genauestens untersuchen. „Diese Sprachen eignen sich besonders gut, weil sie das ganze Spektrum der verschiedenen Minderheitensprachen abdecken, angefangen von autochthonen Sprachen wie die der Meänkieli-Sprecher in Schweden bis zur Sprache neuer Arbeitsmigranten, beispielsweise der Esten in Deutschland“, erklärt Projektleiterin Sarhimaa. Die Ergebnisse sollen ein europäisches Sprachvitalitätsbarometer ergeben, das so universell ist, dass es prinzipiell überall für alle Minderheitensprachen eingesetzt werden kann. Das European Language Vitality Barometer „EuLaViBar“ wäre so etwas wie die Rote Liste gefährdeter Arten: ein Gradmesser für den aktuellen Stand und das Ausmaß der Gefährdung. Es wäre damit auch ein Instrument für die EU, um zu überprüfen, wie die EU-Politik zum Schutz von Minderheiten umgesetzt wird.

12 Wissenschaftler sowie 20 Doktoranden und Postdocs aus Deutschland, Finnland, Österreich, Schweden, Estland, Russland und Slowenien werden für das Projekt zahlreiche Interviews vor Ort führen und Textdokumente der 14 Minderheitensprachen und der entsprechenden Mehrheitssprachen analysieren. Linguisten werden die Sprache der Seto im Osten von Estland genauso unter die Lupe nehmen wie die der Ungarn in Slowenien. Juristen prüfen die rechtliche Stellung der Minderheiten im Hinblick auf die EU-Gesetzgebung. Soziologen beurteilen die öffentliche Wahrnehmung der Volksgruppen. Statistiker erarbeiten die methodischen Grundlagen für die Materialerhebung und Auswertung.

„Mehrsprachigkeit ist ein Teil unseres großen europäischen Erbes“, sagt Sarhimaa. „Auch in Europa wachsen 46 Millionen Menschen mit der Sprache einer Minderheit und zugleich mit der gängigen Verkehrssprache auf.“ Dieses Erbe zu erhalten und zu schützen, ist Ziel des Projekts. Gefährdet ist diese Hinterlassenschaft außerhalb der EU zum Beispiel auch in Russland, unter anderem weil ehemals naturgebundene Völkergruppen vom Aussterben bedroht sind und mit ihnen auch die Sprache. Das Projekt European Language Diversity for All (ELDIA) erstreckt sich auch auf Karelier, Wepsen und Seto in Russland sowie die Nordsámi in Norwegen, die im grenznahen Bereich zur EU leben. Dass Minderheiten und Mehrheiten nicht im Wettbewerb stehen müssen und ihre Sprachen Seite an Seite bestehen können, auch dies hofft das Vitalitätsbarometer aufzuzeigen und damit zentrale Faktoren für den Spracherhalt herauszufiltern. Fest steht schon jetzt: Alle Sprachen, die von weniger als einer Million Menschen gesprochen werden, haben kaum eine Zukunft.

Das Projekt ist das budgetmäßig größte Projekt innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften, das an der Universität Mainz beheimatet ist, und stellt somit einen wichtigen Baustein für die Initiative „Pro Sozial- und Geisteswissenschaften“ dar. International gesehen ist ELDIA das umfangreichste Einzelprojekt zur Erforschung der finnougrischen Sprachen aller Zeiten. Beteiligt sind die Universitäten von Helsinki, Oulu, Tartu, Wien, Maribor und Mainz, die Hochschule Mälardalen sowie das Friedensinstitut der Ålandinseln. Es sollen aber auch die Betroffenen und ein breites Publikum mit einbezogen werden, darunter Nicht-Regierungsorganisationen, lokale Sprecher und Vertreter von Interessengruppen.

Koordinatorin des Projekts ist Anneli Sarhimaa, die selbst finnland-russische Wurzeln hat und heute zur kleinen Minderheit der Finnen in Deutschland gehört, acht Sprachen spricht und seit den 80er Jahren über finnougrische Minderheitensprachen forscht. Sarhimaa leitet seit 2002 als Universitätsprofessorin in Mainz den Forschungs- und Lehrbereich Sprachen Nordeuropas und des Baltikums (SNEB), in dem wertvolle Vorarbeiten geleistet wurden, ohne die das jetzige Forschungsprojekt nicht möglich geworden wäre. Die SNEB-Verantwortlichen streben an, das seit Langem bestehende, in Deutschland und der EU einzigartige Lehrprogramm für die Sprachen Nordeuropas und des Baltikums in einen Master-Studiengang zu überführen.

Kontakt und Informationen:
Univ.-Prof. Dr. phil. Anneli Sarhimaa
Northern European and Baltic Languages and Cultures
Department of English and Linguistics
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel. +49 6131 39-23081
Fax +49 6131 39-23973
E-Mail: sarhimaa@uni-mainz.de

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Petra Giegerich idw

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