Ethnische Clubkulturen – wie junge Migranten in europäischen Großstädten leben

Mit fast 1,3 Millionen Euro wird ihr Projekt, das neue Formen von kulturellen Praxen und Sozialformationen in ethnischen Clubkulturen untersucht, in den nächsten vier Jahren gefördert.

„In europäischen Städten wie Berlin, London und Paris sind in den letzten zehn Jahren eigenständige Clubszenen entstanden, die sich musikalisch an hybriden Genres wie Türkischem Pop und Asian Underground orientieren. Mich interessiert besonders, wie diese jungen Leute bestimmte soziale Praxen und Zusammenhänge entwickeln, die in der Migrationsforschung bislang ausgeblendet bleiben“, so Kosnick. Sie beobachtet seit fünf Jahren, wie Migranten der zweiten und dritten Generation urbane Räume in Europa nutzen und verändern. Mit den Fördermittel der Europäischen Union will Kosnick dies nun detailliert untersuchen.

Die Clubszene gehört seit einigen Jahren zur Lebenskultur junger Migranten in den Metropolen Europas. „Diese Clubs sind stark von den Nachkommen der Einwanderer in den verschiedenen Städten geprägt: in Berlin von der türkischen Szene, in London von der britisch-asiatischen und in Paris von den Nachkommen nordafrikanischer Einwanderer“, weiss Kosnick aus ihren Studien vor Ort. Bisher wurde allerdings nie wissenschaftlich hinterfragt, wie ethnische Minderheiten sich an spezifisch urbanen Phänomenen von Vergesellschaftung beteiligen, wie sie sich beispielsweise in Szenen einbringen und sozial experimentieren. Das hat seine Gründe, wie Kosnick erläutert: „In vielen aktuellen Studien steht die Identität der Migranten im Vordergrund; die meisten Wissenschaftler, ob Anthropologen oder aus angrenzenden Disziplinen, haben sich wenig für die sozialen Praktiken interessiert, wie sie sich in der Großstadt-Szene entwickeln können: flüchtige soziale Formationen, im halb-öffentlichen Raum und ohne klar definierte Mitgliedschaft.“ Mit ethnografischen Fallstudien sollen nun die Potenziale der urbanen Clubszenen herausgefiltert werden, die auf neue Formen von Solidarität und Integration benachteiligter Gruppen in urbanen Räumen verweisen. Untersuchen werden Kosnick und ihr Mitarbeiterteam dies in den drei Metropolen Berlin, London und Paris.

Kira Kosnick studierte Soziologie an der Freien Universität Berlin und an der New School for Social Research in New York. Als Marie-Curie-Fellow war sie am Centre for Migration Research der University of Sussex. Nach ihrer Promotion, für die von der New School for Social Research sie den „Stanley Diamond Memorial Award 2003“ in den Sozialwissenschaften ausgezeichnet wurde, kehrte sie nach Europa zurück. Zunächst nach Deutschland an die Brandenburgische Technische Universität Cottbus, dann zog es sie erneut nach England an die University of Southhampton und die Nottingham Trent University. Seit 2006 ist Kira Kosnick Juniorprofessorin an der Goethe-Universität.

„Die Förderung durch den ERC ermöglicht es, mit großer Autonomie innovative Projekte durchzuführen, die über die Förderprogramme auf nationaler Ebene so nicht zu realisieren wären“, erläutert die Juniorprofessorin, die gemeinsam mit dem Chemiker Prof. Magnus Rueping als erste Wissenschaftler der Goethe-Universität mit dem „Starting Grant“. ausgezeichnet wurde. Beide gehören zu rund 300 Nachwuchsforscherinnen und -forschern, die im ersten Aufruf des Starting Independent Researcher Grant gefördert werden. Die Goethe-Universität war mit zwei erfolgreichen Anträgen in der ersten Runde dieses neuen Förderprogramms der Europäischen Union (EU) erfolgreicher als manche Elite-Uni. Aus Deutschland waren 32 Projektanträge erfolgreich; insgesamt wurden über 9000 Anträge eingereicht, die in einem zweistufigen Verfahren, zu der auch eine Präsentation in Brüssel gehörte, ausgewählt wurden. Die Frankfurter Anthropologin, Kira Kosnick ist eine von fünf Kandidaten in Deutschland, deren Antrag im Bereich „Social Sciences and Humanities“ gefördert wird. Insgesamt waren aus Deutschland 108 Bewerbungen in Brüssel eingegangen.

Der European Research Council (ERC) will anspruchsvolle, risikoreiche Projekte an Forschungseinrichtungen in den Mitgliedstaaten oder einem assoziierten Staat der EU fördern, wobei die Nationalität eines Wissenschaftlers keine Rolle spielt. Damit wird deutlich, dass Europa als Wissenschaftsstandort weltweit an Attraktivität gewinnen soll. Das in Zukunft von Jahr zu Jahr steigende Budget des ERC dokumentiert, dass dieser 2007 initiierten Prozess kontinuierlich gestärkt werden soll. Ein Ziel ist es unter anderem, Europa als Forschungsstandort insbesondere in Konkurrenz zu den USA wieder attraktiver zu gestalten.

Informationen:
Juniorprof. Kira Kosnick,
Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie,
Campus Westend,
Tel: (069) 798-32913,
kosnick[at]em.uni-frankfurt.de

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Ulrike Jaspers idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-frankfurt.de

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