Zum Umgang mit Gewalt: Konfliktforschung in Afrika

Die Länder im sub-saharischen Afrika sind eine krisengeschüttelte Region. Zahlreiche Kriege, hohe soziale Ungleichheit und ethnische Konflikte prägen die gesellschaftliche Wirklichkeit der meist noch jungen Nationalstaaten. Der Umgang mit Gewalterfahrung, die entsprechenden Bewältigungsstrategien und Maßnahmen zum Friedensaufbau sind daher Themen von höchster Wichtigkeit für diese Region. Aus diesem Grund bringt die VolkswagenStiftung in ihrer Förderinitiative „Wissen für morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika“ jetzt drei Verbundprojekte zu diesem Themenkomplex auf den Weg. Sie alle zeichnet aus, dass sie eines der wichtigsten Anliegen der Stiftung mit Blick auf ein erfolgreiches „capacity building“ in Afrika einlösen: dass im Zuge der Projekte der dortige wissenschaftliche Nachwuchs Möglichkeiten zur Höherqualifizierung erhält. Zudem werden innerafrikanische wissenschaftliche Netzwerke aufgebaut, gestärkt und erweitert. Die Vorhaben werden mit insgesamt rund 1,55 Millionen Euro gefördert; im Einzelnen wurden bewilligt:

1.) 524.000 Euro für das Vorhaben „Local Strategies of Conflict Management in Guinea-Bissau“ von Professor Dr. Georg Klute vom Institut für Ethnologie Afrikas der Universität Bayreuth – in Zusammenarbeit mit Dr. A. Idrissa Embaló und dem Forscherteam des National Study and Research Institute of Guinea-Bissau (INEP) sowie Entwicklungssoziologen der Uni Bayreuth;

2.) 500.000 Euro für das Vorhaben „Travelling Models in Conflict Management. A Comparative Research and Network Building Project in Six African Countries (Chad, Ethiopia, Liberia, Sierra Leone; South Africa, and Sudan)“ von Professor Dr. Richard Rottenburg und Dr. Andrea Behrends vom Institut für Ethnologie der Universität Halle-Wittenberg – in Zusammenarbeit mit Forschern des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle (Saale), der Université de N'Djamena im Tschad, der University of Stellenbosch in Südafrika, und der University of Khartoum im Sudan.

3.) 520.000 Euro für das Projekt „Reconciliation and Social Conflict in the Aftermath of Large-scale Violence in Southern Africa: The Cases of Angola and Namibia“ von Professor Dr. Heribert Weiland vom Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg und Professor Dr. André du Pisani von der University of Namibia in Windhoek, Namibia – in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Münster, des Centro de Estudos Africanos in Lissabon, Portugal, der Universidade de Lisboa in Portugal – sowie der University Agostinho Neto und der Universidade Católica, beide in Luanda, Angola.

Nähere Infos zu den Vorhaben im Folgenden.

zu 1: Konfliktbewältigungsstrategien in Guinea-Bissau

Wie werden lokale Konflikte gelöst? Auf welche Art und Weise verschränken sich hierbei traditionelle Strategien der Konfliktlösung mit nationalen und internationalen Rechtssystemen? Und welche Bedingungen begünstigen diese Verschränkung? Das möchte ein deutsch-afrikanisches Forscherteam der Universität Bayreuth und des National Study and Research Institute of Guinea-Bissau am Beispiel der westafrikanischen Republik Guinea-Bissau genauer untersuchen. Damit wendet sich die Gruppe geographisch einem „weißen Fleck“ in der Forschung zu. Guinea-Bissau – eine ehemalige portugiesische Kolonie – hat seit seiner Unabhängigkeit 1974 viele politische und militärische Umwälzungen erlebt. Das Land gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Erde.

Dem interdisziplinären Wissenschaftlerteam geht es vor allem um die Frage, wie nichtstaatliche Akteure mit Gewaltkonflikten umgehen. Der Blick fällt hier zum Beispiel auf traditionelle Autoritäten wie Häuptlinge, die im unabhängigen Staat bisher eher ins Abseits gedrängt wurden. Gleichermaßen betrachtet werden ethnische Milizen, einflussreiche Unternehmer, transnationale Schmuggler – aber auch Vertreter von Wohlfahrtsverbänden oder Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen. Die Fallstudien sollen Antworten auf zahlreiche Fragen geben – etwa: Hat das Modell des westlichen Nationalstaates ausgedient? Ist es möglich, lokale nichtstaatliche Konfliktlösungsformen in eine moderne Staatsverfassung zu integrieren? Sind diskursive Formen traditioneller Vermittlung in Konflikten mit demokratischen Prinzipien in Einklang zu bringen?

Ziel der Forscher ist es, Szenarien zu entwickeln, die das Verhältnis von Staat und nichtstaatlichen Akteuren in Westafrika abbilden helfen. Diese Zukunftsszenarien möchten sie dann der Politik an die Hand geben: als Mittel zur Krisenprävention und auch, damit es zum Aufbau eines möglichst stabilen Friedens im Land kommt. Fünf Nachwuchswissenschaftler erhalten im Zuge des Vorhabens die Möglichkeit zu promovieren. Zudem beabsichtigt das Projektteam, wissenschaftliche Kooperationen zu etablieren, um Forscherinnen und Forscher aus Guinea-Bissau weiter zu qualifizieren. Mittelfristig soll es ihnen so gelingen, sich in der Region und international besser zu vernetzen. Zu diesem Zweck sind Kontakte mit Forschungsinstituten in Gambia, Mali und Senegal geplant. Insofern leistet das Projekt einen Beitrag zum „capacity building“ in der Region.

Kontakt
Universität Bayreuth
Institut für Ethnologie Afrikas
Prof. Dr. Georg Klute
Telefon: 0921 55 4106
E-Mail: georg.klute@uni-bayreuth.de
zu 2: Über das Management von Konflikten in sechs afrikanischen Staaten
Konflikte und Bemühungen, mit diesen umzugehen, sind stets vom jeweiligen Kontext geprägt: in Afrika wie anderswo. Doch typisch gerade für das sub-saharische Afrika ist, dass hier vielfältige soziale Bündnisse – etwa Stammeskulturen – und lokale Besonderheiten großen Einfluss haben auf diese Prozesse. Zugleich jedoch beziehen sich die „Konfliktmanagementstrategien“ oft auf Ideen und Modelle, die überregionalen oder sogar globalen Ursprungs sind. Diese Beobachtung liegt dem Vorhaben einer elfköpfigen Forscherallianz mit Partnern im Tschad, in Südafrika, Äthiopien, Sierra Leone, Liberia und im Sudan zu Grunde. Das Wissenschaftlerteam möchte nun genauer betrachten, ob und in welcher Weise solche überregionalen rechtlichen und politischen Modelle den Umgang mit Konflikten beeinflussen: Wie wirken sie sich auf die Prävention, Dynamik und Lösung von Konflikten aus? Antworten auf diese Frage könnten direkt in die Arbeit von Entwicklungsorganisationen einfließen. Dabei fokussieren die Wissenschaftler die sechs oben genannten afrikanischen Staaten. Einige dieser Länder – Tschad und Sudan – sind derzeit in Bürgerkriege verstrickt, andere wie Liberia und Sierra Leone befinden sich gerade in einer Nachkriegssituation.

Ausgangshypothese der Forscher ist, dass allgemeine Ideen und Modelle über Ursachen und Bedingungen von Konflikten Einfluss darauf nehmen, wie Menschen Konflikte beschreiben und lösen. Beispielsweise kann ein Konflikt als ethnischer Zusammenprall oder aber als Streit um Ressourcen verstanden werden. Im ersten Fall bieten sich Techniken des Konfliktmanagements an, die auf der Idee kollektiver, kulturell definierter Identitäten beruhen und nicht auf individuellen Ansprüchen. Im zweiten Fall hingegen lässt sich als Kriterium zur Unterscheidung zwischen den Gegnern heranziehen, wer alteingesessen – also quasi „Ureinwohner“ – ist und wer nicht. Wie verbreiten sich demnach solche Modelle, und wie werden sie in verschiedene Kontexte übertragen? Werden sie dort eher abgelehnt oder mit „traditionellen“ Formen des Konfliktmanagements zusammengeführt? Und: Ist Aneignung sinnvoll?

Unter dem Dach dieser Fragen möchten die Wissenschaftler ein nachhaltiges und die Sprachgrenzen überwindendes Forschungsnetzwerk aufbauen. Sechs Doktorandinnen und Doktoranden aus den beteiligten afrikanischen Ländern erhalten dabei die Gelegenheit, sich bei internationaler Betreuung akademisch weiter zu qualifizieren. Geplant ist zudem ein kontinuierlicher Austausch zwischen den Projektpartnern über gegenseitige Forschungsaufenthalte und gemeinsame Treffen.

Kontakt
Universität Halle-Wittenberg
Institut für Ethnologie
Prof. Dr. Richard Rottenburg
Telefon: 0345 55 24200
E-Mail: rottenburg@ethnologie.uni-halle.de
Dr. Thomas Kirsch
Telefon: 0345 55 24199
E-Mail: thomas.kirsch@ethnologie.uni-halle.de
zu 3: Die Politik der nationalen Versöhnung: Angola und Namibia
Es gibt verschiedene Praktiken und Strategien, mit Gewalterfahrungen umzugehen. Eine politische Strategie besteht darin, an eine nationale Versöhnung zu appellieren. Und tatsächlich lässt sich beobachten, dass beispielsweise die Regierungen von Angola und Namibia den nach wie vor vorhandenen Konfliktpotenzialen mit einer Rhetorik der Versöhnung begegnen. Doch was eigentlich überaus positiv klingt, kann durchaus mit schwer wiegenden Problemen einhergehen – wenn etwa die Versöhnungspolitik rein manipulativ eingesetzt wird. Diesem Problemkomplex wendet sich eine Forschergruppe aus Deutschland, Namibia, Angola und Portugal zu. Sie möchte die gegenwärtige Politik der nationalen Versöhnung in Namibia und Angola nach Jahrzehnten gewaltsamer militärischer Auseinandersetzungen näher untersuchen: beginnend beim Widerstand gegen die Kolonialherrschaft über die Befreiungskriege bis hin zum – für den Fall Angolas – Bürgerkrieg.

Auch wenn sich Angola und Namibia im jeweiligen Konfliktverlauf deutlich unterscheiden: In beiden Ländern ist die derzeitige gesellschaftliche Wirklichkeit durch andauernde Kriege und deren Folgen bestimmt. Als Ergebnis der zahlreichen Kriege, aber auch der kolonialen Besetzung und der post-kolonialen Herrschaft haben sich zudem extreme soziale Ungleichheiten herausgebildet. Die sozialen Identitäten der Bewohner sind vor allem durch zwei Prozesse geprägt: Flucht einerseits, Verstädterung andererseits. Nach Meinung der Wissenschaftler vermeidet es die Versöhnungspolitik der beiden Regierungen dabei durchweg, schwere Menschenrechtsverletzungen anzusprechen; die durch Eigeninteressen motivierte eigene Herrschaftspraxis werde gar vollständig ausgeblendet. Andere ethnische oder zivilgesellschaftliche Gruppen, wie etwa die Kirchen, versuchten jedoch, dem offiziellen Bild der gewaltsamen Vergangenheit eigene Konzepte entgegen zu setzen.

Ziel der Forscher ist es, in vergleichender Perspektive den Bogen von der Gewalterfahrung in der Kolonialzeit bis zum gegenwärtigen manipulativen Umgang in der politischen Rhetorik zu spannen. Dabei stehen insbesondere – durch die Analyse der Sozialstruktur, der Institutionen und der Erinnerungspolitik – die politischen, sozioökonomischen und kulturellen Dimensionen der Versöhnungsstrategie im Zentrum des Interesses. Darüber hinaus strebt das Forscherteam an, die Vernetzung und den intensiven Austausch zwischen den bisher weitgehend isolierten Wissensgemeinschaften der Nachbarländer voranzutreiben.

Kontakt
Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung
Prof. Dr. Heribert Weiland
Telefon: 0761 88878 13
E-Mail: heribert.weiland@abi.uni-freiburg.de
In Kürze erscheint eine weitere Ausschreibung in der Förderinitiative zum sub-saharischen Afrika. Mehr als 50 afrikanische und deutsche Geisteswissenschaftler diskutierten im April dieses Jahres im Senegal den Themenkomplex „Negotiating Culture in the Context of Globalization“ in seinen zahlreichen Facetten. Zwei zentrale Forschungsbereiche wurden schließlich identifiziert: Zum einen soll es darum gehen, den Prozesscharakter des Verhandelns, seine Dynamiken, Kontexte, Akteure und auch die aus dem Verhandlungsprozess ausgeschlossenen Gruppen stärker in den Fokus zu rücken. Zweitens erscheint es wichtig, die Intermedialität – das Wandern von Themen zwischen den verschiedenen Medien wie Musik, Literatur, Kunst, Mode etc. – interdisziplinär übergreifend zu untersuchen. Generell besteht ein großer Bedarf an selbstkritischer Reflexion über das Verständnis und die Verwendung zentraler Termini wie „Aneignungsprozesse“, „Medien“ und Mediation“, „agency and patient“.
Kontakte
VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de
Förderinitiative der VolkswagenStiftung
Dr. Antje Gunsenheimer
Telefon: 0511 8381 276
E-Mail: gunsenheimer@volkswagenstiftung.de

Media Contact

Dr. Christian Jung idw

Weitere Informationen:

http://www.volkswagenstiftung.de

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