Hoher Anteil von Ausländerinnen und Ausländern im geschlossenen Strafvollzug

Die Sozialanthropologen und Juristen untersuchten im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 51 „Integration und Ausschluss“ des Schweizerischen Nationalfonds den seit einigen Jahrzehnten stetig ansteigenden Anteil ausländischer Insassen ? eine Tendenz, die auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist. Die Ergebnisse beruhen auf Erhebungen in zwei von total sieben geschlossenen Strafanstalten. In Thorberg sind seit Mitte der 1980er Jahre Schweizer Insassen in der Minderheit, in Hindelbank seit Mitte der 1990er Jahre. Die hohen Ausländeranteile im geschlossenen Vollzug sind wesentlich auf zwei Umstände zurückzuführen: Da Frauen und Männer ausländischer Herkunft nach Strafverbüssung in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können, nehmen die kantonalen Behörden bei ihnen meist „Fluchtgefahr“ an. Dies hat zur Folge, dass ausländische Verurteilte ihre Strafe in der Regel in einer geschlossenen Anstalt verbüssen müssen. Bei schweizerischen Verurteilten lässt sich eine gegenteilige Tendenz feststellen: Da vermehrt Strafen im offenen Vollzug oder alternative Sanktionsformen angeordnet werden, gelangen immer weniger Personen mit schweizerischer Nationalität in den geschlossenen Vollzug.

Vielfältige Gefängnispopulation

Die Zusammensetzung der Population der beiden Anstalten widerspiegelt Phänomene moderner Migration und international organisierter Kriminalität. Die ausländischen Strafgefangenen in Hindelbank und Thorberg stammen heute kaum mehr aus den Nachbarstaaten der Schweiz, sondern zu grossen Teilen aus Lateinamerika (Frauen) und Südosteuropa (Männer). Insgesamt befinden sich in den beiden Anstalten gegenwärtig Menschen aus über 40 Ländern. Zwei Drittel der ausländischen Strafgefangenen verfügten vor der Inhaftierung weder über eine Aufenthalts- noch über eine Niederlassungsbewilligung, was zur Folge hat, dass sie die Schweiz nach der Entlassung verlassen müssen.

Frauen ohne Bewilligung waren mehrheitlich als Drogenkurierinnen tätig. Von den Männern dieser Gruppe war gut ein Drittel (bzw. ein Viertel aller ausländischen Strafgefangenen) vor der Inhaftierung als Asylsuchende registriert. Auch sie werden in der Regel nach der Entlassung zur Ausreise verpflichtet. Personen mit schweren Delikten werden selbst dann, wenn eine Aufenthalts- oder eine Niederlassungsbewilligung vorliegt, meist ausgewiesen.

Resozialisierung stösst an Grenzen

Die Strafanstalten sehen sich bei der Umsetzung des gesetzlich verankerten Resozialisierungsauftrags bei Strafgefangenen, die die Schweiz verlassen müssen, vor besondere Schwierigkeiten gestellt. Einerseits ist eine schrittweise Wiedereingliederung durch Hafturlaub oder durch Arbeit ausserhalb der Anstalt verbaut, andererseits ist es praktisch unmöglich, eine Wiedereingliederung im Herkunftsland zu unterstützen. Der Schwerpunkt der Resozialisierungsbemühungen verschiebt sich daher von einer auf die Schweiz ausgerichteten gesellschaftlichen (Re-) Integration hin zu einem Modell der Integration ins Anstaltsleben. Dabei stehen Arbeit, schulische bzw. berufliche Bildung sowie Persönlichkeitsbildung (z.B. Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, Erlernen sozialer Umgangsformen) im Vordergrund. Bildungsaktivitäten, vertiefte sozialarbeiterische und psychologische Bemühungen werden allerdings nicht selten durch Kommunikationsprobleme behindert.

Freiräume und Sicherheit

Trotz beträchtlicher Erfahrung im Umgang mit heterogenen Insassengruppen bleiben die sich wandelnde Zusammensetzung, die vielen Sprachen sowie die unterschiedlichen religiösen Praktiken und Ernährungsgewohnheiten eine ständige Herausforderung für die Gefängnisse. Verschiedene Anpassungen sind diesbezüglich bereits in die Wege geleitet worden. So ist heute zum Beispiel die Betreuung durch nichtchristliche Seelsorgende, das Einhalten von religiösen Geboten sowie der Kauf von Lebensmitteln, die nicht zum typisch schweizerischen Menuplan zählen, möglich. Allerdings sind dem Gewähren von Freiräumen kultureller, religiöser und sozialer Art im geschlossenen Strafvollzug aufgrund der strengen Sicherheitsvorschriften enge Grenzen gesetzt.

Herausforderung Qualitätssicherung

In nächster Zeit ist kein Rückgang des hohen Ausländeranteils im geschlossenen Strafvollzug zu erwarten. Die am Projekt beteiligten Forschenden kommen deshalb zu dem Schluss, dass systematisch und gemeinsam mit den Strafvollzugspraktikern Instrumente entwickelt werden müssen, mit welchen die Strafanstalten Kommunikationsprobleme, Fragen des alltäglichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichster Herkunft auf engem Raum sowie eine sinnvolle und qualitativ gleichwertige Vorbereitung aller Strafgefangenen auf die Zeit nach der Entlassung angehen können. Zu denken ist etwa an den Einsatz von Dolmetschern, an den Einbezug in Rückkehrprogramme und an eine individuelle Vollzugsplanung für alle Strafgefangenen.

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