In Ostdeutschland bemühen sich bald zwei Männer um eine Frau

Es werden viele Jahrzehnte vergehen, bis sich die schlechten Geburtenzahlen von heute wieder "ausgewachsen" haben. Grafik: TU Chemnitz, Karla Bauer

Chemnitzer Soziologieprofessor warnt vor privaten Folgen des Bevölkerungsrückgangs

Theoretisch müsste hierzulande jede Frau zwei Kinder zur Welt bringen, damit sich die Zahl der Deutschen nicht weiter verringert – praktisch aber tut sie es nicht. Während die Westfrau im Durchschnitt nur 1,4 Kinder gebiert, erblickt im Osten sogar nur ein Kind pro Frau das Licht der Welt. Auf den Punkt gebracht heißt das: Die junge Generation schmilzt dramatisch zusammen – in den alten Ländern um ein Drittel und in den neuen sogar um die Hälfte.

Die Konsequenzen dieses Bevölkerungsrückgangs reichen weiter, als die heutige öffentliche Diskussion vermuten lässt. Nicht nur, dass Kindergärten, Schulen und vielleicht in einigen Jahren auch Unis geschlossen werden müssen, auch im ganz privaten Bereich droht die Schieflage. „Was da auf uns zukommt, ist wie ein Hurrikan, der auf die Küste zurast“, so der Chemnitzer Soziologieprofessor Bernhard Nauck, der als einziger ostdeutscher Professor dem Vorstand der neu gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Demographie“ angehört. Seine Prognose dürfte besonders die Männerwelt in den neuen Ländern aufhorchen lassen: „In sechs bis sieben Jahren werden sich im Osten zwei Männer um eine Frau bemühen müssen, das ist sicher.“

Und das kommt so: Nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen vergrößert sich der Männerüberschuss einer Gesellschaft, je mehr die Bevölkerung schrumpft. Dies ergibt sich zum einen aus der Tatsache, dass Männer in aller Regel nach jüngeren Partnerinnen suchen und so die Auswahl an sich schon kleiner ausfällt als umgekehrt. Zum anderen werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich mehr Jungen als Mädchen geboren – auf 105 kleine Adams kommen statistisch nur 95 Evas. In Ostdeutschland wird sich dieser Frauenmangel allerdings noch weiter verschärfen, weil im Durchschnitt doppelt so viele junge Frauen in den Westen abwandern als Männer.

Besonders für den ostdeutschen Mann mit eher unterdurchschnittlicher Ausbildung sieht die Zukunft auf dem Heiratsmarkt also zunehmend trübe aus, befürchtet der Experte für Bevölkerungsentwicklung von der TU Chemnitz. Denn wenn Frau die Wahl hat, wird sie sich aus dem Überangebot wohl die finanziell lukrativeren Partien aussuchen. Was daraus folgt, bleibt bislang nur düstere Spekulation: Droht damit mehr Gruppenkriminalität und Gewaltbereitschaft gegenüber Minderheiten? Es bleibt abzuwarten.

Was die Situation hierzulande ohnehin dramatisch macht: In Deutschland leben so viele kinderlose Frauen wie in keinem anderen Land der Welt. Rund 30 Prozent der Mitdreißigerinnen haben noch keinen eigenen Nachwuchs. Die gesellschaftlichen Auswirkungen ergeben sich nahezu von selbst: Deutschland überaltert, die klassischen Sicherungssysteme funktionieren nicht mehr, weil immer weniger Junge immer mehr Altersrenten finanzieren müssen. Die private Vorsorge für den Lebensabend wird die staatliche Vollversorgung ablösen. Was also ist zu tun, damit das Schlimmste vielleicht doch noch abgewendet werden kann?

Mehr Migration und eine stärkere staatliche Familienförderung heißen mögliche Rezepte, um Deutschland vor einem weiteren Zusammenschrumpfen zu bewahren. Nach Ansicht von Prof. Dr. Bernhard Nauck führt allein die verstärkte Förderung von Zuwanderung schon heute zu positiven Ergebnissen – zugleich aber gestaltet sie sich doppelt schwierig: Zum einen sei Deutschland als überwiegend monokulturell organisiertes Land nicht auf Migrantenströme vorbereitet – anders als die Niederlande oder Frankreich etwa. Zum anderen leide ganz Europa unter dem Problem des Bevölkerungsknicks – allen voran Spanien und Italien, aber auch in Osteuropa sind die Geburten in der letzten Dekade dramatisch zurückgegangen – sodass Menschen aus entfernteren Ländern nach Europa gelockt werden müssten.

Zudem sei es notwendig, junge Paare wieder zu motivieren, mehr Kinder in die Welt zu setzen, fordert der Chemnitzer Professor für Allgemeine Soziologie. Auch hierbei böten sich zwei Wege an. Als den schlechteren erachtet Prof. Nauck die Idee der „Berufsmutter“, für die sich Kinderkriegen finanziell wieder lohnen soll. Weil das nur wenigen Frauen helfen würde und sich aller Voraussicht die eher unterdurchschnittlich Gebildeten in eine solche Mutterrolle fügen würden, sei dies nicht die Lösung. Dagegen käme ein Ausbau der Infrastruktur zur Kinderbetreuung allen Frauen entgegen. „Nur ein flächendeckendes und überaus flexibles und verlässliches System von Kindergärten im großen Stil lässt auch berufstätige Frauen an Nachwuchs denken.“

Dieses sozial gesteuerte System wäre allerdings sehr teuer und der Effekt ein langfristiger. „Die Geburtenrate lässt sich natürlich nicht so einfach von heute auf morgen erhöhen. Das ist wie staatliches Forsten, das braucht seine Zeit“, so der Chemnitzer Soziologe. Sechzig Jahre mindestens.

(Autor: Alexander Friebel, Wissenschaftsredakteur der TU Chemnitz)

Weitere Informationen gibt Prof. Dr. Bernhard Nauck, Professur Allgemeine Soziologie I der TU Chemnitz, unter Telefon (03 71) 531 24 02 oder E-Mail: bernhard.nauck@phil.tu-chemnitz.de

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Dipl.-Ing. Mario Steinebach idw

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