Passauer Mathematiker optimiert Erdölförderung

Mit der Förderung von Erdöl scheint die Universität Passau auf den ersten Blick nur wenig zu tun zu haben. Und doch: Professor Martin Kreuzer, seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Symbolic Computation, arbeitet bereits seit 2005 mit Shell zusammen.

Das gemeinsame Ziel: Mithilfe von Algorithmen der Computeralgebra die Ausbeute von Erdölfeldern zu verbessern. Die Firma Shell fördert das Projekt durch die Finanzierung von Mitarbeiterstellen an der Universität Passau.

Im Oktober 2007 wechselte Prof. Dr. Kreuzer aus Dortmund nach Passau und hatte dabei ein auf den ersten Blick sehr ungewöhnliches Forschungsprojekt für einen Mathematiker im Gepäck: das Algebraic Oil Project. Zusammen mit seinen Mitarbeitern am Lehrstuhl, Wissenschaftlern der Universität Genua und Dr. Hennie Poulisse von Shell betreibt der Passauer Professor wichtige Grundlagenforschung im Bereich der Computeralgebra und ihrer praktischen Anwendung in der Industrie. Speziell bei der Ölförderung seien viele Vorgänge noch gar nicht oder kaum erforscht, daher bestünden auf diesem Gebiet wesentliche Verbesserungsmöglichkeiten, berichtet Prof. Dr. Kreuzer.

Ziel: „Produktion optimieren – Dry Spots verhindern!“

Bei der Förderung treten allerdings viele Probleme auf, unter anderem bestehen Ölfelder häufig aus kleineren Teil-Reservoiren. Oft hat dies zur Folge, dass bei der Förderung einige Reservoire nicht oder nicht vollständig erfasst werden. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Ausbeute bei der Ölförderung weltweit bei lediglich rund 35 Prozent liegt. „Wir hoffen nun, diese Quote um einige Prozentpunkte steigern zu können“, sagt Kreuzer. Mit einer solchen Steigerung könnte die Versorgung der Welt mit Erdöl um Jahrzehnte gesichert werden.

Ölfelder werden heute nicht mehr nur mittels vertikaler Bohrungen erschlossen. Nach einer Bohrung in die Tiefe erfolgt in der Regel eine horizontale Erschließung der Teil-Reservoire. Insbesondere an zwei Stellen setzt das Projekt von Prof. Kreuzer an: Einmal muss untersucht werden, an welchen Stellen der einzelnen Reservoire die Produktionspunkte gesetzt werden sollen, um eine optimale Ausbeutung des gesamten Felds zu gewährleisten. Zum anderen muss die Produktionsintensität für jedes Teilreservoir festgelegt werden, um ein permanentes Nachfließen des Öls zur Förderungsstelle zu sichern und ein vorzeitiges Trockenfallen bzw. einen verfrühten Wassereinbruch zu verhindern. An Hand von realen Messdaten von produzierenden Feldern, beispielsweise in Brunei, entwickelt die Gruppe um den Passauer Forscher so genannte Polynom-Gesetze. Komplexe Algorithmen unter Einbeziehung kontinuierlich gesammelter Messdaten helfen, das Verhalten der Ölfelder vorherzusagen und so gezielt zu steuern. Vor der praktischen Anwendung an Ort und Stelle stehen jedoch zahlreiche theoretische Berechnungen und Testverfahren am Computer. Am Ende des Forschungsprojekts soll schließlich ein eigenständiges Softwareprogramm entwickelt werden, das direkt an einer Förderstation installiert werden kann, die Produktion überwachen und den Förderprozess optimieren soll.

Kooperation mit der Shell Foundation – „Dinge, die es noch nicht gibt“
Die erste Phase des Projekts (2005-2009) wurde durch die Stichting Shell Research Foundation, einer Stiftung des Shell-Konzerns, die die Grundlagenforschung unterstützt, mit 400.000 Euro gefördert. Der Kontakt entstand noch während Kreuzers Zeit an der Universität Dortmund. Die Anbahnung des Kontakts ist eine Geschichte, wie sie die Wissenschaft eher selten schreibt: Dr. Hennie Poulisse, Chefmathematiker im Shell-Forschungszentrum im niederländischen Rijswijk, las vor einigen Jahren Kreuzers Buch „Computional Commutative Algebra 1“. „Wir haben in der Shell-Gruppe eine ganz besondere Stellung. Unser Auftrag ist es, nach außergewöhnlichen, innovativen Dingen Ausschau zu halten und deren mögliche Verwendung bei Shell. Wir sind immer auf der Suche nach Dingen, die es noch nicht gibt“, beschreibt der promovierte Mathematiker die Aufgabe seines Teams. „Das Buch brachte mich auf die Idee, Modelle der Computeralgebra bei der Exploration von Ölfeldern einzusetzen.“ Es folgten einige E-Mails, Telefonate und schließlich das erste Treffen.

Die erste Phase der Förderung des „Algebraic Oil Project“ durch die Shell Foundation läuft nun bereits seit 2005. In einer zweiten Phase 2008-2012 wird die Zusammenarbeit direkt von der Shell-Forschung unterstützt. Pro Jahr stehen den Passauer Wissenschaftlern bis zu 250.000 Euro zur Verfügung. „Wir rufen aber nur die Mittel ab, die wir auch tatsächlich brauchen und stehen daher auch nicht unter dem Druck, Geld unbedingt innerhalb eines Jahres ausgeben zu müssen. Wir wollen ein organisches Wachstum, aber kein schnelles Aufblähen des Projekts“, beschreibt Kreuzer die Zusammenarbeit. Derzeit werden aus den Mitteln zweieinhalb Mitarbeiterstellen finanziert, außerdem arbeiten mehrere Diplomanden im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an dem Projekt.

Ausblick: Exploration neuer Ölfelder
Prof. Kreuzer eröffnet auch einen Ausblick, was mit den Forschungsergebnissen in der Zukunft auch denkbar wäre: Möglicherweise könnte man mit den Rechenmethoden auch neue Ölfelder entdecken und deren Kapazitäten abschätzen, die Geologen mit den bisherigen Messmethoden nicht als solche identifizieren bzw. deren Größe sie nicht abschätzen konnten. Der Grund hierfür liegt ebenfalls in der möglichen Formenvielfalt von Ölfeldern. Bestimmte Formen „schlüpfen“ durch das Netz der geologischen Untersuchungen, mit Hilfe der mathematischen Berechnungen könnten diese blinden Flecken möglicherweise getilgt werden.

Aber auch ganz andere Einsatzmöglichkeiten sieht Kreuzer für die Computeralgebra, beispielsweise die Stahlindustrie oder die Finanzmathematik. Gerade bei letzterer könnte derzeit der Einsatz von auf Logik basierender Computeralgebra nicht schaden.

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