In einem aktuellen EU-Projekt unter der Leitung von Hermann Häusler vom Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien geht ein internationales Forschungsteam dem Risikopotenzial von schmelzenden Gletschern in Europa und Zentralasien auf den Grund. Die dabei gesammelten Erkenntnisse könnten Leben retten.
Der Inylchek-Gletscher in Kirgisien ist mit 80 Kilometern der längste Hochgebirgsgletscher der Welt. (Bild: Hermann Häusler)
Die schmelzenden Gletscher hinterlassen riesige Schutthalden und bringen Überschwemmungen, Felsstürze, Geröll- oder Schlammlawinen mit sich. (Bild: Hermann Häusler)
"Bis auf wenige Ausnahmen schmelzen weltweit die Gletscher", erklärt Hermann Häusler vom Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien. Der Geologe analysiert die Auswirkungen der Klimaveränderung auf das Gletscherverhalten in Österreich (Salzburger Alpen, Goldbergkees und Pasterze), Schwedisch Lappland und Kirgisien (Tien Shan-Gebirge) und leitet dazu ein großes EU-Forschungsprojekt.
Riesen-Flutwellen und instabile Hänge
Mit dem Rückzug der Gletscher sind schwerwiegende Konsequenzen für die umliegenden Gebiete und deren BewohnerInnen verbunden: "Einerseits bilden sich im ehemaligen Stirnbereich der abgeschmolzenen Eismassen Seen, die in weiterer Folge ausbrechen und riesige Flutwellen erzeugen können", so Häusler. In solchen Fällen stürzen mehrere hunderttausend Kubikmeter Wasser schlagartig ins Tal. Dabei verwüstet die gewaltige Flutwelle alles, was sich ihr in den Weg stellt: Bäume, Straßen, ganze Dörfer. "Andererseits werden nach einem Gletscherrückzug auch die Hänge instabil und neigen – etwa bei Erdbeben – zu Hangrutschungen." Derartige Katastrophen kosten alljährlich Menschenleben.
Im Rahmen des EU-Projektes "Impact of climate change and related glacier hazards and mitigation strategies in the European Alps, Swedish Lapland and the Tien Shan Mountains, Central Asia" wollen die WissenschafterInnen solchen Szenarien durch verbesserte Prognosemodelle und eine angepasste Landnutzungsplanung vorbeugen: "Die Öffentlichkeit ist sich zu wenig bewusst, welche Gefahren hier wirklich lauern. Wir schauen uns genau an, welche dynamischen Prozesse entstehen, wenn Gletscher abschmelzen. Man muss dieses komplexe System verstehen, um zu wissen, wo man mit Monitoring beziehungsweise Gegenmaßnahmen ansetzen kann. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es aber trotzdem nicht."
Europäisches Forschungsnetzwerk
Hermann Häusler arbeitet dabei eng mit Kollegen an der Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Wolfgang Schöner), dem Geoforschungszentrum Potsdam (Ulrich Wetzel), der schwedischen Blekinge Tekniska Högskola (Gerhard Bax) und dem kirgisischen Central Asian Institute for Applied Geosciences (Bolot Moldobekov) zusammen. Kooperationspartner sind mehrere Universitäten – Zürich, Dresden, Moskau und Taschkent (Usbekistan) – sowie die Bayerische, Kirgisische und Chinesische Akademie der Wissenschaften.
Vom Himalaya…
Bereits von 1990 bis 2005 sammelte Häusler gemeinsam mit Diethard Leber, der ebenfalls am Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien tätig ist, Erfahrungen im Rahmen eines Georisikoprojekts im Bhutan-Himalaya-Gebiet. Die vom Forschungsteam vorgeschlagenen Sanierungsmaßnahmen an einem ausbruchsgefährdeten Gletschersee in 5.300 Metern Höhe werden derzeit mit Mitteln des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) umgesetzt. Aufgrund der erfolgreichen Feldarbeit im Himalaya erfolgte die Einladung zur Mitarbeit beim Aufbau des Globalen Hochgebirgsobservatoriums in der Gletscherregion des zentralen Tien Shan ("Himmelsgebirge") in Kirgisien.
…ins Himmelsgebirge
Im Tien Shan-Gebirge erforscht Hermann Häusler mit seinem Team den Inylchek-Gletscher, mit 80 Kilometern längster Hochgebirgsgletscher der Welt: "Wir haben es hier mit einer weltweit einzigartigen Situation zu tun, da auf derselben geografischen Länge und Breite ein Teil des generell im Rückzug befindlichen Gletschers noch immer aktiv vorstößt. Hinzu kommt, dass zwischen dem nördlichen und dem südlichen Inylchek regelmäßig ein See aufgestaut wird, der aufgrund kaum bekannter Ursachen fast jährlich ausbricht."
Um das komplexe Gletschersystem besser verstehen zu können, ist Häusler jedes Jahr mindestens einen Monat vor Ort. Im Sommer 2011 wird das Forschungsteam der Universität Wien Geländearbeiten zur Beurteilung von Naturgefahren durchführen. "Wir vergleichen das Abschmelzverhalten ausgewählter Gletscher in einer Zeitreihenanalyse analoger und digitaler Satelliten-Fernerkundungsdaten mit einer Re-Analyse von Wetterdaten hochgelegener Klimastationen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen leiten wir verbesserte Prognosemodelle für die zukünftige Gletscherveränderung sowie die Temperatur- und Niederschlagsentwicklung in Zentralasien bis 2050 ab", erläutert Hermann Häusler.
Zukunft ohne Gletscher?
Uneinig sind sich ForscherInnen weltweit hinsichtlich der Zukunftsperspektive der dahinschmelzenden Hochgebirgsgletscher. "Das Gletscherverhalten ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Ich gehe davon aus, dass sich die Situation weiter verschärfen wird. Dass es – wie manche KollegInnen meinen – bereits in 50 Jahren keine Gletscher mehr geben wird, glaube ich aber nicht. Es existieren sehr fundierte Forschungsergebnisse, die zu weit weniger pessimistischen Einschätzungen kommen", so Häusler.
Weiterführende Links
Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien: http://umweltgeologie.univie.ac.at/
Projektbeschreibung:
Alexander Dworzak | Universität Wien
Weitere Informationen:
http://www.univie.ac.at
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