Forscher stellen Stabilität der Umwelt in Frage

Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) berichten im Wissenschaftsmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences über neue Erkenntnisse zu Kippelementen im Klimasystem. Das Konzept des Kippsystems beschreibt, wie menschliche Aktivitäten Bestandteile des Klimasystems über kritische Grenzen hinaus belasten könnten, sodass wichtige Prozesse im Gesamtgefüge „kippen“ und von da an grundsätzlich anders ablaufen.

Kippelemente sind als Bestandteile des Erdsystems identifiziert worden, die schon durch geringe Störungen grundsätzlich verändert werden können. Das Kippen eines oder mehrerer dieser Elemente – insbesondere im Laufe fortschreitender Erderwärmung – könnte die bemerkenswert stabilen Umweltbedingungen der Nacheiszeit unwiderruflich beenden. PIK-Forscher Hans Joachim Schellnhuber hat das Konzept der Kippelemente vor zehn Jahren in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht.

Gegenwärtiges Klimasystem arbeitet im Holozän-Modus

„Es ist die Kardinalfrage der Erdsystem- und Nachhaltigkeitsforschung, ob die Erderwärmung zu singulären Veränderungen kritischer Bestandteile der planetarischen Maschinerie führen kann“, meint Schellnhuber. Singuläre – im Gegensatz zu stetigen linearen und nichtlinearen Veränderungen – würden die Umweltbedingungen drastisch verändern, unter denen menschliche Zivilisationen entstanden sind und sich über Jahrtausende entwickelt haben.

„Gegenwärtig funktioniert das Klimasystem noch im Holozän-Modus, doch die hier vorgestellten Forschungsergebnisse belegen, dass ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad Celsius das System in den Bereich singulärer Veränderungen drücken könnte und daher verhindert werden muss“, erklärt der Forscher.

Fünf kritische Elemente

Die Autoren des Artikels analysieren fünf bedeutende Elemente des Erdsystems, die kippen könnten. Dazu gehören das Klimaphänomen El Nino/Südliche Oszillation (ENSO), das arktische Meereis und die großen polaren Eisschilde, der Amazonas-Regenwald, die Monsunsysteme sowie die Zirkulation von Meeresströmungen im Atlantik.

PIK-Forscher Matthias Hofmann und Stefan Rahmstorf liefern neue Modellsimulationen der Zirkulation unter zunehmenden Süßwassereinstrom in den Nordatlantik. Sie kommen zum Schluss, dass der Strömungskreislauf anfälliger sei als bislang angenommen. Die Forschergruppe um Anders Levermann zeigt, dass jedes Monsunsystem durch die Möglichkeit eines abrupten Abbruchs gekennzeichnet ist. Dies beruhe auf der so genannten Feuchte-Advektions-Rückkopplung, die Kern der Monsunsysteme ist.

Methanhydrat als langsames Kippelement

David Archer von der University of Chicago liefert Argumente dafür, Methanhydrate in Sedimenten am Meeresgrund als „langsames Kippelement“ im Klimasystem der Erde zu betrachten. Ein globaler Temperaturanstieg von etwa drei Grad Celsius könnte mehr als die Hälfte des eingelagerten Methans – das sind 940 Mrd. Tonnen Kohlenstoff – freisetzen. Dies wiederum könnte die globale Mitteltemperatur um bis zu 0,5 Grad Celsius ansteigen lassen.

Das Team um Ulf Riebesell vom IFM-GEOMAR beschreiben die Ozeane als Bestandteil des Klima-Systems, der derzeit deutlich verändert wird. Durch die Erwärmung werden die Ozeane immer saurer. Weiterhin zunehmende Treibhausgas-Emissionen könnten die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff und Nährstoffen in den oberflächennahen Wasserschichten verändern und ganze marine Ökosysteme schädigen.

Saharastaub als potenzielles Kippelement

Ein Forscherteam unter der Leitung von Richard Washington von der University of Oxford hat die größte Staubquelle unseres Planeten, die Bodele-Senke in Tschad, als potenzielles Kippelement identifiziert. Von dieser Fläche in der südlichen Sahara werden in riesigen Wolken bis zu 700.000 Tonnen Staub in Richtung Atlantik und Amazonasbecken verweht.

Aufgewirbelte mineralische Luftschwebstoffe können Kontinente übergreifende klimatische und biophysische Rückkopplungsmechanismen maßgeblich beeinflussen. Wenn sich aufgrund menschlicher Eingriffe regionale Windverhältnisse oder die Oberflächenbeschaffenheit der Bodele-Senke verändern, könnte die Staubmenge innerhalb eines Jahres stark beeinträchtigt werden.

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Wolfgang Weitlaner pressetext.deutschland

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