Fenster in die Vergangenheit – Uralte Sedimente am Meeresgrund der Arktis gefunden

Trotz schwerer Eisfahrt konnten in den letzten Tagen gute Daten vom Hang des Lomonossow-Rückens gesammelt und 3-dimensional dargestellt werden. Abbldung: Laura Jensen, Alfred-Wegener-Institut

Die wertvollen Bodenproben werden nach der Rückkehr des Forschungsschiffes in seinen Heimathafen verladen und in den kommenden Monaten und Jahren in den Heimatlaboren ausgiebig untersucht.

Der Sedimentfund auf dem Lomonossow-Rücken, einem riesigen unterseeischen Gebirge, das den gesamten Arktischen Ozean durchzieht, war einer von vielen Höhepunkten auf der diesjährigen Polarstern-Expedition in die zentrale Arktis.

Neun Wochen lang hatten 50 Wissenschaftler und Techniker aus Belgien, China, Deutschland, Frankreich, Kanada, Korea, den Niederlanden, Norwegen, Russland, Saudi-Arabien und den USA mit verschiedenen geowissenschaftlichen Methoden den arktischen Meeresboden untersucht.

Eine der zentralen Fragestellungen lautete dabei: Wie veränderte sich das Klima in der Arktis in den zurückliegenden 20.000 bis 500.000 Jahren sowie während der letzten 20 bis 60 Millionen Jahre. In letzterem Zeitraum hat sich die Arktis von einem warmen eisfreien Ozean mit Wassertemperaturen um 25°C zu dem heute bekannten kalten eisbedeckten Ozean gewandelt.

Gerade auf diesen langen Zeitskalen von Jahrmillionen, gibt es bisher jedoch nur wenige Daten. Der Grund für die Kenntnislücke ist leicht zu nennen: Es fehlt einfach – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das entsprechende alte Kernmaterial aus der zentralen Arktis, das es erlaubt, derartige Forschungen durchzuführen.

Um die Klimaveränderungen in der Erdgeschichte zu untersuchen, suchten die Forscher unter anderem am Lomonossow-Rücken nach Stellen am Meeresgrund, an denen alte Ablagerungen und Gestein dicht unter der Bodenoberfläche liegen. Sie lassen sich mit einfachen Geräten wie einem Kastenlot oder einem Schwerelot bergen.

Fündig wurden die Wissenschaftler am Westhang dieses großen Untersee-Gebirges. „Hier muss es in der Vergangenheit immer wieder gigantische Erdrutsche gegeben haben, wodurch die darunterliegenden, sehr alten Sediment- und Gesteinsformationen mit einer Mächtigkeit von über 500 Metern freigelegt wurden. Wir waren auch überrascht über das Ausmaß dieser Abrisskanten, die sich über eine Länge von über 300 km fast vom Nordpol bis zum Südende des Rückens auf der sibirischen Seite hinziehen“, sagt der AWI-Geologe und wissenschaftliche Fahrtleiter Prof. Dr. Rüdiger Stein.

Er und sein Team haben die Fundstelle im Anschluss zwei Tage lang intensiv mit Kastenlot- und Schwereloteinsätzen beprobt. „Auch wenn wir das Alter der Sedimente zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau bestimmt haben, so sind wir uns aufgrund unserer Datenbasis schon ziemlich sicher, mit diesen Sedimentproben das Tor in die Vergangenheit weit geöffnet zu haben – wie weit und was wir daraus lernen können, werden die jetzt anstehenden umfangreichen Detailuntersuchungen zeigen“, so der Fahrtleiter.

Trotz aller Euphorie sind sich aber alle Fahrtteilnehmer einig, dass dies nur der erste Schritt sein kann, weitere wichtige müssen nun folgen. „Unsere neuen Sedimentkerne ermöglichen zwar einen ersten ungeahnten Einblick in die frühe Klimageschichte der Arktis, diese Klimaaufzeichnungen bleiben jedoch lückenhaft.

Um aber das große Geheimnis über die Klimaentwicklung der Arktis und deren Ursachen im Verlauf der letzten 20 bis 60 Millionen Jahre vollständig zu lüften, werden mächtigere kontinuierliche Sedimentabfolgen benötigt, wie sie nur durch Tiefbohrungen zu bekommen sind. Derartige Bohrungen in der Arktis sind nach wie vor eine große wissenschaftliche und technische Herausforderung für die marinen Geowissenschaften“, erklärt Stein.

„Hier kann die Geophysik helfen“, so Prof. Dr. Wilfried Jokat, Leiter des Geophysik-Programms an Bord dieser Expedition. „Unsere neuen geophysikalischen Datensätze werden uns in die Lage versetzen, wissenschaftliche Tiefbohrungen im Gebiet des Lomonossow-Rückens, wie wir sie im Rahmen des internationalen Bohrprogramms IODP (International Ocean Discovery Program) bereits vorgeschlagen haben, konkreter zu planen und in die Realität umzusetzen“.

Hinweise für Redaktionen:

Die Polarstern wird am Mittwoch, den 8. Oktober mit dem Nachmittagshochwasser gegen 16:00 Uhr in der Lloyd-Werft erwartet (Nordschleuse etwa 14:00 Uhr). Wetterbedingt kann sich das Einlaufen jedoch noch nach hinten verschieben.

Bitte melden Sie sich bis Mittwoch, den 8. Oktober 2014 um 10:00 Uhr bei Folke Mehrtens (Tel.: 0471 4831-2007; E-Mail: Folke.Mehrtens(at)awi.de) an, wenn Sie das Einlaufen der Polarstern begleiten möchten – wegen der Sicherheitsbestimmungen ist der Zugang zum Werftgelände nur mit Anmeldung möglich.

Druckbare Fotos finden Sie unter http://www.awi.de/de/aktuelles_und_presse/pressemitteilungen/.

Ihre Ansprechpartnerin in der AWI-Pressestelle ist Dr. Folke Mehrtens (Tel.: 0471 4831-2007; E-Mail: Folke.Mehrtens(at)awi.de). Prof. Dr. Rüdiger Stein steht Ihnen nach dem Einlaufen an Bord für Gespräche zur Verfügung.

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Ralf Röchert idw - Informationsdienst Wissenschaft

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