Extreme Klimaereignisse: Auf der Suche nach wissenschaftlichen Kriterien

Austrocknendes Bachbett im Frankenwald während der Sommerdürre und Hitzewelle 2003. Foto: Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein, Universität Bayreuth

Derartige extreme Klimaereignisse werden, wenn die Prognosen zahlreicher Klimaforscher zutreffen, infolge der globalen Erwärmung noch häufiger auftreten. Aber wann sind Klimaereignisse als extrem einzustufen?

Dieser keineswegs trivialen Frage geht ein Beitrag in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature Geoscience“ nach. Zum Autorenteam gehört Professor Dr. Carl Beierkuhnlein, Inhaber des Lehrstuhls für Biogeografie an der Universität Bayreuth. Er befasst sich seit vielen Jahren mit den Auswirkungen von Klimaereignissen und -entwicklungen auf Ökosysteme.

Extreme Klimaereignisse gelten in der Klimaforschung als wichtige Indikatoren für den Verlauf und die Geschwindigkeit eines globalen Klimawandels. Gleichwohl gibt es bis heute keinen Konsens, wie derartige Ereignisse zu definieren sind: Ist die Häufigkeit entscheidend – wenn beispielsweise orkanartige Stürme, die jeweils nur wenige Stunden andauern, sich innerhalb kurzer Zeiträume mehrmals wiederholen? Oder hängt die Einschätzung als extrem vielmehr von der Dauer ab – etwa wenn Trockenperioden ungewöhnlich lange anhalten und erhebliche Dürreschäden verursachen? Schließlich scheint auch die Intensität, etwa von starken Regenfällen innerhalb kurzer Zeit, ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium zu sein.

Die Suche nach einer theoretisch und empirisch gut begründbaren Definition wird dadurch verkompliziert, dass sich in der Forschung zwei unterschiedliche Herangehensweisen etabliert haben: In vielen Fällen stützt man sich auf historische Klimadaten, um Klima- und Wetterereignisse genau dann als extrem zu klassifizieren, wenn sie während langer Zeiträume nur selten auftreten. Dies hat freilich die Konsequenz, dass Dürreperioden oder Überschwemmungen ihren Status als Extremereignisse verlieren, wenn ihre Häufigkeit infolge des weltweiten Klimawandels zunimmt – eines Klimawandels, für den sie doch gerade als Indikatoren herangezogen werden sollen. Ein anderer Forschungsansatz orientiert sich vorrangig an den Auswirkungen von Klima- und Wetterereignissen. Diese gelten dann als extrem, wenn sie massiv und nachhaltig in Ökosysteme oder in menschliche Zivilisationen eingreifen. In dieser Betrachtungsweise verdient das zeitliche Zusammentreffen von Wetterereignissen, beispielsweise von Trockenheit und Hitze, verstärkte Aufmerksamkeit. Denn Ereignisse, die für sich genommen keine gravierenden Auswirkungen haben müssen, erweisen sich oft in ihrer Kombination als besonders folgenreich für die Tier- und Pflanzenwelt.

Sobald Klimaereignisse vorrangig dann als extrem klassifiziert werden, wenn sie – einzeln oder in Kombination – ungewöhnlich starke Auswirkungen auf bestehende Lebensräume haben, stellen sich für die Forschung weitere Probleme. Denn neuere Untersuchungen, die teilweise auf Versuchsflächen der Universität Bayreuth durchgeführt wurden, haben überraschenderweise folgendes gezeigt: Vereinzelte ungewöhnliche Wetterereignisse einerseits und ein allmählicher Klimawandel andererseits können durchaus ähnliche Langzeitwirkungen auf die Vegetation haben. Daher lässt sich nicht immer mit Sicherheit nachweisen, ob empirisch beobachtbare Änderungen in der Vegetation einem allgemeinen Klimawandel oder Einzelereignissen zuzuschreiben sind. Diese Ereignisse wären, dem Forschungsansatz folgend, nur dann als extrem zu werten, wenn sie als Verursacher der Langzeitwirkungen feststehen.

Und noch mit einer weiteren Komplikation müssen sich die Klimaforscher auseinandersetzen: Wenn Ereignisse, die für sich genommen erhebliche Auswirkungen auf Ökosysteme haben, zunehmend häufig auftreten, reagieren Ökosysteme sehr unterschiedlich: in einigen Fällen mit einem Zusammenbruch und einem dauerhaften Verlust bestimmter Funktionen, in anderen Fällen hingegen mit der Entwicklung von Anpassungsmechanismen, die eben diese Funktionen robuster und widerstandsfähiger machen. Eine derart erfolgreiche Gegenwehr müsste paradoxerweise dazu führen, dass die wegen ihrer Folgen als extrem eingestuften Ereignisse diesen Charakter trotz ihrer zunehmenden Häufigkeit wieder verlieren.

Die Überlegungen, die Beierkuhnlein und seine Kolleginnen an der University of Edinburgh in „Nature Geoscience“ präsentieren, sind hervorgegangen aus einer Tagung über extreme Umweltereignisse, die im Dezember 2010 an der University of Cambridge stattgefunden hat. „In den letzten Jahren hat sich die Redeweise von extremen Klima- oder Wetterereignissen in den Medien, der Politik und der Öffentlichkeit immer weiter verbreitet, ohne dass man hinreichend darüber nachgedacht hat, was eigentlich darunter zu verstehen ist“, erklärt Beierkuhnlein. „Aber gerade im Kontext wissenschaftlicher Untersuchungen und Prognosen zum Klimawandel, in denen Ereignisse wie Stürme, Überschwemmungen oder Hitzeperioden eine zunehmend wichtige Rolle spielen, ist begriffliche Präzision unabdingbar. Darauf wollten wir mit unserem jetzt veröffentlichten Zwischenruf aufmerksam machen.“

Veröffentlichung:

Gabriele C. Hegerl, Helen Hanlon and Carl Beierkuhnlein,
Climate science: Elusive extremes,
in: Nature Geoscience, Vol 4, March 2011, p 142-143.
DOI-Bookmark: 10.1038/ngeo1090
Kontaktadresse für weitere Informationen:
Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein
Lehrstuhl für Biogeografie
Universität Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 / 55-2270
E-Mail: carl.beierkuhnlein@uni-bayreuth.de

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Christian Wißler Universität Bayreuth

Weitere Informationen:

http://www.uni-bayreuth.de

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