Erfolgreiche Bohrung am El'gygytgyn-Meteoritenkrater

Christian Koeberl, Leiter des Departments für Lithosphärenforschung der Universität Wien, ist vor kurzem aus der sibirischen Arktis zurückgekehrt.

Er ist einer der Projektleiter des vor wenigen Wochen im Rahmen des International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) durchgeführten Tiefbohrprojektes am Elgygytgyn-Kratersee. Ziel der Unternehmung ist es, durch Analyse der Bohrkerne neue Erkenntnisse im Bereich der Impaktforschung, aber auch zur arktischen Klimaentwicklung zu gewinnen. Die Impaktbrekzien werden unter der Leitung von Christian Koeberl im Rahmen eines FWF-Projektes an der Universität Wien untersucht.

Der Elgygytgyn-See ist vor ca. 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag entstanden. Der Krater und der darin befindliche See sind aus zwei Gründen für die Forschung interessant: Erstens handelt es sich um den einzigen bisher bekannten Meteoritenkrater in sauren vulkanischen Gesteinen und bietet daher die Möglichkeit, Impakteffekte an solchen Gesteinen zu untersuchen. Das ist für die vergleichende Planetenforschung von großem Interesse. Zweitens handelt es sich bei den mehr als 300 Meter langen Seesedimenten um ein einzigartiges Archiv der bisher wenig bekannten Klimageschichte in der Arktis. Die Auswertung der Daten wird zu einem besseren Verständnis von Ursache- und Wirkungsbeziehungen für Klimaveränderungen beitragen. Diese Prognosen sind für die zukünftige Klimaentwicklung von großer Bedeutung.

Impaktbrekzien liefern neue Erkenntnisse zum Meteoriteneinschlag

Das extrem aufwendige Bohrprojekt wurde Anfang Mai erfolgreich abgeschlossen. Wie erhofft wurden unter den Seesedimenten tatsächlich Impaktbrekzien erbohrt. Direkt unter den Seesedimenten befindet sich eine mehrere Dutzend Meter mächtige Schicht an sogenannten Sueviten. Dies sind impaktglashältige Brekzien, die aus Trümmern verschiedener Gesteinsarten bestehen und mit einer feinkörnigen Matrix zementiert sind. Solche Gesteine kennt man auf der Erde nur von Meteoritenkratern. Unter diesen Sueviten fand sich zerrüttetes vulkanisches Grundgebirge, das während des Meteoriteneinschlages geschockt, zerbrochen und hochgehoben wurde. Bei der Bildung des Zentralberges, der für einen Krater dieser Größe auf der Erde typisch ist, federt tief liegendes Gestein zur Oberfläche und erstarrt. Krater mit Zentralbergen nennt man auch „komplexe“ Impaktkrater. In weniger als einer Minute hebt sich ein Berg von mehreren Kilometern Durchmesser um mehr als einen Kilometer aus dem Boden. Mit den über 200 Metern Impaktbrekzien, die bei der Bohrung gewonnen wurden, wird der Prozess des Meteoriteneinschlags genau untersucht werden können. Insgesamt wurde im Rahmen dieses Projektes eine Bohrtiefe von 517,3 Meter unter dem Seeboden, bzw. von der Oberfläche von 687,3 m erreicht.

Vulkanite werden über mehrere Jahre an der Universität Wien untersucht

Die Bohrkerne werden im Juni von der Stadt Pevek am Eismeer mittels Charterflugzeug nach St. Petersburg gebracht. Dort beginnt der lange Prozess der Ausfuhrgenehmigungen. September/Oktober 2009 werden die Bohrkerne in Deutschland eintreffen, von wo aus die weiteren Untersuchungen koordiniert werden. Die Gesamtauswertung benötigt mehrere Jahre. In Österreich werden unter der Leitung von Impaktforscher Christian Koeberl die Impaktgesteine für das gesamte internationale Projekt im Rahmen eines soeben genehmigten FWF Forschungsprojektes bearbeitet. Neben der genauen Studie der geschockten Vulkanite, wird die Natur des Asteroiden, der den Krater gebildet hat, analysiert. Darüber hinaus wird man eine Aussage über die Energieverhältnisse beim Einschlag, und daher über die Auswirkungen des Einschlages auf die Umwelt, machen können.

Komplexe Vorbereitungen mit enormem finanziellen Aufwand

Am 14. April 2009 erreichten die WissenschafterInnen bei einer Tiefe von ca. 312 Meter unter dem Seeboden (482 Meter Gesamttiefe) den Übergang zwischen den Seesedimenten und den Impaktgesteinen – und damit den Zeitmarker von 3,6 Millionen Jahren. Diesem wichtigen Etappensieg in dem Projekt ging ein langer und schwieriger Weg voraus: Allein für die wissenschaftliche Planung, die Finanzierungsanträge, und die Beschaffung der nötigen Bewilligungen wurden acht Jahre benötigt. Vor Ort stellte sich dann z.B. heraus, dass man die Eisdecke über dem 170 Meter tiefen See für die etwa 75 Tonnen schwere Bohrplattform und den verschiedenen Bulldozer und anderen Gefährten verstärken musste. Es wurde Seewasser an die Eisoberfläche gepumpt, wo es dann auf Grund der niedrigen Temperaturen erstarrte. Mehrere hundert Tonnen Ausrüstung mussten teilweise von Übersee in diesen sehr entlegenen Teil Sibiriens gebracht werden. Die nächstgelegene Stadt ist Pevek am arktischen Ozean, 350 km von der Bohrplattform entfernt. Dort gibt es einen Flughafen und Hafen – ersterer wird allerdings nur alle zwei Wochen (von Moskau aus) angeflogen, letzterer ist nur drei Monate im Sommer offen, ansonsten zugefroren. Im Sommer 2008 wurde bereits die gesamte Bohranlage nach Pevek verschifft. Temperaturen von bis zu -30°C und Stürme mit bis 100 km/h, die dann zu „Wind-Chill“-Temperaturen von -50°C führen, erschwerten die Arbeiten. Der größte Teil der Ausrüstung wurde über Land auf einer speziell errichteten „Schneepiste“ zum Kratersee gebracht, während Personal und WissenschafterInnen sowie spezielle Geräte mit dem Lastenhubschrauber von Pevek eingeflogen wurden. Jeder der bisher etwa 15 Flüge kostete ca.13.000 Euro.

Insgesamt ergaben sich Kosten von etwa 10 Millionen US-Dollar für die Bohrung. Darin sind die ab jetzt mehrere Jahre dauernden wissenschaftlichen Untersuchungen der erhaltenen Bohrkerne noch nicht inkludiert. Die Bohrkosten werden hauptsächlich von ICDP, der US-amerkanischen National Science Foundation, und dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung getragen. Auch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien hat 100.000 Euro zu den Bohrkosten beigetragen. Weitere Projektpartner sind Prof. Julie Brigham-Grette (University of Massachusetts-Amherst, USA), Prof. Martin Melles (Universität Köln, Deutschland) und Dr. Pavel Minyuk (Russische Akademie der Wissenschaften, Magadan, Russische Föderation).

Kontakt:
V.-Prof. Dr. Christian Koeberl
Department für Lithosphärenforschung
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA II)
T +43-1-4277-531 10
christian.koeberl@univie.ac.at
Rückfragehinweise
Mag. Veronika Schallhart
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
T +43-1-4277-175 30
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