Die maximale Erdbebenstärke in der Nord-Türkei

Fig. 1: Die Anatolische Platte, die Nordanatolische Verwerfungszone und die Erdbebenverteilung (Grafik: GFZ)

Geowissenschaftler und Katastrophenschützer kennen das Risiko der Megacity Istanbul: mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat die Stadt in der nahen Zukunft mit einem verheerenden Erdbeben zu rechnen. Die Frage ist: wie stark kann das Beben werden?

Wissenschaftler des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ haben zusammen mit einem Kollegen von der University of Southern California die Erdbebenmaxima entlang der Nordanatolischen Verwerfung untersucht und kamen zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass Megabeben der Magnitude M 8 nur im Osten der Erdbebenzone zu erwarten sind. Für den westlichen Teil der Verwerfungszone, wo Istanbul angesiedelt ist, erwarten sie Starkbeben mit nicht größerer Magnitude als M 7,5.

Seismologe Marco Bohnhoff vom GFZ erklärt: „Wir haben einen neuen Katalog historischer Seismizität für die Nordanatolische Verwerfungszone zusammengestellt, der bis 300 Jahre vor Christus zurückreicht und somit einen Zeitraum von 2300 Jahren abdeckt. Interessanterweise sind im Nordwesten der Türkei niemals Erdbeben mit Magnituden größer als 7,5 beobachtet worden. Im Gegensatz dazu sind im Osten der Türkei Magnituden bis M 8 gut dokumentiert.“

Die Erklärung dafür liegt im Alter der Bruchzone. Die mehr als 900 Kilometer lange Nordanatolische Verwerfung reicht von der Nordägäis im Westen bis fast zum Kaukasus im Osten und läuft quer durch die nördliche Türkei. Sie stellt die Nahtstelle zwischen der Anatolischen Platte im Süden und der Eurasischen Platte im Norden dar.

Die Anatolische Platte, und mit ihr die heutige Türkei, bewegt sich nach Westen und verhakt sich dabei mit der Eurasischen Platte, wodurch über Jahrhunderte Spannungen aufgebaut werden, die sich dann schlagartig in Form von Erdbeben entladen. Der jetzt vorgestellte neue Erdbebenkatalog ergibt, zusammen mit weiteren Schlüsselgrößen wie Alter, strukturelle Beschaffenheit und Bewegungsraten der Erdplatten, ein schlüssiges Erklärungsmuster.

Geoforscher Bohnhoff: „Wir konnten zeigen, dass die geringeren Erdbebenstärken im Westen im Zusammenhang mit dem früheren Entwicklungsstatus der Erdbebenzone stehen: Sie ist dort mit etwa acht Millionen Jahren vergleichsweise jünger und weniger gut ausgebildet als im Osten, wo sie 12 bis 13 Millionen Jahre alt ist. Die längere Zeitspanne hat hier bereits zur Ausbildung größerer zusammenhängender Bruchflächen damit zum Auftreten größerer Erdbeben geführt.“

Denn Verwerfungszonen haben einen Lebenszyklus. Das Gestein bricht nicht entlang der gesamten Bruchzone auf einmal, sondern in Teilsegmenten. Im Laufe der Jahrmillionen wachsen einige dieser Segmente gerade durch die Erdbeben zusammen. Aufgrund ihres höheren Alters befinden sich daher im Ostteil der Verwerfung größere zusammenhängende Segmente. Deshalb treten im Osten stärkere Beben auf als im Westen, wo sich aktuell noch mehrere kleinere und teilweise noch nicht miteinander verwachsene Teilabschnitte befinden.

Für Istanbul heißt das: Diese größeren Erdbeben mit Magnitude M 8 sind dort erst in vielen Jahrtausenden zu erwarten. Damit läßt sich das seismische Risiko für Istanbul nach oben eingrenzen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls Entwarnung, da sich die Erdbebenzone unmittelbar vor den Toren der Stadt auf dem Grund des Marmarameeres befindet. Daher kann auch auch ein Beben mit Magnitude M 7,5 entsprechend große Schäden anrichten.

Die Ergebnisse der neuen Studie sind wesentlich für die Abschätzung maximal zu erwartender Erdbebenmagnituden in dicht besiedelten Regionen, für die Bestimmung der seismischen Gefährdung und des damit verbundenen Risikos und letztlich für Anpassung von Bauvorschriften.

Marco Bohnhoff, Patricia Martínez-Garzón, Fatih Bulut, Eva Stierle, Yehuda Ben-Zion: “Maximum earthquake magnitudes along different sections of the North Anatolian fault zone”, Tectonophysics, 03.03.2016, DOI: 10.1016/j.tecto.2016.02.028
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0040195116001256

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Dipl.Met. Franz Ossing Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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