Seeigel züchten Kristalle

Über ihre Oberfläche kommunizieren Kristalle mit ihrer Umwelt, bei antiken Denkmälern deutlich zu sehen in einem regelrechten „Gesichtsverlust“. Feuchtigkeit und andere Faktoren sorgen für Auflösungsprozesse, die sich durch moderne Mikroskope auf molekularer Ebene beobachten lassen. Aber Minerale werden durch die umgebenden Substanzen nicht nur aufgelöst: Die Umgebung kann auch den Aufbau eines Kristalls steuern. So züchtet der Seeigel seine Stacheln aus sich aufbauenden Kristallen gezielt in die für ihn vorteilhafte Form. Darüber berichten Mineralogen in RUBIN Geowissenschaften, der aktuellen Sonderausgabe des Wissenschaftsmagazins der Ruhr-Universität.

Wie der Zahn der Zeit nagt

Was eigentlich genau passiert, wenn der Zahn der Zeit an Steinoberflächen nagt, weiß man erst, seit moderne Mikroskope Einblick in die Auflösungsprozesse im Detail erlauben. Beobachtet man einen solchen Prozess z. B. mittels Rasterkraftmikroskopie, entdeckt man, dass die Verwitterung durch geordnete Prozesse an der Kristalloberfläche aufläuft. Wassermoleküle ordnen sich auf der Oberfläche an und bilden bei hoher Luftfeuchtigkeit eine geschlossene Schicht. Die Sauerstoffatome des Wassers ergänzen dabei die Kristalloberfläche, sie setzen sich in „Lücken“. Dadurch lösen sie einzelne Kristallmoleküle aus dem Verbund heraus – kleine Gruben entstehen, die wiederum Angriffspunkt für Wassermoleküle sind.

Stachel ist aus dem Kristallgitter geschnitten

Diese Kommunikation der Kristalloberfläche mit ihrer Umwelt bedeutet nicht zwangsläufig die Auflösung, sondern kann auch den Aufbau eines Kristalls beeinflussen. So züchten Seeigel ihr Skelett und ihre Stacheln gezielt heran, indem sie Kristalle nur in ganz bestimmter Art und Weise wachsen lassen. Proteine in der Zellflüssigkeit benetzen die Oberfläche des wachsenden Kristallkeims und sorgen dafür, dass der Kristall nicht rhomboedrisch wächst, wie er es ohne Beeinflussung tun würde, sondern dass sich die neuen Atome nur in der gewünschten Richtung anlagern. So ist ein Seeigelstachel praktisch aus dem natürlichen Kristallgitter herausgeschnitten. Welche Proteine für die Steuerungsprozesse verantwortlich sind, ist Gegenstand weiterer Forschung. Erste Experimente mit einfachen Aminosäuren haben jedoch bewiesen, dass das gezielte Kristallwachstum damit möglich ist. Wissenschaftler vermuten in der Kommunikation zwischen Kristalloberfläche und Umgebung auch den Ursprung des Lebens: An eine Kristalloberfläche geheftet könnten die organischen Lebensbausteine sich erstmals so nahe gekommen sein, dass sie Verbindungen eingehen konnten.

Themen in RUBIN Geowissenschaften

Klimawandel in der Erdgeschichte: Kreidezeit war Treibhauswelt; Damit der Salat nicht so schwer im Magen liegt: Schadstoffe im Boden festsetzen; Qualitätstourismus auf Mallorca: „Ballermann“ war besser; Von hohen Löslichkeiten in tiefer Erde: Des Wassers steinerne Fracht; Erdbebenschäden in über zehn Kilometer Tiefe: Gesteine mit Erinnerungsvermögen; Oberfläche bestimmt Kristalleigenschaft: Gesichtsverlust und Stachelaufbau; Stadtstruktur und Wasserqualität: Chinas Megacities geht das Wasser aus. RUBIN Geowissenschaften ist im Dekanat der Fakultät für Geowissenschaften zum Preis von 5 Euro erhältlich und steht im Internet unter: http://www.rub.de/rubin.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Hermann Gies, Dr. Uta Magdans, Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Mineralogie-Kristallographie, Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-27546, E-Mail: hermann.gies@rub.de, uta.magdans@rub.de

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Dr. Josef König idw

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