Seismologe Dr. Baumbach über das Erdbeben in Sultandagi

Deutsche Task Force Erdbeben untersucht Erdbeben bei Sultandagi — nur geringe Nachbeben

Stärke Sechs auf der Richterskala hatte das Beben, das vor zwei Tagen die Region rund um Sultandagi, etwa 250 Kilometer südwestlich von Ankara, verwüstete. Die Behörden gehen derzeit von 43 Toten aus. Ein Fall für die Deutsche Task Force Erdbeben. Sie hält sich derzeit im Gebiet auf, um die Nachbeben zu registrieren und das Erdbeben wissenschaftlich auszuwerten. Der Leiter der Taskforce, der Seismologe Dr. Michael Baumbach, über Erdbeben und ihre Zerstörungskraft.

Frage: Drohen noch Nachbeben rund um Sultandagi?

Eher wenige. Die ersten Nachbeben, die in diesem Falle gemeldet wurden, waren Beben der Magnitude drei. Das ist nicht übermäßig hoch. Außerdem ist die Zahl der Nachbeben begrenzt. Mir liegen Meldungen vor, nach denen bisher 28 Nachbeben registriert wurden. Zum Vergleich: In Izmet waren es mehrere Tausend. Ein stärkeres Nachbeben kann aber immer kommen.

Frage: Was genau ist ein Nachbeben?

Nachbeben treten bei jedem stärkeren Beben auf, sind aber schwächer als das Hauptbeben. Im Prinzip entsteht ein Erdbeben dadurch, dass sich Spannungen in der Erdkruste verlagern. Das starke Hauptbeben löst in der Umgebung rund um das Epizentrum kleinere Erdbeben aus, die Nachbeben, die in einiger Entfernung die Erde erschüttern. Bei dem Erdbeben in Izmet konnten wir beispielsweise bis ins Marmara-Meer hinein Nachbeben messen. Durch die Untersuchung der Nachbeben können wir die Größe und den Wirkungsmechanismus des Bruchs feststellen, der durch das Erdbeben erzeugt wurde.

Frage: Wann muss man mit dem nächsten Erdbeben in der Gegend rechnen?

Vorhersagen sind nicht möglich. Die Ursache der großen türkischen Erdbeben ist die Plattenbewegung entlang der nordanatolischen Verwerfung. Die afrikanische Platte wird an dieser Stelle unter die anatolische Platte gedrückt. Dadurch ist die ganze Türkei schon immer ein erdbebenreiches und tektonisch kompliziertes Gebiet; die Menschen müssen dort seit langem mit Erdbeben leben. Das vorliegende Beben jedoch hat sicher eine andere Ursache, die wir noch nicht wirklich kennen. Trotz aller Forschung kann man Beben noch nicht genau vorhersagen. Dazu müsste man Ort, Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe und den genauen Zeitpunkt kennen, und das hat bis auf Ausnahmefälle bisher noch nie funktioniert.

Frage: 2001 El Salvador, 1999 Taiwan – und immer wieder Türkei: Adana, Izmit, Düzce. Häufen sich katastrophale Erdbeben in den letzten Jahren?

Das scheint vielleicht auf den ersten Blick so, doch der Schein trügt. Sehr starke Beben, insbesondere in dicht besiedeltem Gebiet – und nur solche Erdbeben sind für die Task Force interessant – sind nicht sehr häufig.

Frage: Was hat man aus den Beben der letzten Jahre in der Türkei gelernt, beispielsweise in Bezug auf die Bauweise der Häuser?

Nach den Beben in Izmet und Düzce ist die Notwendigkeit, besonders bei der Bauweise der Häuser etwas zu verbessern, sehr deutlich geworden. Trotzdem ist es nach dem Beben in Sultandagi wieder zu Einstürzen desselben Häusertyps gekommen, so dass eigentlich kein Fortschritt festzustellen ist. Vielleicht ist seit 1999 auch noch nicht genug Zeit vergangen, dass sich die Ergebnisse herumsprechen konnten.

Frage: Wie arbeitet die Task Force?

Die Mitglieder der Task Force rekrutieren sich aus mehreren Instituten. So sind neben Wissenschaftlern des GeoForschungsZentrums Potsdam Bauingenieure der Bauhaus-Universität Weimar und der Universität Karlsruhe mit dabei, die untersuchen, inwieweit Bauwerke geschädigt wurden. Andere Kollegen studieren den Gasgehalt und die mineralische Zusammensetzung von Tiefen- und Quellwässern, um so Rückschlüsse auf die Art und Ursache des Bebens zu ziehen. Finanziert wird die wissenschaftliche Einsatzgruppe durch das GeoForschungsZentrum Potsdam und einen privaten Sponsor. Sobald am GeoForschungsZentrum Potsdam der Beschluss für einen Einsatz gefasst wird, werden binnen Stunden Computer und Messgeräte eingepackt und Frachtraum im Flugzeug reserviert. Bei einem großen Einsatz wie in Izmet haben wir knapp drei Tonnen Material zu transportieren; dann sind etwa zehn Mitarbeiter vor Ort dabei. Im Falle des Bebens bei Sultandagi sind wir allerdings wegen der wenigen Nachbeben nur mit einigen „Strong-Motion-Stationen“ vor Ort – seismische Messstationen für Bauingenieure, die auch große Amplituden registrieren können.


2002 ist das „Jahr der Geowissenschaften“. Ziel ist es, das Spektrum der geowissenschaftlichen Forschung transparenter zu machen, einen lebendigen Dialog zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit anzuregen und zu fördern. Das „Jahr der Geowissenschaften“ geht ebenso wie das „Jahr der Physik“ 2000 und das „Jahr der Lebenswissenschaften“ 2001 auf die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ zurück, die von Bundesministerin Bulmahn, dem Stifterverband und den großen Forschungsorganisationen 1999 ins Leben gerufen wurde.


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