Leben in Lost City wie zu Urzeiten der Erde

Vor rund vier Jahren haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich zusammen mit Kollegen aus den USA eine neue Art von Kalkformationen und Warmwasserquellen mit Namen „Lost City“ im Atlantik entdeckt. Die Lebensformen und ihre Verbindung zu den mineralogisch-chemischen Prozessen im Untergrund waren bislang unerforscht. Kürzlich hat ein Team von Forschenden ihre ersten umfassenden Resultate dazu im Wissenschafts-Magazin „Science“ publiziert. Es stellt sich heraus, dass die Kalktürme eine bislang unbekannte Bauweise haben und dass andere Organismen als bei den so genannten Black Smokers in ihrem Umfeld leben.


„Die Bedingungen, wie wir sie in Lost City vorfinden, könnten so sein, wie sie zu Beginn des Lebens auf unserem Planeten waren. Deshalb ist es für uns wichtig, die chemischen Reaktionen, die Energiequellen und die Flüssigkeitsströme von Lost City zu verstehen“, erklärt Dr. Gretchen Früh-Green vom Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich.

Leben in „ätzendem Milieu“

Die bis 90 Grad warmen Wasserquellen und spektakulären Strukturen von Lost City werden nicht von heissem Magma im Untergrund wie bei den Black Smokers angetrieben. Vielmehr handelt es sich um eine chemische Reaktion zwischen eisenhaltigen Mineralien in aus dem Erdmantel stammenden Gesteinen und dem Meerwasser. Diese Reaktion führt dazu, dass sich Serpentin-Mineralien bilden. Dabei entstehen ätzende Lösungen mit äusserst basischen pH-Werten von 10 bis 11. Die Methan- und Wasserstoffgehalte der Lost-City-Fluide sind um ein Vielfaches höher als in den Black Smokers. Einzeller scheinen vornehmlich von diesem abiotischen Methan und Wasserstoff zu leben, während Kohlendioxid völlig fehlt und Schwefelwasserstoff und Metalle nur in geringen Spuren vorhanden sind.

Neue Lebensarten entdeckt

Die warmwasserumströmten Kalktürme sind reich an organischem Material. Die Artenvielfalt der Mikroorganismen ist allerdings niedrig und von so genannten Archaea dominiert. Dies sind einzellige anaerobe Organismen, die Methan konsumieren oder produzieren. Die Forschenden konnten bei Ihren Untersuchungen eine neue Art von Archaea bestimmen, die in einem Milieu von 70 bis 90 Grad überlebt. Ihre Lebensweise ist für das Forschungsteam von besonderem Interesse, da sie mögliche Hinweise auf das erste Leben auf unserem Planeten geben können. Insgesamt ist die Biomasse der wirbellosen Organismen an den Black Smokers höher als in Lost City, die Artenvielfalt aber vergleichbar, stellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest. Fast 60 Prozent der Arten kommen nur in Lost City vor.

Besondere Bauweise und Hydrologie

Auch die Bauweise der Kalktürme und die hydrologischen Bedingungen in Lost City sind speziell. Anders als bei den Black Smokers sind die Kamine porös. Viele kleine Kanälchen durchziehen die Kalktürme und bilden wichtige Lebensräume für die Mikroorganismen. Auch die Gesteinswände in der Umgebung von Lost City sind von Karbonatablagerungen durchzogen und bilden damit zusätzliche Lebensräume ausserhalb des Hauptquellgebietes.

Kein einzelnes Vorkommen

Die am Meeresboden vorgefundene Struktur existiert bereits seit rund 30’000 Jahren und könnte noch mehrere hunderttausend Jahre weiter ablaufen. Die tektonischen Voraussetzungen dafür gibt es häufig im Atlantik. Aus diesem Grund muss es auch an anderen Stellen Formationen wie Lost City geben. Ähnliche bis zu dreieinhalb Milliarden Jahre alte Gesteine wie hier findet man auch in Afrika. Die Forschenden glauben, dass Lost City ein modernes Gegenstück zu diesen alten Gesteinen ist: „Wenn wir die chemischen und biologischen Vorgänge in Lost City verstehen, heisst dies also, ähnliche Prozesse, die zu Urzeiten der Erde stattgefunden haben, zu verstehen. Dies wird uns helfen, Fragen nach dem Ursprung des Lebens zu beantworten“, ist Dr. Gretchen Früh-Green überzeugt.

Weitere Informationen

Dr. Gretchen Früh-Green
ETH Zürich, Dept. Erdwissenschaften
Institut für Mineralogie und Petrographie
Telefon +41 44 632 37 94
Telefax +41 44 632 10 88
frueh-green@erdw.ethz.ch

Diese Forschungsarbeit, welche von der ETH und dem Schweizerischer National Fonds mitfinanziert wurde, ist Teil eines grösseren von der US National Science Foundation unterstützten Projekts, welches Deborah Kelley von der University of Washington leitet.

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