Wirtschaftszone unter Wasser

Der Greifarm des Tauchroboters QUEST beim Bergen einer Messsonde, die ein Jahr lang autonom gearbeitet hatte. Aufnahme aus einem Tiefwaserriff vor Irland. Foto: MARUM, Bremen

Gemeinschaftsprojekt HERMES: Erkundung der Kontinentalränder von Europa

Europa ist größer, als die meisten Menschen denken. Nicht etwa deshalb, weil die Aufnahme der neuen Mitgliedsländer in die Europäische Union zu wenig bekannt wäre. Die Fläche, die ignoriert wird, entzieht sich der oberflächlichen Aufmerksamkeit, denn sie liegt unter Wasser, oft sogar mehrere tausend Meter tief. Was dort an natürlichen Schätzen verborgen ist, stellt versunkene Piratenschiffe, auch wenn sie mit Schatztruhen vollgepackt sein sollten, mühelos in den Schatten. In einem europaweiten Großprojekt werden die Reichtümer, die die Meere an den Rändern des Kontinents hüten, nun gesichtet. Die Universität Erlangen-Nürnberg ist mit Prof. Dr. André Freiwald vom Lehrstuhl für Paläontologie im Erkundungsteam dabei.

Über 15.000 Kilometer erstrecken sich Europas Kontinentalränder, von der Arktis bis nach Spanien, im Mittelmeer bis hin zum Schwarzen Meer. In der Tiefe reichen die Ränder der kontinentalen Platten von 200 Metern unter dem Meeresspiegel bis zum Grund des Ozeans bei etwa 4.000 Metern. Ihre Fläche entspricht einem Drittel der europäischen Landmasse. Dieses unterseeische Gebiet liegt fast vollständig innerhalb der Exclusive Economic Zone (EEZ), der Wirtschaftszone, die den Europäern vorbehalten ist. Es liegt deshalb im Interesse der Staaten dieses Kontinents, das kaum erforschte Reich unter Wasser und seine Gesetzmäßigkeiten kennenzulernen, um Nutzen daraus ziehen zu können, aber auch, um die Reservoirs der Tiefsee vor Raubbau und Zerstörung zu schützen.

Das Projekt „Hotspot Ecosystem Research on the Margins of European Seas“ (HERMES) wird am 1. April 2005 anlaufen. 45 Partner aus 15 europäischen Ländern sind beteiligt. Die Erforschung der biologischen, energetischen und mineralischen Ressourcen der Kontinentalränder erfolgt im 6. Rahmenprogramm der EU. Die Forschungsarbeiten sind international und interdisziplinär angelegt: Biologen und Biochemiker, Geowissenschaftler und Ozeanologen müssen zusammenwirken, um Struktur und Dynamik von Ökosystemen in der Tiefsee ebenso wie den Einfluss und Verlauf physikalischer Prozesse von Grund auf zu begreifen. Den mit erdgeschichtlichen Entwicklungen verbundenen Wandel von den Folgen menschlicher Aktivitäten zu unterscheiden, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Projekts.

Canyons als Kinderstuben

Das Untersuchungsinteresse ist auf vier Typen von „Hotspots“ ausgerichtet, unterschiedlich aufgebaute Ökosysteme, von denen zumeist noch sehr wenig bekannt ist. In Canyons, tiefen Einschnitten in die Kontinentalplatten, unterhalten Tiefseefische höchstwahrscheinlich ihre Kinderstuben. Von der Anpassungsfähigkeit von Mikroben, die ohne Sauerstoff an heißen Gaskaminen, Schlammvulkanen oder Methanaustritten existieren können, profitieren andere Lebensgemeinschaften. An vermeintlich lebensfeindlichen Orten wird so Biomasse in erstaunlich hohem Ausmaß produziert.

Sehr viel weiter verbreitet als angenommen sind nach neueren Entdeckungen die von Kaltwasserkorallen gebildeten Riffe in der Tiefsee, auf die Prof. Freiwald seine Arbeit vorwiegend konzentriert. Dadurch werden Vergleiche zwischen nährstoffreichen und -armen Varianten der als CO2-Speicher und „Klima-Archiv“ bedeutsamen Korallenriffe möglich. Um übergreifende Zusammenhänge erfassen zu können, werden außerdem Ökosysteme einbezogen, die auf den abfallenden Hängen der Kontinentalränder siedeln. Dazu gehört die Erforschung instabiler Hänge, deren großräumiger Abrutsch für die Meeresbewohner ebenso katastrophal ausfallen kann wie für Off-shore-Einrichtungen oder die Anrainer an den Küsten.

Dass Europas Ländereien unter dem Meeresspiegel neuerdings so viel Aufmerksamkeit wecken, wäre ohne die Technik nicht denkbar, die diese Region erst zugänglich macht. U-Boote, Unterwasserkameras, autonom agierende Fahrzeuge und Roboter mit Fernsteuerung öffnen den Menschen den Einblick in eine Welt, die schwieriger zu erreichen war als der Mond. Das nur in einigen Staaten der Gemeinschaft vorhandene modernste Instrumentarium steht nun allen zur Verfügung, die sich am Projekt beteiligen.

Weitere Informationen

Prof. Dr. André Freiwald
Tel.: 09131/85 -26959
andre.freiwald@pal.uni-erlangen.de

Media Contact

Ute Missel idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-erlangen.de

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