Glühende Urgewalten unter dem Eis

Der amerikanische Forschungseisbrecher USCGC Healy und das deutsche Forschungsschiff PSF Polarstern auf Expedition im Arktischen Meer. <br> <br>Foto: Henry Dick, Woods Hole Oceanographic Institution / NSF <br>

Ergebnisse einer deutsch-amerikanischen Arktis-Expedition zum Gakkelrücken stellen bisherige Vorstellungen über die Bildung neuen Meeresbodens in Frage

Unter dem Eis der Arktis erstreckt sich ein gewaltiger Gebirgszug, der Gakkel-Rücken, der mit Tälern, die bis zu 5.500 Meter unter die Meeresoberfläche reichen, und Gipfeln in einer Meerestiefe von 600 Metern mächtiger als die Alpen ist. Diese Nahtstelle der Kontinentalverschiebung im Nordpolarmeer und seine Entstehung zu erkunden, war Ziel der internationalen AMORE-Expedition (Arctic Mid-Ocean Ridge Expedition) mit dem US-amerikanischen Forschungseisbrecher „USCGC Healy“ und der deutschen „PFS Polarstern“, an der auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie beteiligt waren. Entgegen ihren Erwartungen eines „anämischen“ Vulkanismus fanden die Forscher überraschend starke magmatische Aktivität im Ost- und Westteil des Gebirgsrückens sowie hydrothermale Quellen, die zu den stärksten an mittelozeanischen Rücken gehören. Vor allem aber zeigen die Ergebnisse dieser Expedition, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Modellvorstellungen durch die kontinuierliche Erforschung von Struktur, chemischen Prozessen und Verhalten unseres Planeten zu überprüfen (Nature, 26. Juni 2003).

Der Gakkel-Rücken erstreckt sich unter dem Arktischen Meer über 1.800 Kilometer vom Norden Grönlands bis nach Sibirien. Er ist der nördlichste Ausläufer des mittelozeanischen Rückensystems, jener gewaltigen 75.000 Kilometer langen vulkanischen Gebirgskette unter dem Meer, in der durch aufsteigendes Magma neuer Meeresboden, ozeanische Kruste, entsteht. Der Gakkel-Rücken ist für Geowissenschaftler besonders interessant, weil er mit einem Zentimeter pro Jahr der sich am langsamsten spreizende Ozeanrücken auf der Erde ist, 20 Mal langsamer als beispielsweise der wesentlich besser erforschte Ostpazifische Rücken. Die Erforschung dieser langsamen Spreizung verspricht eine Reihe von geologischen Effekten, die Aufschluß über die Bildung der gesamten ozeanischen Kruste ermöglichen sollten.

Die Wissenschaftler erwarteten deshalb am Gakkel-Rücken einen Vulkanismus, der mit der Geschwindigkeit der Spreizung der Platten abnimmt, und keine bzw. allenfalls eine geringe hydrothermale Aktivität. Tatsächlich aber fanden sie eine sehr starke Vulkanaktivität. „Wir hatten erwartet, dass der Magmatismus von Westen nach Osten stetig abnimmt und schließlich ganz aufhört. Stattdessen war die Magmaproduktion im mittleren Bereich des Rückens völlig erloschen, um dann weiter nach Osten wieder dramatisch anzusteigen,“ sagt Dr. Jonathan Snow, Leiter der Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, die für die petrologischen und geochemischen Untersuchungen der gefundenen Gesteinsproben zuständig war.

Auch heiße Quellen kommen im Gebiet des Gakkel-Rückens viel häufiger vor als erwartet. „Wir gingen von einem hydrothermal toten Rücken aus,“ so Snow, „aber jedes Mal, wenn wir unser Messinstrument aus dem Meer zogen, gab es Hinweise auf hydrothermische Aktivität, und einmal sahen wir sogar eine aktive heiße Quelle auf dem Meeresboden.“ Die Biologen, die an der Expedition teilnahmen, sind der Meinung, primitive Lebensgemeinschaften könnten an den heißen Quellen über lange Zeit von jeder Verbindung zu anderen Teilen der Weltmeere ausgeschlossen gewesen sein und deshalb möglicherweise archaische Formen konserviert haben.

Die zentrale Region des Gakkel-Rückens ist mit ihrer fehlenden magmatischen Aktivität einzigartig im mittelozeanischen Rückensystem: Hier ist keinerlei vulkanische Kruste vorhanden. Die Wissenschaftler konnten Gesteinsproben sammeln, die direkt aus dem oberen Bereich des Erdmantels stammen. In jedem anderen Teil der Erde ist der Erdmantel von einer Tausende Meter dicken Schicht aus Krustengestein bedeckt. „Ich traute meinen Augen kaum, als ich durch das Mikroskop schaute, sagte Snow, einige dieser Proben sahen aus, als ob sie wie durch einen Zauber geradewegs aus dem oberen Erdmantel gekommen wären, nicht die Spur einer Veränderung durch Meerwasser war zu bemerken.“

Die am Gakkel-Rücken gewonnenen Erkenntnisse führen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass nicht allein die Spreizungsgeschwindigkeit maßgeblich für die vulkanische Aktivität in einem Gebiet ist. Vielmehr sind andere Faktoren, wie die chemische Zusammensetzung oder die Temperatur des Mantelgesteins in der Tiefe ebenfalls wichtig für das Verständnis der Entwicklung und Eigenschaften ozeanischer Rücken.

Weitere Informationen:

Max-Planck-Institut für Chemie
PD Dr. Jonathan Snow
Tel.: 06131 – 305-202
Fax.: 06131 – 371-051
E-Mail: jesnow@mpch-mainz.mpg.de

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Dr. Jonathan Snow Max-Planck-Gesellschaft

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