10 Jahre nach der Elbe-Flut: Gut vorbereitet auf die nächste Hochwasserkatastrophe?

Mulde-Hochwasser August 2002: Vom Hochwasser geschädigtes Haus in Grimma.<br><br>Foto: André Künzelmann/UFZ (Nutzungsbeschränkung: kostenfrei bei redaktioneller Nutzung, Verwendung nur unter Angabe der Quelle und nur im Zusammenhang mit dem UFZ)<br>

Zu diesem Ergebnis kommt eine europäische Studie, die den Umgang mit Naturgefahren untersucht hat. In Deutschland hat dafür das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Aufarbeitung der Hochwasserkatastrophen wie z.B. der Elbeflut 2002 analysiert.

Es sei eine große Herausforderung für das Risikomanagement, zu verstehen, wie Betroffene auf Naturgefahren reagieren, um die besten geeigneten Maßnahmen für eine effektive Risikokommunikation, die Einbeziehung der Betroffenen und die Notfallvorsorge zu treffen, schreiben die Forscher im Abschlussbericht des EU-Forschungsprojektes CapHaz-Net.

Allgemein wird angenommen, dass sich Menschen umso mehr schützen je stärker ihnen das Risiko einer Naturkatastrophe bewusst ist. Warum sich Menschen schützen hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Dazu gehört beispielsweise die Erinnerung an erlebte Katastrophen oder eine Vorstellung, welche Schäden zu erwarten sind. Dass Naturkatastrophen wie die Elbeflut 2002 oder der Tsunami in Japan 2011 zu großen Verlusten geführt haben, lag auch mit daran, dass die Betroffenen viele Jahre von solchen Katastrophen verschont wurden und sie sich die Dimensionen nicht vorstellen konnten.
Bei der Auswertung verschiedenster Studien, die sich mit der Wahrnehmung von Naturgefahren wie z.B. Hochwasser, Sturmfluten usw. befassten, kamen die Wissenschaftler jedoch zu dem überraschenden Ergebnis, dass selbst ein stärkeres Risikobewusstsein nicht automatisch zu mehr persönlichen Schutzmaßnahmen und damit zu einer besseren Vorsorge vor Naturkatastrophen wie Hochwasser führt. Die Studie konnte aber auch zeigen, dass Vertrauen in Schutzmaßnahmen und verantwortliche Behörden ein entscheidender Faktor ist.

Die Wissenschaftler empfehlen daher, die Betroffenen besser in die Planung und Umsetzung der Schutzmaßnahmen einzubinden, denn gerade dadurch entsteht überhaupt erst Vertrauen. „Dann haben diese eine bessere Vorstellung, was die Behörden im Katastrophenfall leisten können und was nicht. Dies hilft sehr, sich auf solche Situationen vorzubereiten und zu wissen, welche Maßnahmen ich selber treffen muss, um die sich keine Behörde kümmern wird“, erklärt Dr. Christian Kuhlicke vom UFZ, der als Sozialgeograph seit Jahren solche Katastrophen untersucht und Sprecher des Arbeitskreises Naturgefahren der Deutschen Gesellschaft für Geographie ist.

Etwa 400 Millionen Euro wurden vom Freistaat Sachsen seit 2002 bereits in Schutzmaßnahmen der höchsten Prioritäten wie etwa dem Hochwasserschutz in Dresden, Eilenburg oder Grimma investiert. Bis 2020 sollen es insgesamt eine Milliarde Euro sein. Allerdings hat der Freistaat Sachsen auch seine Bürger aufgefordert, mehr Eigenvorsorge vor Hochwasser zu treffen und angekündigt, in Zukunft nur noch in Ausnahmefällen staatliche Hilfen auszuzahlen, da die Gefahren jetzt bekannt sind. Dieser Politikwechsel soll dazu beitragen, dass die Schäden beim nächsten Hochwasser wesentlich geringer ausfallen, da so eine „Vollkasko-Mentalität“ vermieden werden soll. Aber er hat auch weitreichendere Folgen, die in der Öffentlichkeit bisher kaum diskutiert wurden: „Der Bürger wird so zum Manager seines eigenen Risikos. Das schafft neue Ungleichheiten. Denn die Investitionsbereitschaft hängt nicht allein von der Wahrnehmung des Risikos ab, sondern vor allem von den vorhandenen Ressourcen eines privaten Haushalts“, erklärt Kuhlicke.

Dazu kommt ein weiterer kritischer Punkt: Öffentliche Investitionen in den Hochwasserschutz werden priorisiert, d.h. eine Ansammlung von 200 Häusern wird eher durch einen Deich geschützt als lediglich zwei Häuser. „Dies mag aus Effizienzgründen nachvollziehbar und gerechtfertigt sein, nur ist es auch gerecht? Während einigen Siedlungen der durch die Allgemeinheit finanzierte Schutz gewährt wird, bleiben andere vorerst ungeschützt, und deren Bewohner müssen im Schadensfall die Kosten selbst tragen. Wir meinen deshalb: Es ist notwendig, ein rechtliches oder politisches Instrument zu entwickeln, das die beschriebenen neu entstandenen Ungleichheiten ausgleichen bzw. mindern kann“, regen Kuhlicke und Dr. Volker Meyer, Wirtschaftsgeograph am UFZ an. Beide haben in den letzten Jahren zusammen mit anderen Kollegen diverse Untersuchungen u.a. an der Mulde in Sachsen durchgeführt.

Zehn Jahre nach der Flutkatastrophe an der Elbe von 2002 hat sich also viel getan. Es gibt aber auch jenseits von Baumaßnahmen und technischen Lösungen noch viel zu tun. Besonders gilt dies für Behörden und Betroffene, die von einander lernen sollten. Regelmäßiger Kontakt und verlässliche Informationen könnten beiden Seiten helfen, an einem Strang zu ziehen und auf künftige Katastrophen besser vorbereitet zu sein.

Tilo Arnhold

Lesen Sie dazu auch einen Standpunkt von Dr. Christian Kuhlicke und Dr. Volker Meyer in der aktuellen Ausgabe des UFZ-Newsletters: „Bedingt vorbereitet? 10 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser“
http://www.ufz.de/index.php?de=10690

Publikationen:
Meyer, V., Priest, S., Kuhlicke, C. (2012): Economic evaluation of structural and non-structural flood risk management measures: examples from the Mulde River. Nat. Hazards 62 (2), 301 – 324
http://dx.doi.org/10.1007/s11069-011-9997-z
Die Untersuchungen wurden im Rahmen des Era-Net CRUE-Projektes Flood-ERA durchgeführt, das vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde.

Chloe Begg, Annett Steinführer, Christian Kuhlicke, Jochen Luther, Chiara Bianchizza, Marina Di Masso, Luigi Pellizzoni, Anna Scolobig, Meera Supramaniam (2012): Between institutional fragmentation and community involvement. Practices of social capacity building in the Management of natural hazards in Europe, caphaz-net Policy Brief
http://caphaz-net.org/outcomes-results/UFZ_CapHaz-Net_PBIII_download.pdf
Wachinger, G & Renn, O (2010): Risk Perception and Natural Hazards. CapHaz-Net WP3 Report, DIALOGIK Non-Profit Institute for Communication and Cooperative Research, Stuttgart
http://caphaz-net.org/outcomes-results/CapHaz-Net_WP3_Risk-Perception.pdf
Die Untersuchungen wurden der Europäischen Kommission im Rahmen des EU-Projektes CapHaz-Net gefördert.

Weitere fachliche Informationen:
Dr. Christian Kuhlicke/ Dr. Volker Meyer/ M.Sc/MA Chloe Begg
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1751, -1641, -1642
http://www.ufz.de/index.php?de=14283
http://www.ufz.de/index.php?de=4715
http://www.ufz.de/index.php?en=20731
oder über
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1635
http://www.ufz.de/index.php?de=640

Weiterführende Links:
EU-Projekt CapHaz-Net – Die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen im Umgang mit Naturgefahren: Auf dem Weg zu resilienteren Gesellschaften
http://www.ufz.de/index.php?de=18486
http://www.caphaz-net.org/
Risikowahrnehmung und lokale Verarbeitung von Hochwasserkatastrophen (Resilienz); Teilprojekt 11 im Rahmen von „FLOODsite – Integrierte Hochwasserrisikoanalysen und -managementmethoden“ (Integriertes Projekt; IP)
http://www.ufz.de/index.php?de=7024
EU-Projekt ConHaz – Costs of Natural Hazards
http://conhaz.org/
EU-Projekt embrace
http://embrace-eu.org/index.htm

Neues Verfahren ermöglicht Gesamtrisikokarten für Hochwassergebiete (Pressemitteilung vom 18. Mai 2009)
http://www.ufz.de/index.php?de=18112
Neues Informationssystem für den Hochwasserschutz in Bitterfeld (Pressemitteilung vom 15. Januar 2009)
http://www.ufz.de/index.php?de=17533
Die Allerwenigsten fühlen sich gut vorbereitet (Pressemitteilung vom 10. August 2006)
http://www.ufz.de/index.php?de=10201
Drei Jahre nach der Flutkatastrophe und (k)ein bisschen klüger? (Pressemitteilung vom 16. August 2005)
http://www.ufz.de/index.php?de=5997

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 1000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
http://www.ufz.de/

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 33.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,4 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

http://www.helmholtz.de

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