Tiefseeforscher erhalten Humboldt-Gedächtnispreis für Untersuchungen zur Artenvielfalt

Die Forschergruppe hatte die Lebensvielfalt in der arktischen Tiefsee untersucht und die Liste bekannter Tiefseebewohner um über 400 neue Arten erweitert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ehrt die Wissenschaftler, weil sie mit dieser Arbeit einen wichtigen Grundstein für zukünftige Forschungsprojekte in der Arktis gelegt haben.

Auf dem arktischen Meeresboden zählt die Seegurke zu den ganz Großen. Mit einer Körpergröße von einigen Zentimetern überragt sie die meisten Tiefseebewohner um Längen. Denn viele andere Arten sind kaum größer als ein Sandkorn. Und über die Hälfte von ihnen ist so selten und die Regionen so wenig erkundet, dass Tiefseeforscher sie bisher nur an wenigen Stellen in den Weiten des Ozeans vorgefunden haben. Keine leichte Aufgabe also, die Vielfalt tierischen Lebens in der nur schwer zugänglichen, noch überwiegend eisbedeckten arktischen Tiefsee zu erfassen. Dennoch hat sich die Biologin Bodil Bluhm von der amerikanischen Universität Alaska Fairbanks mit der Hilfe von Kollegen des Alfred-Wegener-Institutes und sechs weiterer internationaler Forschungseinrichtungen an die Herausforderung gewagt.

Im Rahmen der zehnjährigen, weltweiten Artenerfassungs-Kampagne, Census of Marine Life, trug die Forschergruppe fast 6000 Aufzeichnungen aus den letzten dreißig Jahren der arktischen Tiefseeforschung zusammen und wertete diese aus. Am Ende hatten die Wissenschaftler insgesamt 1125 wirbellose Tiere gezählt und damit die bis dahin bestehende Liste um über 400 neue Arten ergänzt.

„Im zweiten Schritt wollten wir mit Hilfe der Daten herausfinden wie ähnlich oder verschieden die Bodenfauna der einzelnen Tiefseebecken und Regionen der arktischen Tiefsee ist“, sagt Bodil Bluhm, die einst am Alfred-Wegener-Institut promoviert hat. Ihr Fazit: Die Lebensformen unterscheiden sich regional kaum. „Wir konnten nachweisen, dass die massiven Gebirgszüge im Ozean keine Verbreitungsbarriere bilden. Außerdem haben wir entdeckt, dass die zentral-arktische Fauna mit der Tierwelt in der nordatlantischen Tiefsee verwandt ist, während der pazifische Einfluss nur sehr gering ist.“ Grund für die enge Verwandtschaft zwischen den Arten im Nordatlantik und der zentralen Arktis sei die Framstraße. Der Seeweg zwischen Spitzbergen und Grönland bilde eine Verbindung zwischen dem Nordatlantik und dem Arktischen Ozean.

Diese Ergebnisse stellen eine beachtliche wissenschaftliche Leistung dar, urteilte auch die Senckenberg Gesellschaft und zeichnet die Arbeit von Bodil Bluhm und Kollegen mit dem Alexander von Humboldt-Gedächtnispreis des Jahres 2012 aus. Er ist verbunden mit einem Preisgeld von 6000 Euro und wird den Preisträgern morgen bei einer Festveranstaltung im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main überreicht.

„Der Artikel zeigt wie artenreich und vielfältig das Leben am Meeresboden der arktischen Tiefsee wirklich ist. Dieses Wissen ist eine wichtige Grundlage für zukünftige Arbeiten darüber, wie sich der Klimawandel auf unsere Artenvielfalt auswirkt“, erklärt Prof. Volker Mosbrugger, Direktor der Senckenberg Gesellschaft.

Für den Tiefseeökologen und Mitautor Dr. Thomas Soltwedel vom Alfred-Wegener-Institut stellen die Erkenntnisse der Studie eine bisherige Momentaufnahme der Lebensvielfalt in der arktischen Tiefsee dar. „Es gibt sicherlich Hunderte von Arten, die wir noch nicht erfasst haben. Jedes Mal, wenn wir in die Arktis fahren und Proben sammeln, finden wir neue Arten, die noch nicht beschrieben worden sind“, sagt er.

Die Ergebnisse der Studie dienen als Grundlage für weiterführende Untersuchungen zur Entwicklung eines polaren, marinen Ökosystems in Zeiten globaler Umweltveränderungen. „Durch erhöhte Temperaturen und den Rückgang des Eises ist der Arktische Ozean einem erheblichen Wandel unterworfen“, erläutert der Tiefseeökologe. Ein Wandel, den er und Kollegen am Alfred-Wegener-Institut seit mehr als zehn Jahren am arktischen Tiefsee-Observatorium HAUSGARTEN erforschen. Soltwedel: „Es war eine der ersten großen Überraschungen, als wir feststellten, dass sich dieses Tiefseeökosystem viel schneller verändert, als wir uns das bis dahin vorgestellt hatten. Mit einer Verzögerung von nur ein bis zwei Jahren sehen wir in den Lebensgemeinschaften der Tiefsee Veränderungen, die wir auf den Wandel zurückführen können, den wir zuvor an der Oberfläche beobachtet haben.“

Biologen wie Bodil Bluhm und Thomas Soltwedel nutzen die Artenliste deshalb als Vergleichsmaßstab. Mit dieser ozeanweiten Erfassung der Tiefseefauna können sie in den nächsten Jahren nachvollziehen, wie sich das Leben am Boden der arktischen Tiefsee entwickelt. Doch nicht nur Wissenschaftler verfolgen den Wandel der Artenvielfalt. Auch die Wirtschaft hat ein Interesse daran zu wissen, wie es auf dem arktischen Meeresgrund aussieht und wer dort lebt. Denn die schrumpfende Eisdecke begünstigt unter anderem auch die Tiefseefischerei. „Aus diesem Grund war es uns wichtig, den Bestand der Tiefseebewohner aufzuzeichnen, bevor wir Menschen unseren ‚Fußabdruck’ am arktischen Meeresboden hinterlassen“, sagt Thomas Soltwedel.

Hinweise für Redaktionen:

Der Originaltitel des Artikels lautet „Diversity of the arctic deep-sea benthos“ und ist in der Sonderausgabe „Arctic Ocean Diversity Synthesis“ der Fachzeitschrift Marine Biodiversity im März 2011 veröffentlicht worden. DOI 10.1007/s12526-010-0078-4

Ort und Termin der Festveranstaltung:
Festsaal des Senckenberg Naturmuseums
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt am Main
21. Februar 2013 um 18.30 Uhr
Ihr Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut ist Dr. Thomas Soltwedel, Tel. 0471 4831-1775 (E-Mail: Thomas.Soltwedel(at)awi.de). In der Abteilung Kommunikation und Medien ist Ihre Ansprechpartnerin Kristina Bär, Tel. 0471 4831-2139 (E-Mail: kristina.charlotte.baer(at)awi.de).

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

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Ralf Röchert idw

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