Wenn Science-Fiction zur Realität wird

54 Monate forschte die Projektgruppe Neurobotics unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann, Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) und Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW). Das Ergebnis dieser Forschung macht aus Science-Fiction Realität: eine Handprothese, die, wie die unversehrte Hand, vom Gehirn gesteuert wird und sogar sensorische Informationen verarbeiten kann.

„So kann der Patient nicht nur einen Kaffeebecher in die Hand nehmen, er kann sogar fühlen, ob der Kaffee noch warm ist,“ erklärt Hoffmann. Ein Durchbruch – denn bisherige Prothesen dienen vor allem kosmetischen Zwecken und verfügen, wenn überhaupt, nur über rudimentäre Funktionen. Die bionische Handprothese hingegen erlaubt komplexe Griffe wie einen Pinzetten- oder Koffergriff und vor allem Empfindungen.

Das IBMT entwickelte im Projekt Neurobotics das bidirektionale Interface zwischen der bionischen Prothese und dem peripheren Nervensystem und entwickelte Konzepte der Signal- und Datenübertragung einschließlich der elektrischen Stimulation der peripheren Nerven. Die berühmte Mensch-Maschine-Schnittstelle also. Die Scuola Superiore Sant’Anna in Pisa entwickelte und baute die Prothese und schuf die Algorithmen zur Signalanalyse.

Im Herbst 2008 setzten Mediziner am Campus Biomedico in Rom Pierpaolo Pietruziello, der seine linke Hand bei einem Autounfall verloren hatte, die Elektrode in den Unterarm ein. Mit dieser Elektrodenstruktur, die längs durch den Nerv gezogen wird, kann Pietruziello die bionische Handprothese steuern. Nach etwa zwei Tagen konnte er jeden Finger einzeln bewegen. Mittels elektrischer Stimulation spürte er seine amputierte Hand. Die zwei Kilo schwere Prothese war dabei nicht an seinem Arm befestigt, sondern stand, verbunden mit Kabeln, einen halben Meter entfernt von ihm.

Die schnellen Fortschritte Pietruziellos erstaunten die Forscher nicht. Das Einüben der Bewegungen ist ein adaptiver Lernprozess zwischen dem motorischen Cortex im Gehirn des Patienten und dem Steuerungsprogramm. „Das Gehirn passt sich an das technische System an“, erklärt Hoffmann. „Das ist wie beim Autofahren, wo Sie auch nicht mehr nachdenken, wie Sie steuern und schalten.“

Nach 24 Tagen wurde die Elektrode bei Pietruziello wieder entfernt – so verlangen es die Vorschriften der für klinische Versuche zuständigen Behörden. Pietruziellos Mut wird aber belohnt, denn ihm wurde die erste alltagstaugliche bionische Handprothese, die LifeHand, versprochen. Hier liegt noch viel Arbeit vor den Forschern, denn die zwei Kilo schwere Prothese muss deutlich an Gewicht verlieren und die Elektroden müssen für einen Permanenteinsatz vorbereitet werden. In etwa zehn Jahren könnte diese Prothese in die klinische Anwendung kommen. Mit ihrer Hilfe werden Medizintechniker die Lebensqualität vieler Menschen entscheidend verbessern können – eine Perspektive, die die Biomedizin-Forscher von IBMT und HTW antreibt. So zeichnet der Wissenschaftspreis der SaarLB sowohl eine wissenschaftlich-technische Innovation als auch das Engagement, Menschen zu einem Leben mit mehr Selbständigkeit und Würde zu verhelfen, aus.

Hintergrund
Der 11. SaarLB-Wissenschaftspreis wurde am Freitag, den 26. November 2010 in den Geschäftsräumen der SaarLB in Saarbrücken an die Projektgruppe „Neurobotics“ verliehen. Diese wird von Prof. Dr.-Ing. Klaus-Peter Hoffmann, Leiter der Abteilung Medizintechnik & Neuroprothetik am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) und zugleich Gründungsprofessor für Biomedizinische Technik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) seit etwa 7 Jahren geleitet. Weitere Mitglieder der Projektgruppe am Fraunhofer IBMT waren Dipl.-Ing. (FH) Thomas Dörge (Elektrodendesign, Reinraumprozesse, Implantatfertigung), Harald Frank (Elektronik, Impedanzmessung, Stimulation), Markus Hanauer (Aufbau- und Verbindungstechnik, Kapselung, Implantatfertigung), Dr. Wigand Poppendieck (Charakterisierung, Elektrodenmaterialien) und Dipl.-Ing. (FH) Roman Ruff (Signalakquisition, Tiermodell, Signalanalyse, Management).
Der SaarLB-Wissenschaftspreis
In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Wirtschaft und Wissenschaft prämiert die SaarLB Innovationen, die den Wirtschafts- oder Wissenschaftsstandort Saarland stärken und neue Arbeitsplätze schaffen können. Der Wissenschaftspreis ist mit 25.000 EUR dotiert. Die Beurteilung der eingereichten Arbeiten erfolgt durch eine unabhängige und hochrangige Jury. Der SaarLB-Wissenschaftspreis ist der bedeutendste seiner Art in der Region.

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