Prothesen mit Nervenimpulsen steuern – Innovationspreis für Nerv-Computer-Kopplung

Eine bundesweite Forschergruppe hat dazu ein viel versprechendes Projekt entwickelt, das gestern mit dem Innovationspreis für Medizintechnik des Bundesforschungsministeriums ausgezeichnet wurde.

Beim Verlust einer Hand können Patienten schon heute ihre Prothesen mit elektrischen Signalen steuern, die aus ihren Unterarmmuskeln abgeleitet werden. Was aber, wenn auch diese Muskeln nicht mehr vorhanden sind, der Unterarm fehlt?

Renommierte Forschergruppen versuchen weltweit, ein „brain-computer-interface“ zu schaffen. Die Betroffenen sollen an eine Bewegung denken, Elektroden auf dem Kopf erfassen die Hirnströme und ein Computer versucht „den Gedanken zu lesen“.

Er filtert die passenden Signale aus dem „Rauschen“ der Gehirnströme heraus und veranlasst die entsprechende Bewegung der Hand. Ein aufwändiges, fehleranfälliges und langsames Verfahren. Zwischen Gedanken und Bewegung vergehen etwa 10 Sekunden.

„Es liegt doch nahe, die noch vorhandenen Nerven als Impulsgeber für Bewegungen zu verwenden“, erläutert Dr. Schulte-Mattler von der der Universität Regensburg. Dabei wird versucht, die Nervenenden mit einer speziellen Folie zu umwickeln, ihre elektrischen Impulse abzuleiten und damit eine Prothese zu steuern. In der Folie befinden sich Leiterbahnen und ein Mikrochip. Die Nervenenden (Axone) bekommen elektrischen Kontakt mit den Leiterbahnen, und der Chip kann die entsprechenden Informationen nach außen senden.

Dazu wird eine RFID-ähnliche Technik verwendet. Dabei erhält der Chip von einer Induktionsspule von außen Energie und sendet seine Informationen an die Prothese. „Was die einzelnen Nervensignale bedeuten, verstehen wir nämlich – im Vergleich zu Hirnstrommustern – recht gut“, so Schulte-Mattler. Die RFID-Technik ist millionenfach im Einsatz, den meisten bekannt aus elektronischen Preisetiketten.

Aber der Teufel steckt im Detail. Unter welchen Bedingungen wachsen die Axone am besten in das körperfremde Material? Ist der Kontakt dauerhaft, oder kommt es nach einiger Zeit zu einer Abstoßungsreaktion? Wie verhält sich die Folie mit ihren Leiterbahnen und dem Chip im Gewebe? Diese und ähnliche Fragen soll ein Forschungsprojekt in den nächsten zwei Jahren klären und so die elementare Basis für ein „nerve-computer-interface“ entwickeln helfen.

Für die technischen Fragen hierzu kann das Team des Fraunhofer IZM bereits auf mehrjährige Erfahrung zurückgreifen. Zusammen mit dem Fraunhofer IBMT ist unter Beteiligung der Fa. Otto Bock bereits in den USA mit der University of Utah, Salt Lake City ein „Nervenstecker“ zur drahtlosen Übertragung von Steuerimpulsen an „intelligente“ Prothesen entwickelt worden.

„Ein solches Interface lässt sich zwar auch direkt verdrahten“, erklärt der Prof. Michael Töpper. Dann aber würden Drähte von den Nerven aus dem Inneren des Armstumpfes oder sogar aus dem Inneren des Gehirns an die Oberfläche des Gewebes zu einer Art Stecker führen, was jedoch ein erhebliches Infektionsrisiko darstellt. Daher entwickeln die Berliner Forscher ein drahtloses Array. Hundert nadelfeine Sensorspitzen werden dabei in das Gewebe gedrückt. Sendet nun eine Nervenzelle ein Signal in Form eines winzigen elektrischen Stromimpulses, können die Nadelspitzen diesen Stromfluss aufnehmen. Dazu benötigen sie einen direkten Kontakt zum sendenden Nerv im Gehirn oder am Nervenstrang.

Der Rest ist Mikroelektronik vom Feinsten: Die Spitzen leiten das Signal an einen winzigen Chip weiter. Dieser verstärkt das schwache Signal und sendet es nach außen. „Im Rahmen des ausgezeichneten Projekts werden die Sensorspitzen nun durch nanostrukturierte Elektroden ersetzt, wodurch das Interface noch winziger gestaltet werden kann“, so Töpper. Gerade das mikroelektronische Packaging ist eine der Schlüsselkomponenten des Projekts, ermöglicht sie doch durch Verwendung spezieller Materialien wie Parylen überhaupt erst die Biokompatibilität des Gesamtsystems. „Die Integration von Mikroelektronik-Technologien z.B. auf dehnbaren Schaltungsträgern und die Mikrosystemtechnik werden weitere Potenziale für zukünftige Entwicklungen der Medizintechnik eröffnen.“

Zum Verbund unter der Federführung der Neurologischen Uni-Klinik gehören das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin (Dr. Stefan Fiedler), die Technische Universität Berlin mit ihrem Forschungsschwerpunkt Mikroperipherik (Dr. Thomas Löher) und die Universität Rostock, Lehrstuhl für Biophysik (Institut für Biowissenschaften, Prof. Dr. Jan Gimsa). Prof. Dr. Hans Wolf vom Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Regensburg brachte die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt in Kontakt.

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