Von Menschen und Mäusen – Stammzellforscher Jaenisch erhält Ernst Schering Preis 2009

Mit seinen 1974 erstmals erzeugten transgenen Mäusen beeinflusste er die moderne Biomedizin grundlegend und lieferte Medizinern, Molekular- und Entwicklungsbiologen ein revolutionäres Modell zur Erforschung von Erkrankungen auf molekularer Ebene, das seit den achtziger Jahren weltweit in der Forschung genutzt wird.

Rudolf Jaenisch, der ebenfalls zu den Pionieren der Stammzellforschung zählt, hat mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten wesentlich zum Verständnis der Entwicklung von Säugern, der epigenetischen Regulation der Genexpression in gesunden und kranken Zellen, der epigenetischen Reprogrammierung, der Entstehung von Krebs sowie der Kerntransplantationstechnologie beim therapeutischen Klonen beigetragen.

Mit der Verleihung des Ernst Schering Preises an Rudolf Jaenisch will die Schering Stiftung auch seine besonnene und ethisch-verantwortungsvolle Beteiligung an politischen Diskussionen zur Forschung an humanen Stammzellen würdigen. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis der Schering Stiftung wird dem Preisträger heute in Berlin übergeben.

Was bestimmt die Natur einer Zelle? Warum wird eine Zelle zur Leberzelle und eine andere zu einer Hautzelle? Was unterscheidet diese Zellen von embryonalen Zellen? Wie beeinflussen Umwelt und Ernährung die Expression von Genen im Verlauf des Lebens eines Menschen? Diese und andere Fragen beschäftigen Jaenisch seit langem und gehören zu einem Spezialgebiet der Biologie – der Epigenetik. Die Epigenetik befasst sich mit Zelleigenschaften, die vererbt werden, aber nicht in den Genen festgelegt sind. In diesem Zusammenhang erforscht Rudolf Jaenisch die Mechanismen, die die Embryonalentwicklung steuern. Mit Hilfe seines transgenen Mausmodells studierte er bereits in den achtziger Jahren das Wechselspiel von Epigenetik und Genetik.

Um das Wissen über die Embryonalentwicklung zu erweitern, arbeiten Jaenisch und sein Team auch mit humanen Stammzellen, die durch künstliche Befruchtung (in-vitro-Fertilisation) erzeugt wurden. „Die IVF-Embryonen liefern embryonale Stammzellen, die für die Forschung sehr wichtig sind“, sagt Jaenisch. „Aber für eine maßgeschneiderte Therapie taugen sie nicht, weil sie vom Immunsystem des Patienten abgestoßen werden.“ Eine Alternative dazu wären embryonale Stammzellen, die durch Kerntransfertechnologie erzeugt werden. Dabei wird eine Eizelle entkernt und der Zellkern einer Körperzelle eingefügt. Die außerhalb des Körpers gezüchteten embryonalen Stammzellen hätten die gleichen Gene wie der Spender der Körperzelle und könnten so als Basis für eine maßgeschneiderte Therapie dienen. „Hierfür benötigt man unbefruchtete Eizellen, die von Frauen gespendet werden müssen. Doch damit hätte man wieder ein ethisches Problem, denn Frauen könnten zur Eizellspende gezwungen werden, aus wirtschaftlicher Not, oder in ähnlicher Form wie bei der Zwangsprostitution“, erklärt Jaenisch. „Diese Technologie ist daher bis heute immer nur in der Forschung zum Tragen gekommen nicht in der Therapie.“

Wegen der ethischen Kontroverse suchten Forscher weltweit nach einem Ausweg, wie man auch ohne Eizelle embryonale Stammzellen erzeugen kann. Yamanaka zeigte 2006 in einer bahnbrechenden Arbeit, dass vier Transkriptions-Faktoren somatische Zellen in der Petrischale in einen pluripotenten Zustand entdifferenzieren können. „2007 erschienen zeitgleich drei Arbeiten, in denen mit einer modifizierten Strategie voll kompetente Stammzellen erzeugt wurden“, erinnert sich Jaenisch. Als eines dieser drei Labore gelang es seinem Labor, ausgereifte Körperzellen wieder zu Stammzellen zu reprogrammieren. „Die erzeugten Stammzellen waren praktisch ununterscheidbar von embryonalen Stammzellen“, berichtet Jaenisch. „Das war ein enormer Durchbruch in der Forschung.“ Diese reprogrammierten Stammzellen werden auch iPS-Zellen (induzierte pluripotente Zellen) genannt. Ihr Potenzial liegt für Forscher in der Möglichkeit, komplexe Erkrankungen in der Petrischale zu studieren und daraus maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln. Auch die regenerative Medizin setzt große Hoffnung in iPS-Zellen, insbesondere beim Ersatz von kranken Zellen und Geweben.

Im Mausmodell konnte Jaenisch bereits den therapeutischen Einsatz von iPS-Zellen erproben und erfolgreich Sichelzelleanämie heilen. In einem weiteren Experiment schleusten Jaenisch und sein Team aus iPS-Zellen entstandene Neuronen erfolgreich in das Gehirn von Mäusen und verbesserten dadurch die Symptomatik der Parkinson-Krankheit.

Zur Person Rudolf Jaenisch
Rudolf Jaenisch wurde 1942 in Wölfelsgrund geboren. Er studierte Medizin in München und begann bereits während des Studiums im Labor von Peter Hans Hofschneider am Münchner Max-Planck-Institut für Biochemie – einem der deutschen Zentren für Molekularbiologie in den sechziger Jahren – wissenschaftlich zu arbeiten. 1967 promovierte er und forschte noch zwei weitere Jahre als Postdoktorand im Hofschneider-Labor.

Jaenisch's Begeisterung für die Wissenschaft führte ihn 1970 direkt von München nach Princeton, New Jersey, USA, zu dem Genetiker Arnold Levine, dessen erster Postdoktorand er wurde. „Man ging damals als junger Forscher in die USA“, erklärt Jaenisch rückblickend. „Das war das Land, wo Wissenschaft passierte. In dieser alt ehrwürdigen Universität in Princeton herrschte ein unglaublich intellektuelles Klima. Ich bekam enorm viele Anregungen für meine Arbeit.“ In Levines Labor begann Jaenisch mit Hilfe des DNA-Tumorvirus Simian Virus 40 (SV40), die Mechanismen der Krebsentstehung an Mäusen zu studieren. Er injizierte das SV40 in ausgewachsene Mäuse und beobachtete die Entstehung von Sarkomen, einer Krebsart, die ihren Ursprung in mesenchymalen Geweben wie zum Beispiel Knochen-, Muskel-, Fett- oder Knorpelgewebe hat. Er war überrascht, dass das SV40 keine Tumore in anderen Organen wie in der Leber oder der Haut hervorrief und suchte nach der Ursache für dieses Phänomen.

In dieser Zeit stieß er auf eine Arbeit der Entwicklungsgenetikerin Beatrice Mintz vom Krebsforschungsinstitut Fox Chase in Philadelphia, Pennsylvania, USA, über chimäre Mäuse, die ihn zu einem neuen experimentellen Ansatz inspirierte. Jaenisch hatte die Idee, den Tumorvirus SV40 in ganz frühe Mausembryonen zu injizieren und erhoffte sich von diesem Versuch, dass die resultierenden Mäuse die DNA des SV40-Virus in allen Zellen enthielten, und er dadurch mehr über die beobachtete organspezifische Aktivität des Virus erfahren würde. Als Jaenisch den beiden Wissenschaftlern Levine und Mintz sein Experiment vorschlug, reagierten beide zunächst etwas skeptisch, gewährten ihm dann aber kurzerhand alle Freiheiten in ihren Laboren zur Durchführung seiner Versuche. In der folgenden Zeit arbeitete Jaenisch tagsüber in Princeton und abends im eine Stunde entfernten Philadelphia. „Das Mintz-Labor war schon damals eines der führenden Labore für Entwicklungsbiologie“, erinnert sich Jaenisch. „Dort habe ich gelernt, wie man frühe Mausembryonen isoliert und kultiviert.“ Den tiefen Einblick in die Entwicklungsgenetik von Mäusen, den Mintz ihm großzügig gewährte, schätzt Jaenisch rückblickend als besonders wertvoll ein. Er injizierte die DNA des SV40 in die Mäusembryonen und implantierte diese manipulierten Embryonen in die Gebärmutter von Mäuseweibchen. Die Geburt der ersten manipulierten Mäuse erwartete Jaenisch voller Spannung, doch das Ergebnis sollte ihn vorerst enttäuschen: Die heranwachsenden Mäuse schienen gesund, denn sie entwickelten auch im Erwachsenenalter keine Tumore. Die Frage, ob es ihm gelungen war, durch sein Experiment die Krebsviren-DNA in alle Zellen zu implementieren, konnte er zu diesem Zeitpunkt aus technischen Gründen nicht beantworten.

Jaenisch gab nicht auf. Er war stets auf der Suche nach einer Antwort. 1972 wurde er Assistenzprofessor am Salk Institute in La Jolla, California, USA und beschäftigte sich mit den neuesten DNA-Analysenmethoden, die der Genetiker Paul Berg entwickelt hatte. „Mintz schickte mir die Mäuse aus Philadelphia nach“, so Jaenisch. „Und endlich konnten wir mit den Analysentechniken von Berg nachweisen, dass die DNA des SV40 tatsächlich in das Genom der Mäuse eingebaut worden war.“ Diesen Erfolg zählt Rudolf Jaenisch zu den wichtigsten Momenten seiner wissenschaftlichen Laufbahn, denn mit seinem Experiment war es erstmals gelungen, sogenannte „transgene“ Mäuse zu produzieren. Obwohl es 1974 den Begriff „transgen“ noch nicht gab, ahnte er, dass das Modell der transgenen Maus ein wichtiges Werkzeug zum Studium der Embryogenese, der Muskel- und Nervenentwicklung aber auch von Krebs sein würde. Er wiederholte sein Experiment später mit Leukämieviren, und erhielt transgene Mäuse, die das Leukämie-Gen an die nächste Generation vererben konnten. In dieser Folgegeneration trat dann wie erwartet Leukämie auf.

Anfang 1977 kam Rudolf Jaenisch zurück nach Deutschland und wurde Leiter der Abteilung „Tumorvirologie“ am Heinrich-Pette-Institut der Universität Hamburg. Dort vertiefte er seine Forschungsarbeiten über genetische Erkrankungen, Krebs sowie zur Embryonalentwicklung und begann, sich noch intensiver mit epigenetischen Fragestellungen auseinanderzusetzen.

1984 ging er zurück in die USA, wurde Professor für Biologie und Gründungsmitglied des Whitehead Institute for Biological Research in Cambridge, wo er bis heute erfolgreich eine Forschungsgruppe leitet. Jaenisch, seit langem selbst in der Position, die Vorschläge für Experimente seiner Studenten und Mitarbeiter zu prüfen, gibt seine Erfahrungen gern weiter und rät jungen Wissenschaftlern heute vor allem, ihre Ideen konsequent zu verfolgen, auch bei Misserfolgen nicht frustriert zu sein, sondern offen zu bleiben, ihr eigenes Forschungsprofil zu entwickeln und auch gewisse Risiken einzugehen. „Der Kampf um das Geld sowie die Sorgen um einen Job sind ein Dilemma in der heutigen Forschung“, sagt Jaenisch. „Sie beschränken langfristig die Wissenschaft.“

Die Schering Stiftung
Die unabhängige und gemeinnützige Schering Stiftung wurde 2002 durch die Schering AG, Berlin errichtet und dient der Förderung von Wissenschaft und Kultur mit Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften sowie der zeitgenössischen Kunst. Diese Ziele verfolgt sie durch Auszeichnung richtungweisender Arbeiten und durch Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses. Ein besonderer Fokus liegt auf Projekten in Grenzbereichen, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst. Weiterhin führt die Schering Stiftung wissenschaftliche Workshops durch, fördert die wissenschaftliche und kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen und unterstützt den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Das Stiftungsvermögen beträgt 35 Mio. €.

Der Ernst Schering Preis ist einer der renommiertesten deutschen Wissenschaftspreise. Er wurde 1991 von der Schering Forschungsgesellschaft ins Leben gerufen und wird seit 2003 von der Schering Stiftung verliehen. Ausgezeichnet werden auf internationaler Ebene exzellente Leistungen im Bereich biologischer, medizinischer und chemischer Grundlagenforschung.

Im Rahmen der Preisvergabe wird Professor Jaenisch am 23. September 2009 um 10.00 Uhr einen Schülervortrag mit dem Titel „Stammzellen, Reprogrammieren, geklonte Menschen – die Medizin der Zukunft?“ am Humboldt Gymnasium in Berlin-Tegel halten und anschließend mit den Schülerinnen und Schülern über seine Arbeiten diskutieren.

Um 16.00 Uhr folgt ein öffentlicher Vortrag zu dem Thema „ES Cells and iPS Cells: Potential for Personalized Medicine“ im Hörsaal des Robert Koch-Institutes (Nordufer 20 in 13353 Berlin). Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten und richtet sich vor allem an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Media Contact

Andrea Lehmann idw

Weitere Informationen:

http://www.scheringstiftung.de

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