Köhler: "Wir brauchen umfassende Strategie für die Verwirklichung der Idee der Nachhaltigkeit"

Bei der Verleihung heute warb Bundespräsident Horst Köhler für eine neue industrielle Revolution in der Energie- und Ressourcenproduktivität – weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien: „Kleine Kurskorrekturen reichen nicht mehr. Wir brauchen eine umfassende Strategie für die Verwirklichung der wunderbaren, guten Idee der Nachhaltigkeit.“

Der Deutsche Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU, Osnabrück) ist zum 16. Male vergeben. Den mit 500.000 Euro höchst dotierten Umweltpreis Europas teilen sich 2008 der Dekan der Donald Bren School für Umweltwissenschaft und -management der Universität Kalifornien (Santa Barbara), Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (69), und der Gründer und Vorstandsvorsitzende des mittelständischen Biotech-Unternehmens BRAIN AG (Zwingenberg), Dr. Holger Zinke (45).

Anlässlich der Preisverleihung in der Stadthalle Rostock betonte heute Bundespräsident Horst Köhler die Notwendigkeit einer neuen industriellen Revolution in der Energie- und Ressourcenproduktivität – weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Köhler: „Kleine Kurskorrekturen reichen nicht mehr. Wir brauchen eine umfassende Strategie für die Verwirklichung der wunderbaren, guten Idee der Nachhaltigkeit.“

Köhler wies vor 1.100 Gästen darauf hin, dass die Herausforderungen, vor denen die Menschheit stünden, riesig seien. In 50 Jahren würden über neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, die alle dem Modell nacheiferten, das die westlichen Industriestaaten in den vergangenen 150 Jahren entwickelt hätten. Köhler: „Ein Modell, von dem wir jedoch inzwischen wissen, dass es die Tragfähigkeit der Erde überfordert, wenn alle ihm folgen.“ Deshalb müsse ein Wohlstandsmodell entwickelt und vor allem vorgelebt werden, das weltweit tragbar und übertragbar sei. Die Industrieländer müssten ohne weiteren Zeitverlust ihren ökologischen Fußabdruck in der Welt drastisch verkleinern. Gleichzeitig brauchten die Entwicklungs- und Schwellenländer Technologien und Verfahren, die es ihnen erlaubten, besonders umweltschädliche Kapitel unseres eigenen Industrialisierungsprozesses zu vermeiden. Köhler: „Von einem solchen zukunftsfähigen Wohlstandsmodell ist die Welt und sind vor allem auch die westlichen Industriestaaten und auch wir in Deutschland noch weit entfernt.“

Zwar sei in Sachen Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren einiges geschehen. Und auch in der Politik werde gehandelt. Aber in Deutschland könne das Ziel, die Ressourcenproduktivität bis 2020 zu verdoppeln, voraussichtlich nicht mehr erreicht werden, „wenn wir nicht erheblich an Tempo zulegen“. Besorgniserregend sei, dass etwa der Kohlendioxidausstoß im vergangenen Jahr weltweit drastisch zugenommen habe und damit selbst die pessimistischsten Prognosen des Weltklimarates noch übertroffen worden seien. Genauso bedenklich sei, dass nach jüngsten Erhebungen mittlerweile rund ein Viertel aller Säugetiere vom Aussterben bedroht sei.

Für ein zukunftsfähiges Wohlstandsmodell seien Erfindergeist und Ingenieurswissen wichtig. Deutschland als Technologie- und Marktführer in Sachen Energie- und Rohstoffproduktivität sei in der Lage, mithilfe moderner Technik etwa die Einsparmöglichkeiten im Strom- und Wärmeverbrauch zu erschließen. Köhler: „Wir haben die Kreativität und die technischen Möglichkeiten für eine Revolution in der Energie- und Ressourcenproduktivität. Das sollte uns Mut machen, sie dann auch konsequent zu nutzen.“ Es gehe nämlich darum, die größte unerschlossene Energiequelle – die Energieeinsparung – nutzbar zu machen. Köhler: „Die deutsche Wirtschaft hat allen Grund, in einer Effizienzrevolution für sich eine riesige Chance zu sehen.“

Nachhaltigkeit sei aber vor allem eine Frage der persönlichen Haltung und des Lebensstils. Wir alle müssten unsere Einstellungen überprüfen und auf eine neue Balance hinwirken „zwischen den Wünschen des Einzelnen und dem, was die Erde aushält“. Dabei gehe es nicht um Askese, sondern um das Finden von Maß und Mitte für diese Eine unsere Welt. Bewusster und bejahter Verzicht könne einen Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Menschen, die nur nach materiellem Reichtum strebten, hätten weniger Aussicht auf Lebenszufriedenheit als jene, die sich persönliche Ziele jenseits des bloßen Konsums steckten und soziale Beziehungen pflegten. Köhler: „Erst wenn man auch imstande ist, weniger zu wollen, kann man Herr über die eigenen Bedürfnisse bleiben.“ Die Menschen müssten dazu bereit sein, nach dem Grundsatz zu handeln, dass jede Generation die Erde in einem besseren Zustand hinterlassen müsse als sie sie vorgefunden habe; sie müssten bereit sein, dafür zu sorgen, dass ihr Lebensstil nicht das Leben anderer gefährde, zitierte das Staatsoberhaupt den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus.

Für die Idee der Nachhaltigkeit stünden auch die Träger des Deutschen Umweltpreises 2008, des „wichtigsten Umweltpreises in Europa“, wie Köhler eine überregionale deutsche Tageszeitung zitierte. Sie gäben in Theorie und Praxis Antworten auf die Frage, wie man den kommenden Generationen ihre natürlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen sichern helfe. Von Weizsäcker und Zinke zeigten, dass die Vision, Energieverbrauch und Ressourcennutzung deutlich zu verringern, keine Utopie bleiben müsse. Köhler: „Der einzig wahre Realist ist der Visionär.“

Prof. Dr. Klaus Töpfer – Mitglied der Jury, selbst Umweltpreisträger und ehemaliger Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen – betonte in seiner per Videobotschaft eingespielten Laudatio, von Weizsäcker habe wohl als Erster darauf aufmerksam gemacht, wie sehr wir unseren Wohlstand subventionierten, indem wir die Natur verbrauchten und ausbeuteten. Er habe sich nicht gescheut, politische Verantwortung zu übernehmen und an den wichtigsten Stellen in der Welt für einen wirkungsvolleren Umgang mit unseren natürlichen Rohstoffen zu kämpfen.

Zu Zinke führte ebenfalls in einer Videobotschaft Dr. Wolfgang Plischke – Mitglied der Jury und Vorstand der Bayer AG – aus, er habe wesentliche Impulse für die weiße Biotechnologie am Standort Deutschland gegeben. Mithilfe des „Werkzeugkasten der Natur“ habe er völlig neue biologische Wirkstoffe identifiziert, mit denen sich herkömmliche chemische Industrieprozesse durch umweltfreundlichere biologische Verfahren ersetzen ließen. Das spare Energie und Materialien, schone fossile Ressourcen und mache uns zukünftig unabhängiger von Rohstoffen, die nur begrenzt zur Verfügung stünden. Zinke und seinem Team sei es gelungen, ein deutsches mittelständisches Unternehmen zum Schrittmacher für die Entwicklung einer gesamten Branche zu machen.

Von Weizsäcker betonte im Gespräch mit Moderator Stefan Schulze-Hausmann, dass er sich von allen beruflichen Stationen am Wuppertal-Institut wohl am Wohlsten gefühlt habe und dort mit seinen 150 Mitarbeiten Vieles gestaltet habe. Mit Blick auf die Gegenwart unterstrich er die Bedeutung einer ökologischen Steuerreform, die die menschenfreundlichste, sozial- und wirtschaftsverträglichste sowie effektivste Form einer Steuerung sei. Diese Gedanken müssten auch in die asiatischen Wachstumsräume transportiert werden, weil „dort die Musik spielt“. Und natürlich müssten auch Fragen der Energie- und Ressourcenproduktivität mit Nachdruck verfolgt werden.

Zinke – mit 45 Jahren jüngster Umweltpreisträger – wies in seinen Dankesworten darauf hin, dass er bei dieser Auszeichnung symbolisch für das Unternehmen und alle 72 Mitarbeiter stehe. Gemeinsam mit ihnen sei er sehr froh und auch stolz, dass die langjährige Arbeit als „biologisches Gewissen der Industrie“ ihre Würdigung in einem so renommierten Preis gefunden habe. Gleichzeitig verstehe sein Unternehmen diese Auszeichnung als Bestätigung seines Beitrags an dem industriellen Transformationsprozess und Motivationsschub für weitere Produkt- und Prozessentwicklungen für ein nachhaltiges Wirtschaften.

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Franz-Georg Elpers idw

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