Drei millionenschwere ERC-Grants für LMU-Wissenschaftler

ERC Advanced Grants sind mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotierte Auszeichnungen für europäische Forscher, die bereits herausragende Leistungen erbracht haben und für neue hoch innovative Forschungsvorhaben die nötigen Freiheiten erhalten sollen.

Das Projekt von Peter Becker
In der Natur sind bei vielen Lebewesen die Geschlechtschromosomen ungleich verteilt. So auch bei der Taufliege Drosophila: Die Weibchen verfügen über zwei X-Chromosomen, während die Männchen mit einem einzigen X-Chromosom auskommen müssen. Auf dem X-Chromosom liegen allerdings zahlreiche Gene, in denen die Baupläne für Proteine festgelegt sind. Damit Männchen diese Proteine trotzdem in derselben Menge zur Verfügung haben wie Weibchen, müssen sie diesen Mangel mit einem Trick ausgleichen: Dank der so genannten Dosis-Kompensation werden alle Gene auf dem X-Chromosom doppelt aktiviert. Peter Becker untersucht mit seinem Team, welche Schritte ablaufen müssen, damit dieser für die Männchen lebenswichtige Prozess funktioniert. Insbesondere interessieren sich die Wissenschaftler für den sogenannten „dosage compensation complex“ (DCC): Dieser Komplex besteht aus Proteinen und zwei nicht-kodierenden RNAs und ist an der Steuerung der Genaktivität entscheidend beteiligt. Becker will untersuchen, wie der DCC-Komplex gebildet wird, auf welche Weise er das X-Chromosom von anderen Chromosomen unterscheidet, und wie er schließlich an verschiedene Elemente auf dem X-Chromosom bindet. Eine Hauptrolle scheinen dabei die beiden RNAs zu spielen: „Deshalb werden wir unter anderem ihre Struktur näher untersuchen und ihre Bindungsstellen an die Protein-Untereinheiten identifizieren“, sagt Becker. „Wir nehmen an, dass die RNAs den Zusammenbau des Komplexes koordinieren und ihn anschließend präzise an seinen jeweiligen Einsatzort lotsen, also für die Feinsteuerung des DCC verantwortlich sind“. Diese Hypothese werden die Wissenschaftler nun prüfen, um den faszinierenden Prozess der Dosis-Kompensation besser zu verstehen – und so auch generell Einblick in die Regulation der Genaktivität zu erhalten.

Professor Peter Becker wurde 1958 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Biologie an der Universität Heidelberg und promovierte 1987 am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo er bis 1988 wissenschaftlicher Mitarbeiter war. Nach Stationen am Laboratory of Biochemistry am National Cancer Institute (USA) und am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg leitet Becker seit 1999 den Lehrstuhl für Molekularbiologie am Adolf-Butenandt-Institut der Medizinischen Fakultät der LMU. Zudem gehört er dem Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM) an. Becker wurde 2005 mit dem Gottfried Willhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgezeichnet.

Das Projekt von Roland Beckmann
Ribosomen sind die Proteinfabriken der Zelle. Wie am Fließband werden in diesen großen Molekülkomplexen Tausende von Bausteinen zu Proteinen zusammengesetzt. Beckmanns Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Aufklärung von Struktur und Funktion dieser komplexen Zellmaschinerie. Hierfür machen die Wissenschaftler die fragile Architektur der Ribosomen mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar und untersuchen Strukturänderungen in verschiedenen Stadien der Proteinproduktion. Das vom ERC geförderte Projekt beinhaltet sowohl technische als auch biologische Aspekte: Beckmanns Team will zunächst eine neue Technologie entwickeln, die es erlaubt, biologische Strukturen viel feiner aufgelöst als bislang zu erkennen. Auch für die biologischen Fragestellungen ist die höchstmögliche Auflösung gefordert: Beckmann will zum einen untersuchen, nach welchen Mechanismen Membranproteine schon während ihrer Produktion in die Membran eingebaut werden. Dazu nutzt er kleine Membranfragmente mit Transportkanälen, die an aktive Ribosomen gebunden sind, sodass er die Integration des Proteins direkt beobachten kann. Außerdem interessiert den Biochemiker, wie die Zelle die Bestandteile der Ribosomen nach getaner Arbeit recycelt, damit diese für eine neue Syntheserunde zur Verfügung stehen. „Erst seit kurzem weiß man, dass in eukaryotischen Zellen das Enzym ABCE1 diesen Vorgang maßgeblich beeinflusst“, sagt Beckmann. Nun wollen die Wissenschaftler entsprechende Recycling Intermediate mit an Ribosomen gebundener ABCE1 visualisieren, um zu verstehen, wie dieser essentielle Schritt der Proteinsynthese abläuft.

Professor Roland Beckmann studierte Biochemie an der FU Berlin, wo er 1995 auch promovierte. Anschließend forschte Beckmann an der Rockefeller University in New York (USA), bevor er 2001 die Leitung einer Forschungsgruppe der Volkswagenstiftung an der Charité der Humboldt-Universität in Berlin übernahm. 2006 nahm Beckmann einen Ruf an einen Lehrstuhl für Biochemie an der LMU an. Beckmann ist Mitglied des Exzellenzclusters „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM).

Das Projekt von Hermann Gaub
Biokraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen können eine klimaverträgliche Alternative zu fossilen Brennstoffen darstellen und werden in der Zukunft als Energiequelle immer wichtiger werden. Organische Abfälle oder Holz als Grundstoff für die Energiegewinnung haben den Vorteil, dass ihr Anbau nicht unmittelbar mit der Nahrungsmittelproduktion konkurriert. Allerdings enthalten sie viel sogenannte Lignocellulose, die enzymatisch nur schwer aufgespalten und abgebaut werden kann. Daher ist das entscheidende Problem die Umwandlung der Lignocellulose in Polysaccharide, die für die Kraftstoffproduktion nutzbar sind. Bisher können nur bestimmte Bakterien und einige Pilze Lignocellulose unter Umweltbedingungen abbauen, unter Industriebedingungen erfordert dieser Prozess aufwendige und für die Umwelt bedenkliche Produktionsschritte. Der Biophysiker Hermann Gaub plant nun, in seinem Projekt maßgeschneiderte Enzyme zu designen, die Lignocellulose effektiv abbauen können. Mit einem Rasterkraftmikroskop kann Gaub Moleküle aufnehmen und nanometergenau an einer bestimmten Stelle wieder absetzen. Diese Technik will er mit seinem Team nutzen, um Lignocellulose-abbauende Enzyme verschiedener Spezies auf einem Chip als Montagefläche zu platzieren und mit Nanokatalysatoren zu kombinieren – im Ergebnis erhalten die Wissenschaftler künstliche Molekülkomplexe, deren Effektivität sie mithilfe von Fluoreszenzmessungen überprüfen können. „Der Chip ermöglicht biologische Prozesse, die sonst nur in lebenden Zellen ablaufen können“, sagt Gaub. Ziel der Wissenschaftler ist es letztlich, die effektivste Kombination aus Enzymen und Nanokatalysatoren zu finden, die sich für den industriellen Einsatz eignen könnte.

Professor Hermann Gaub studierte Physik an der Universität Ulm und der TU München, wo er 1984 promovierte. Anschließend war er an der Stanford University (USA) und an der University of California in Santa Barbara tätig. 1992 übernahm Gaub eine Professorenstelle an der TU München. Seit 1995 hat er einen Lehrstuhl für Angewandte Physik an der LMU inne, wo er auch zu den Mitbegründern des Center for NanoScience gehört. Zudem gehört Gaub dem Exzellenzcluster „Center for Integrated Protein Science Munich“ (CIPSM) an und ist Principal Investigator im Exzellenzcluster „Nanosystems Initiative München“ (NIM).

Der ERC Advanced Investigator Grant
Der ERC fördert mit dem Advanced Investigator Grant hochinnovative Forschung, die erheblich über den bisherigen Forschungsstand hinausgeht und neue Forschungsgebiete erschließt. Alleinige Auswahlkriterien in der Begutachtung sind einerseits die erwiesene herausragende wissenschaftliche Exzellenz der Antragsteller sowie die Originalität und Stimmigkeit der Projektvorschläge.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Peter Becker
Adolf Butenandt Institut
Tel.: 089 / 2180 – 75427
Fax: 089 / 2180 – 75425
E-Mail: pbecker@med.uni-muenchen.de
http://www.molekularbiologie.abi.med.uni-muenchen.de/ueber_uns/becker/index.html
Prof. Dr. Roland Beckmann
Genzentrum und Department für Biochemie
Tel.: 089/2180 – 76900
E-Mail: beckmann@lmb.uni-muenchen.de
http://www.lmb.uni-muenchen.de/beckmann/
Prof. Dr. Hermann Gaub
Department für Physik und Center for NanoScience (CeNS)
Tel.: 089 / 2180 – 3172
E-Mail: gaub@physik.uni-muenchen.de
http://www.biophysik.physik.uni-muenchen.de/

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Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenchen.de

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