Tiefe Hirnstimulation hilft bei seltener Krankheit

Prämiert wurde das Forschungsprojekt von Dr. Timmermann zu einer seltenen Bewegungsstörung, die heute als „Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation“ (NBIA, früher Hallervorden-Spatz-Syndrom) bezeichnet wird. Als Leiter der Arbeitsgruppe „Tiefe Hirnstimulation und Bewegungsstörungen“ beschäftigt sich Dr. Timmermann seit Jahren intensiv mit neurologischen Bewegungsstörungen (z.B. Morbus Parkinson) und deren Therapie durch die Tiefe Hirnstimulation.

Die Klüh-Stiftung zur Förderung der Innovation in Wissenschaft und Forschung verleiht den mit 25.000 EUR dotierten Forschungspreis auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen jährlich. Dr. Timmermann, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Uniklinik Köln (Direktor Univ.-Prof. Dr. G. R. Fink) und seine Arbeit wurde unter 50 Bewerbern ausgewählt.

NBIA betrifft meist Kinder und Jugendliche, selten auch Erwachsene, und geht neben einer Störung von Konzentration und Gedächtnis, vor allem mit schweren, willkürlich nicht beeinflussbaren Muskelverspannungen („Dystonie“) einher. Fallberichte hatten in den letzten Jahren den Hinweis gegeben, dass die Tiefe Hirnstimulation zu dramatischen Verbesserungen der klinischen Situation der Patienten führen kann.

Die Tiefe Hirnstimulation ist ein Verfahren, bei dem Elektroden in überaktive Hirnareale platziert werden und durch gezielte Elektrostimulation die krankhafte Nervenzell-Überaktivität und damit der klinische Zustand der Patienten normalisiert werden kann.

Die Datenlage bei Kindern und Jugendlichen mit NBIA für diese Hirnoperation war bislang jedoch ungenügend, so dass die Entscheidung Eltern und Ärzte vor ein sehr großes Problem stellte: welche Patienten sollten zu welchem Zeitpunkt besser operiert werden und welche Patienten eher nicht?

Initiiert von Dr. Lars Timmermann konnte nun eine internationale rückblickende Erhebung in über 15 Ländern in mehr als 20 führenden Implantationszentren diese Lücke schließen. Mit diesen Daten wird in Zukunft die Entscheidung für Eltern und Ärzte für oder gegen eine Operation erleichtert werden. Die bisherige Forschungsförderung des Projektes erfolgte durch die Patienten-Selbsthilfeorganisation Hoffnungsbaum e.V., die NBIA Patienten in Deutschland vertritt.

Um auch in Zukunft Patienten nach einem standardisierten und wohlüberlegtem Schema zu behandeln und die Datenlange langfristig bei internationalen Therapiestandards abzusichern, ähnlich wie bei Kindern mit Blutkrebs, hat die Gruppe von Dr. Timmermann eine prospektive*, internationale Studie aufgelegt, die nun von der Klüh-Stiftung ausgezeichnet wurde und mit dem Förderpreis unterstützt wird. Priv.-Doz. Dr. Timmermann erhält verbunden mit dem Klüh-Forschungspreis 25.000 EUR Forschungsmittel, mit denen dem Kölner Team der Start dieser internationalen Studie ermöglicht wird. Die Klüh-Stiftung zur Förderung der Innovation in Wissenschaft und Forschung fördert seit vielen Jahren gezielt innovative Forschungsprojekte im Bereich der seltenen Erkrankungen, die in den großen Forschungsförderungsinstitutionen meist nicht berücksichtigt werden.

Hintergrund zu NBIA:
NBIA ist eine bislang unheilbare neurologische Erkrankung. Kennzeichnend für alle Formen von NBIA – und spätestens durch eine pathologische Untersuchung feststellbar – ist eine abnorme Eisenspeicherung im Globus pallidus und in der Substantia nigra. Das sind Teile tief im Innern des Gehirns, die zu den Basalganglien (Stammganglien) gehören. Die Basalganglien steuern Bewegungen und Muskelspannung (= Muskeltonus). Salopp formuliert könnte man sagen: sie setzen bei NBIA Rost an. Im Zusammenhang mit den giftigen Eisenablagerungen bilden sich so genannte freie Radikale, die zur fortschreitenden Degeneration des Nervensystems führen. Deshalb gehört NBIA in die Gruppe der neurodegenerativen Krankheiten. Da der Gehirnbereich zerstört wird, der die Bewegungen steuert, gehören zu den Charakteristika des klinischen Verlaufs vor allem Bewegungsstörungen. Es wird geschätzt, dass es pro 1 Million Menschen ca. 1-3 NBIA/HSS – Betroffene gibt. Niemand kennt genaue Zahlen. Möglicherweise sind zur Zeit einige hundert Menschen weltweit daran erkrankt. Auf jeden Fall ist NBIA eine der seltensten Krankheiten überhaupt und gehört damit zu den so genannten „orphan diseases“. Das bedeutet „verwaiste Krankheiten“. Der Name sagt alles. Denn die Menschen, die an solchen Krankheiten leiden, sind die Waisenkinder der Medizinversorgung.

Eine sichere Diagnose kann beim lebenden Patienten überhaupt erst seit ca. 15-20 Jahren mit Hilfe der Kernspintomografie gestellt werden, neuerdings für einen Großteil der Erkrankungsfälle auch molekulargenetisch. Da derart seltene Erkrankungen wie NBIA/HSS aber manchmal bis heute erst im späteren Stadium, möglicherweise auch gar nicht oder fehlerhaft diagnostiziert werden, ist schwer zu beurteilen, ob die Schätzungen über die Häufigkeit von NBIA wirklich stimmen.

Eine Dunkelziffer ist anzunehmen, auch für Deutschland. Hier gehen vage Schätzungen mittlerweile von bis zu 20 diagnostizierten Patienten aus. NBIA/HSS gibt es in allen Teilen der Welt, beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen.

(www.hoffnungsbaum.de)

*Eine prospektive Studie (lat. prospecto: ausschauen) ist die Überprüfung der Hypothese der medizinischen Wirksamkeit einer Behandlungsmethode unter vorheriger Festlegung, welche Hypothese geprüft werden soll

Ansprechpartner:
PD Dr. Lars Timmermann,
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Uniklinik Köln
Tel: 478-7231/7494
Email: lars.Timmermann@uk-koeln.de
Sina Vogt
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Uniklinik Köln
Tel.: 0221 478 5548
Email: pressestelle@uk-koeln.de

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Sina Vogt idw

Weitere Informationen:

http://www.medizin.uni-koeln.de/

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