Technologieplattform mit Potenzial

Die molekularbiologische Forschung der vergangenen zwei Jahrzehnte hat zur Aufklärung der Struktur und Funktion der Genome von Tieren, Pflanzen und des Menschen geführt und dabei die Bedeutung molekularer biologischer Prozesse aufgezeigt. Der nächste Schritt in der Forschung wird sein, die so erfassten Bausteine des Lebens in ihrer räumlich, dynamischen Interaktion zu verstehen.

Hierfür werden neue, bislang in der Biologie/Medizin selten angewandte Techniken benötigt, wie beispielsweise spezielle, hochauflösende Mikroskopieverfahren mit hohem Durchsatz zur quantitativen Beobachtung von molekularen Prozessen in lebenden Zellen und der damit verbundene Einsatz von neuen Methoden zur Bearbeitung und Speicherung extrem großer Datenmengen, welche der Kapazität von etwa 50000 Heim-Computern entsprechen.

Eine Aufgabe, der sich die Systembiologie verschrieben hat. In dieser noch jungen Disziplin arbeiten Biologen und Mediziner zusammen mit Mathematikern, Informatikern, Chemikern, Physikern und Ingenieuren, um mit Hilfe von Experimenten und Computer-Modellen die molekularbiologischen Vorgänge in den Zellen zu erfassen. Diese Art der Forschung unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter anderem mit dem Programm FORSYS (Forschungseinheiten der Systembiologie), bei dem in den kommenden fünf Jahren 45 Millionen Euro für ausgewählte Standorte bereit stehen. Aus 18 Bewerbern wählte das BMBF dieser Tage vier interdisziplinäre Forschungseinheiten aus, welche in besonderer Weise den Erfordernissen für die Systembiologie entsprechen. Darunter das Projekt VIROQUANT der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg, das mit etwa elf Millionen Euro gefördert wird.

„Für die Ruperto Carola sind die vom BMBF bereitgestellten Mittel ein großer Gewinn, sowohl finanziell als auch ideell“, betont Professor Jochen Tröger, Prorektor für Forschung und Medizin an der Heidelberger Universität, hoch erfreut nach der Bekanntgabe der vier ausgewählten Standorte. Schließlich bilden die Lebenswissenschaften in Heidelberg einen ganz besonderen Schwerpunkt, der nicht nur durch verschiedenste universitäre Institute, wie etwa das Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg (ZMBH) und zwei medizinische Fakultäten repräsentiert wird. Hinzu kommen mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dem European Molecular Biology Laboratory (EMBL), der EML Research GmbH und dem Max-Planck-Institut für medizinische Forschung weitere, renommierte, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die eng mit den Wissenschaftlern der Ruprecht-Karls-Universität zusammenarbeiten. Doch auch bei der Fokussierung auf die Lebenswissenschaften hat die Volluniversität weiterhin eine große Bedeutung. „Ohne Fächer wie Ethik, Philosophie oder Geschichte ist eine verantwortungsbewusste Forschung im Bereich der Lebenswissenschaften nicht möglich“, hebt der Mediziner Jochen Tröger hervor.

Neben der breit aufgestellten Forschungslandschaft bringt die Universität Heidelberg noch eine weitere wichtige Voraussetzung für die Systembiologie mit, die eine Bedingung der FORSYS-Ausschreibung, nämlich interdisziplinäre Forschung „unter einem Dach“, wortwörtlich umsetzt. In dem aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg errichteten BIOQUANT-Gebäude stehen den Wissenschaftlern der verschiedenen Forschungsrichtungen für ihre gemeinsame Forschung modernste Arbeitsplätze zur Verfügung. „Das BIOQUANT-Gebäude ist so geplant, dass die Forscher immer wieder untereinander ins Gespräch kommen und sich so die unterschiedlichen Disziplinen austauschen und gegenseitig befruchten“, erläutert Professor Jürgen Wolfrum, Gründungsdirektor von BIOQUANT, einen Vorzug der neuen Forschungseinrichtung.

Das Projekt VIROQUANT wird das neue Gebäude spätestens mit Beginn des kommenden Jahres mit Leben erfüllen. „Bei VIROQUANT geht es um die Interaktionen zwischen Viren und Wirtszellen“, erklärt Professor Ralf Bartenschlager, einer der VIROQUANT-Projektleiter. Als Untersuchungsobjekte dienen primär HIV, Hepatitis-Viren und die Papilloma-Viren, die im Zusammenhang mit bestimmten Tumorerkrankungen stehen. Dabei sind die Dynamik der Infektion und die Vermehrung der Viren in den Zellen ebenso von Interesse wie die Frage der Nutzung zellulärer Ressourcen durch diese Viren. Dafür müssen die etwa 20000 zellulären Gene einzeln mit einer bestimmten Methode ausgeschaltet werden, um herauszufinden, welche dieser Gene bei einer Virusinfektion von dem Eindringling benutzt werden. „Bisher dauert ein solches Zell-Screening etwa vier bis sechs Monate“, zeigt Ralf Bartenschlager die zeitliche Dimension derartiger Arbeiten auf. In Zukunft soll das Zell-Screening aber schon nach zwei bis drei Wochen abgeschlossen sein. Dafür wird es notwendig, neue Analyseverfahren zu entwickeln. „Dabei ist etwa an den Einsatz von Detektortechniken aus der Hochenergiephysik gedacht“, gibt Jürgen Wolfrum ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung verschiedener Disziplinen. Denn durch derartige Detektoren ist es etwa in Teilchenbeschleunigern bereits heute möglich, extrem kurzlebige Teilchen in Bruchteilen von Sekunden aufzuspüren. Die dabei anfallenden riesigen Datenmengen müssen natürlich verarbeitet werden, und hier sind die Informatiker gefragt.

„VIROQUANT verzahnt aber auch theoretische und experimentelle Forschung miteinander“, erklärt Professor Roland Eils, der zusammen mit Jürgen Wolfrum VIROQUANT koordiniert und als Abteilungsleiter am DKFZ und gleichzeitig Professor am Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie universitäre und außeruniversitäre Forschung in persona vereint. Dabei werden von der theoretischen Seite mathematische Modelle für die Zell-Virus-Interaktionen zur Verfügung gestellt, die in Experimenten überprüft werden. Die Ergebnisse der Versuche werden anschließend in die Modelle eingehen und diese verfeinern.

Eine weitere, wesentliche Voraussetzung für VIROQUANT ist der Einsatz modernster Mikroskoptechnik. Nachdem über viele Jahrzehnte hinweg das Auflösungsvermögen der Lichtmikroskope bei etwa 200 Nanometern (200 Milliardstel Meter) eingefroren war, ist es vor einigen Jahren gelungen, mit Hilfe von Lasern und einer ausgeklügelten Technik die Grenze bis auf 15 Nanometer abzusenken. Damit ist man nun in den Bereich vorgedrungen, der es ermöglicht, molekulare Vorgänge in lebenden Zellen zu beobachten. Auch hier hat das Heidelberger BIOQUANT-Gebäude einen großen Standortvorteil, liegt doch mit dem Kirchhoff-Institut für Physik eine der „Brutstätten“ modernster Lichtmikroskope nur einen Steinwurf weit entfernt.

„Insgesamt wird sich aus VIROQUANT eine Technologieplattform mit Potenzial für viele Bereiche, nicht nur die Virologie entwickeln“, so Ralf Bartenschlager. Denn die hier gewonnenen Erkenntnisse werden in Zukunft in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt werden können, angefangen von der Biotechnologie über die Medizin bis hin zu Landwirtschaft und Ernährung.

Stefan Zeeh

Rückfragen bitte an:
Professor Jürgen Wolfrum
Gründungsdirektor BIOQUANT
Physikalisch-Chemisches Institut der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 253
D-69120 Heidelberg
Tel. 06221 548462
wolfrum@urz.uni-heidelberg.de
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