Den "Stierkampf" gewinnen

Man blickt direkt in eine Toilettenschüssel. Darin: erbrochene Speisereste. Das drastische Bild auf dem großformatigen Poster bringt die 13- und 14-jährigen Mädchen zum Nachdenken. Wie fühlt man sich, so vor der Toilette hockend? Die Schülerinnen einer siebten Klasse des Berg-Gymnasiums in Apolda arbeiten im Projektunterricht zum Thema „Ess-Störungen“. Das Poster, das sie dabei betrachten, ist Bestandteil des Programms „Torera“.

Mit diesem Programm sollen Mädchen vor Ess-Störungen wie Bulimie bewahrt werden. „Nach neuesten Studien zeigen heute bereits mehr als ein Viertel aller Mädchen und jungen Frauen ein problematisches Essverhalten“, weiß Dr. Uwe Berger vom Institut für Psychosoziale Medizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zwar sei das in den meisten Fällen klinisch noch nicht auffällig. „Doch bei etwa fünf Prozent kommt es in der Folge zu krankhaften Störungen“, so der Initiator von „Torera“ weiter. Bulimie gehört neben Magersucht zu den häufigsten Ess-Störungen. Der „Stierhunger“, so die wörtliche Bedeutung von Bulimie (bulimia nervosa), ist aber nur ein Aspekt der Krankheit. Nach unkontrollierten „Fress-Attacken“ folgen meist absichtlich herbeigeführtes Erbrechen, der Missbrauch von Abführmitteln oder exzessiver Sport, um die überschüssigen Kalorien wieder loszuwerden.

„Aus diesem Teufelskreis kommen die Betroffenen von allein in der Regel nicht heraus“, so Berger. Deshalb setzen er und seine Kollegen darauf, durch Vorbeugung Ess-Störungen bei Jugendlichen gar nicht erst entstehen zu lassen. Nach dem 2004 gestarteten Programm „PriMa“ zur Vorbeugung von Magersucht, ist „Torera“ bereits das zweite derartige Präventionsprogramm an Thüringer Schulen. Derzeit beteiligen sich Schülerinnen von insgesamt 32 Schulen. „Sowohl 'Torera' als auch 'PriMa' richten sich vorrangig an Mädchen, da die etwa 10 Mal häufiger von Ess-Störungen betroffen sind als Jungen“, erklärt Projektleiter Berger.

Den Kern von „Torera“ bilden neun Unterrichtseinheiten, in denen sich die Schülerinnen typische Situationen und Stationen der Krankheit anhand der Poster, eines ausführlichen Unterrichtsmanuals sowie einem Schüler-Theaterstück erarbeiten. Zu den Inhalten gehören beispielsweise „Heißhungeranfälle“, „Die Gefahr von Diäten“ oder „Gesunde Bewegung“. Begleitet werden die Schülerinnen dabei von einer Comicfigur, die eine „Torera“ – eine Stierkämpferin darstellt. „Die 'Torera' symbolisiert eine kämpferische Haltung gegen krankmachende Ess-Gewohnheiten, die durch die Auseinandersetzung mit den Projektinhalten wachgerufen werden soll“, erklärt Berger.

Neben den eigentlichen Präventionsprogrammen haben die Jenaer Psychologen um Dr. Berger Anfang Juli ein wissenschaftliches Begleitprojekt gestartet, das die Wirksamkeit der Programme „PriMa“ und „Torera“ vertiefend evaluieren soll. Diese Studie wird in den kommenden drei Jahren durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Durch den Einsatz standardisierter Fragebögen und diagnostischer Interviews wollen die Psychologen herausfinden, ob und wie sich das Wissen über Ess-Störungen und das Ess-Verhalten der teilnehmenden Mädchen durch das Präventionsprogramm auch längerfristig ändert. Auch die Einstellungen zum eigenen Körper und zu Schönheitsidealen werden erfasst. „Uns ist es wichtig, dass die Mädchen lernen, Kritik an ihrer Figur und ihrem Gewicht selbstbewusst zu begegnen. Sie selbst, aber auch die Eltern und Lehrer sollen krankhaftes Essverhalten möglichst frühzeitig erkennen und sich – falls nötig – gegenseitig im rechtzeitigen Aufsuchen professioneller Hilfe bestärken“, beschreibt Dr. Berger das Ziel der Intervention.

Der Ergebnisbericht zur erfolgreichen Pilotphase des „PriMa“-Projektes an 20 Thüringer Schulen kann bei Dr. Berger angefordert werden.

Kontakt:
Dr. Uwe Berger
Institut für Psychosoziale Medizin der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Steubenstr. 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 937790
Fax: 03641 / 937794
E-Mail: uwe.berger[at]med.uni-jena.de

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Dr. Ute Schönfelder idw

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