Dr. Leopold-Lucas-Preis 2004 an Sadik Al-Azm

Universität Tübingen zeichnet syrischen Philosophen aus

Am Dienstag, dem 18. Mai 2004, verleiht die Evangelisch-Theologische Fakultät im Namen der Eberhard Karls Universität Tübingen den mit 40.000 Euro dotierten Dr. Leopold-Lucas-Preis an den syrischen Philosophen Sadik-Al-Azm.

Die Fakultät zeichnet Sadik Al-Azm, wie es in der Verleihungsurkunde heißt, aus, „in Würdigung

– seines Werbens für die Orientierungskraft westlicher Philosophie in der arabischen Welt,
– seines Eintretens für die arabische Kultur und ihre Modernisierungsfähigkeit im Westen,
– seiner furchtlosen Kritik an jedem realitätsverleugnenden Fundamentalismus und
– seiner Beiträgee zum Friedensprozess im nahen Osten.“

Der Festakt aus Anlass der Preisverleihung findet um 17.15 Uhr im Festsaal der Neuen Aula, Wilhelmstr. 7, statt. Die Laudatio auf den Preisträger hält der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Eilert Herms. Sadik Al-Azm hält anschließend den Festvortrag zum Thema: „Islam and secular Humanism“.

Der Dr. Leopold-Lucas-Preis würdigt alljährlich hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, der Geistesgeschichte, der Geschichtsforschung und der Philosophie. Er ehrt dabei insbesondere Persönlichkeiten, die zur Förderung der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern wesentlich beigetragen und sich durch Veröffentlichungen um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten namhafte Wissenschaftler wie Karl Rahner, Paul Ricoeur, Raimund Popper oder Michael Walzer, aber auch hervorragende politische Repräsentanten des Geistes und der Kultur wie Richard von Weizsäcker, Léopold Sédor Senghor, der frühere senegalesische Staatspräsident, oder Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama. Die Auszeichnung wurde 1972 von dem am 9. Juli 1998 verstorbenen Generalkonsul Franz D. Lucas, ehemals Ehrensenator der Eberhard Karls Universität, zum 100. Geburtstag seines in Theresienstadt umgekommenen Vaters, des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas, gestiftet.

Sadik Al-Azm ist Professor emeritus für Moderne Europäische Philosophie an der Universität Damaskus. Mit ihm wird ein Gelehrter geehrt, der wie kein zweiter gründlich vertraut ist sowohl mit der arabischen Tradition als auch mit den Traditionen des westlichen Denkens.

Über seinen Lehrstuhl in Damaskus hat er das Denken der neuzeitlichen europäischen Philosophie, insbesondere das Werk Immanuel Kants, in den arabischen Raum vermittelt. Durch Gastprofessuren an amerikanischen, deutschen, belgischen, niederländischen und japanischen Universitäten versuchte er gleichzeitig, westlichen Fehlvorstellungen über die arabische Welt entgegen zu treten. Besondere Authentizität hat diese Vermittlungstätigkeit dadurch gewonnen, dass Al-Azm seinen Lebensmittelpunkt in der arabischen Welt, nämlich in Damaskus beibehalten hat. Dort nimmt er als Beobachter und Kommentator engagiert an den inneren Spannungen und Chancen des Lebens in arabischen Ländern teil. Nach wie vor setzt er sich für die Ausschöpfung der Möglichkeiten einer friedlichen Verständigung zwischen den arabischen Ländern und Israel ein. Dieses Ausharren in der arabischen Welt unterstreicht seine Überzeugung, dass nur eine Auseinandersetzung mit dem westlichen Denken von innen heraus, aus der Mitte der arabischen Tradition, zu einer neuen Fruchtbarkeit dieser Tradition führen kann.

Sadik Al-Azm wurde 1934 in Damaskus geboren. Er studierte an der American University of Beirut im Libanon und führte sein Graduiertenstudium bis zum Ph. D. an der Yale University durch. Danach lehrte er an den Universitäten von Damaskus, Beirut und Jordanien, bevor er 1977 Professor für Moderne Europäische Philosophie an der Universität Damaskus wurde. Hier wirkte er bis zu seiner Emeritierung 1999. Von 1988 bis 1992 war er Gastprofessor an der Princeton University, 1990/91 am Wissenschaftskolleg in Berlin. Gastprofessuren führten ihn immer wieder auch nach Deutschland, so nach Oldenburg, an die Humboldt-Universität und nach Hamburg.

Dr. Leopold Lucas wurde am 18. September 1872 in Marburg geboren. Er entstammte einer seit Anfang des 17. Jahrhunderts in Marburg ansässigen jüdischen Familie. Lucas studierte in Berlin Geschichte und jüdische Wissenschaft sowie Philosophie und orientalische Sprachen. 1895 wurde er in Tübingen mit einer Dissertation über die „Geschichte der Stadt Tyrus zur Zeit der Kreuzzüge“ zum Doktor der Philosophie promoviert. Im Jahre 1899 wurde er als Rabbiner nach Glogau berufen. Er diente dieser traditionsreichen jüdischen Gemeinde vier Jahrzehnte lang als Lehrer, Prediger und Seelsorger. Unermüdlich war Leopold Lucas während seines ganzen Lebens wissenschaftlich tätig. Sein besonderes Arbeitsgebiet war die Geschichte der Juden in den ersten christlichen Jahrhunderten. Lucas war 1902 Initiator der „Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums“, deren Leitung er sich mit Martin Philippson teilte. Im Jahr 1940 folgte Lucas einem Ruf an die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin – zu einer Zeit also, in der die Vernichtung der Juden in Deutschland beschlossene Sache war und begonnen hatte. Am 17. Dezember 1942 wurde Leopold Lucas zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert. Auch hier wirkte er noch als Seelsorger seiner Leidensgenossen. Er erlag am 13. September 1943 den Strapazen des Konzentrationslagers. Frau Dorothea Lucas wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt und umgebracht.

Für Nachfragen:

Prof. Dr. Eilert Herms
Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät
Liebermeisterstr. 12
72076 Tübingen
Tel.: 07071-2972538, Fax: -295415

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