Innovationspreis 2002 zur Förderung der Medizintechnik vergeben

200.000 Euro für Weiterentwicklung der Kunstblase.

Eine gemeinsam von der Fachhochschule München und der Universitätsklinik Lübeck entwickelte künstliche Blase erhielt am Mittwoch, dem 20. November, den Innovationspreis 2002 zur Förderung der Medizintechnik. Mit diesem System könnte Millionen von Menschen geholfen werden, denen zum Beispiel auf Grund eines Tumors die Blase entfernt werden musste. Leiter des Wissenschaftlerteams ist Professor Helmut Wassermann vom Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der FH München.

In einem Interview äußerte sich Professor Wassermann über die Funktionsweise der von der Fraunhofer Gesellschaft patentierten Kunstblase, die weiteren Entwicklungsschritte und einen sehr bedeutsamen Männer-Skiurlaub vor zehn Jahren.

FH: Was war das für ein Gefühl als Sie gehört haben, dass Sie der Preisträger sein werden?

Wassermann: Unheimliche Freude, auch Erleichterung, weil wir momentan in einer kleinen Durststrecke sind, was die Entwicklung anbelangt. Aber auch deswegen Erleichterung, weil ich von sehr vielen Betroffenen per Telefon oder per Brief Reaktionen erfahren habe, die mich persönlich zum Teil sehr erschüttert haben. Viele Menschen haben mir ausführlich ihre Leiden geschildert und mich gefragt, ob ich auch für Sie eine Lösung hätte. Insofern bin ich sehr erleichtert, da weitermachen zu können.

FH: Wie vielen Menschen würden denn von der künstlichen Blase profitieren?

Wassermann: In Deutschland alleine sind jährlich 18.000 Menschen von Blasentumoren betroffen, die Zahl ist steigend. Vielen dieser Patienten kann man helfen, ohne eine künstliche Blase einzusetzen. Gemeinsam mit der Fraunhofer Gesellschaft haben wir eine sehr konservative Schätzung durchgeführt, nach der wir von rund 3.500 Menschen in Deutschland ausgehen, die einen dringenden Bedarf an einer künstlichen Harnblase haben. Wahrscheinlich sind es aber noch viel mehr.

FH: Wie unterscheidet sich die Funktion der von Ihnen angestrebten künstlichen Harnblase von bisherigen „natürlichen“ Ersatzblasen?

Wassermann: Die beiden unterscheiden sich völlig. Ein natürliches System, das derzeit angewendet wird ist beispielsweise die Neoblase, die aus Darmsegmenten des Enddarmbereiches hergestellt wird. Daraus wird nach einem bestimmten Überlappungsverfahren ein Beutel genäht und die Ureteren eingebracht. Für die Fälle, bei denen es funktioniert, ist das ein hervorragendes System. Der Nachteil ist aber, dass man als Patient aktiv bleiben und diesen Beutel ausdrücken muss. Außerdem erfordert die Neoblase eine intensive medizinische Nachsorge, und ein weiterer großer Nachteil ist, dass dieses System bei vielen Patienten eben nicht funktioniert. Dann ist es natürlich , salopp gesagt, sehr schade um das Stück Darm, das man vorher rausgeschnitten hat. Schließlich ist die dann verbleibende Ersatzvariante nie ganz dicht, was zu einer sozial sehr kritischen Phase führt.

Unsere Blase dagegen kann ich als Betroffener durch eine äußere Steuerung aktiv werden lassen. Sie ist eigenständig tätig und meldet sich bezüglich des Füllungsgrades, so dass man nicht nach einem bestimmten Zyklus die Entleerung vornehmen muss wie bei der Neoblase oder anderen Systemen. Wird bei unserem System ein kritischer Füllungsgrad erreicht, ertönt ein Vibrationsalarm. Man kann auch jederzeit über ein transkutanes Signaltransfersystem den Zustand der Blase abfragen, das macht man durch Auflegen eines eigenständigen kleinen Gerätes auf den Bauch. Die künstliche Blase ist im Übrigen aus biokompatiblen Material, sie wird also nicht abgestoßen.

FH: Wie gut kennen Sie sich in der Medizin, in der Anatomie des Menschen aus? Sie sind ja eigentlich Professor im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik.

Ich bin kein Mediziner, das ist klar und ich habe auch nicht das Wissen eines Mediziners. Das muss man sich immer vor Augen halten. Inzwischen habe ich allerdings durch die vielen Unterredungen, Diskussionen und Gespräche sowie die Teilnahme an Operationen auf dem urologischen Sektor ein gewisses Wissen erreicht, das schon tiefer geht, als dies beim Normalbürger der Fall ist. Mein fehlendes Know-how ist in der Zusammenarbeit mit den Medizinern kein Problem. Wir wissen, wo unsere jeweiligen Grenzen sind und müssen uns nicht jedes Mal, wenn wir uns wieder sehen, dies gegenseitig bestätigen. Jeder klärt den anderen konstruktiv über den Sachverhalt im jeweils fremden Gebiet auf.

FH: Wer ist der, wer sind die Mediziner, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Wassermann: Das ist vor allem der Lehrstuhlinhaber der urologischen Universitätsklinik in Lübeck, Prof. Jocham und einige seiner Oberärzte wie Professor Böhle oder Dr. Büttner, die schon bei vielen Operationen dabei waren. Und früher war es Prof. Fornara, der inzwischen einen eigenen Lehrstuhl in Halle hat.

FH: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen und damit der FH München mit der Uniklinik Lübeck?

Wassermann: Das basiert auf einer persönlichen Freundschaft. Prof. Jocham und ich haben uns kennen gelernt, als unsere Frauen gemeinsam im Kreißsaal waren und auch das Zimmer geteilt haben. Unser Sohn und Jochams Tochter sind gleich alt.

FH: Und von wem stammt die Idee der künstlichen Blase, vom Mediziner oder vom Techniker?

Wassermann: Aus unserer Freundschaft hat sich ein Urlaubsritus eingestellt, beide Familien fahren immer gemeinsam in den Winterurlaub. Zusätzlich gehen Jocham und ich noch eine Woche auf Männer-Skiurlaub. Bei einer Schlechtwetter-Situation, es waren gerade auch keine Skihaserl da, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was wir gemeinsam wissenschaftlich machen könnten. Das war 1992 und so entstand das Projekt der künstlichen Blase. Wenig später habe ich bei einer Medizintechnikfirma in Lübeck ein Industriesemester eingelegt, was mir dann den richtigen Schub gegeben hat.

FH: Wie werden Sie nun das Preisgeld von 200.000 Euro einsetzen?

Wassermann: Das Geld wird sowohl für die technische als auch für die operative, medizinische Weiterentwicklung eingesetzt. Die Mediziner werden die Anschlussverfahren von natürlichen Ureteren an künstliche Ureteren ausprobieren, also die Schnittstellen erforschen. Wir selbst werden versuchen, die Aktoren noch kleiner zu machen, z.B. die Pumpen und Ventile. Das genaue Vorgehen wurde schon im Vorfeld des Wettbewerbs in der dazu notwendigen Skizze genau festgelegt.

FH: Wie wäre es ohne diesen Geldsegen weiter gegangen?

Wassermann: Die Fraunhofer Gesellschaft hat zunächst die weltweite Patentierung übernommen und die Finanzierung des Prototypen in Höhe von 15.000 Euro zugesichert. Mit diesem Prototypen wären wir natürlich weiter hausieren gegangen. Unabhängig davon sucht die Fraunhofer Gesellschaft aber bereist jetzt industrielle Partner für uns.

FH: Gibt es vergleichbare Projekte weltweit?

Wassermann: Momentan nicht. Es hat bisher zahlreiche Projekte gegeben, die alle fehl geschlagen sind. Zuletzt ist in Aachen die Patientin kurz nach der Implantation bedauerlicherweise gestorben. Es gab bestimmt schon 15 ernsthafte Versuche, so etwas zu machen, wir sind vielleicht der 16. und ziemlich weit.

FH: Warum sind Sie so weit?

Wir sind beide von der interdisziplinären Kooperation überzeugt, deren Vorteil wir beide voll ausschöpfen. Wir haben eine für alle Belange geltende 50/50-Regelung getroffen, d.h. wir teilen uns die Arbeit, die Kosten und den Erfolg. Bisher gab es mehr Arbeit im Ingenieurbereich, später ist mit den Tier- und klinischen Versuchen mehr Aufwand im Medizinischen vonnöten. Und wie vorhin bereits erwähnt, müssen wir nicht bei jeder Arbeitssitzung oder Operation Zeit verschwenden mit dem Abstecken von Claims, wie es die von altem Erbhofdenken Geprägten zu tun pflegen, sondern konzentrieren uns auf gemeinsam getragene Ergebnisse.

FH: Wann wollen Sie die erste klinisch einsetzbare Blase auf den Markt bringen?

Wassermann: Am liebsten schon 2004, obwohl der Mediziner sagt, dass das undenkbar sei, schon alleine wegen der vorzuschaltenden Tierversuche und klinischen Versuche. Insofern muss wohl eher 2005 anvisiert werden

FH: Wie sieht es mit den Forschungsbedingungen an der Fachhochschule München?

Wassermann: Die Forschungsbedingungen sind zunächst einmal schlecht, da wir keinen wissenschaftlichen Mittelbau haben. Ich fühle mich aber sehr stark dadurch unterstützt, dass mir die Hochschulleitung eine Doktorandenstelle finanziert hat – dem ging natürlich ein Wettbewerb mit anderen Kollegen voraus, den ich Gott sei Dank auch gewonnen habe. Ansonsten gibt es sehr viele Kräfte in der Hochschule, die mich unterstützen. Da muss ich vor allem den Dekan des Fachbereichs, Herrn Prof. Mader, lobend hervorheben.

Media Contact

Dr. Traute Schoellmann idw

Weitere Informationen:

http://www.fhm.edu

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