Mathematik statt Kristallkugel: Neues Verfahren soll berechnen, wie lange Motoren halten

Maschinen im Streik: Mit einem speziellen Modell berechnet ein Mathematiker an der Universität Hohenheim, wie lange Elektromotoren voraussichtlich ausfallfrei laufen. Das statistische Verfahren könnte die Anzahl der bisherigen, aufwändigen Tests reduzieren und damit generell die Herstellungskosten für jede Art von Maschinen senken – wodurch sie auch für Verbraucher günstiger würden.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt des Wissenschaftlers mit mehr als 230.000 Euro. Damit gehört es zu den Schwergewichten der Forschung an der Universität Hohenheim.

Es ist leider Alltag: Nach jahrelangem treuen Dienst springt das Auto plötzlich nicht mehr an, der einzige freie Fahrkartenautomat am Bahnhof ist defekt und der Kaffeeautomat streikt ebenfalls. „Jedes technische System fällt irgendwann einmal aus“, sagt Prof. Dr. Uwe Jensen vom Institut für Angewandte Mathematik und Statistik an der Universität Hohenheim, „und jeder einzelne von uns würde gerne wissen, wann das sein wird.“
Es gibt verschiedene statistische Modelle für die Wahrscheinlichkeitsverteilung der ausfallfreien Zeit einer Maschine. Das bekannteste ist das Cox-Modell, benannt nach seinem Schöpfer, dem britischen Mathematiker David R. Cox. „Damit berechnen Mediziner üblicherweise, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ihr Patient eine schwere Krankheit überlebt“, erklärt Prof. Dr. Jensen. „Das Modell lässt sich aber mit einigen Änderungen auf Maschinen übertragen.“ Vor der Mathematik sind alle gleich.

Elektromotoren im Test
Ärzte erfassen über Jahre die durchschnittliche Lebensdauer von Patienten mit derselben schweren Krankheit, um Neuerkrankten eine zuverlässige Prognose geben zu können. Ganz ähnlich arbeitet Prof. Dr. Jensens Projektpartner: Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Schinköthe vom Institut für Konstruktion und Fertigung in der Feinwerktechnik an der Universität Stuttgart. Seine Patienten sind kleine Elektromotoren, die Autotüren verriegeln, die Scheibenwischanlage antreiben, den Lüfter im Computer auf Touren bringen, oder in Haushaltsgeräten ihren Dienst tun.
Am Prüfstand in einem klimatisierten Raum lässt sie der Wissenschaftler mit verschieden starken Bremsen laufen und notiert, wann sie ausfallen. Außerdem erfasst er die individuellen Angaben zu jedem einzelnen Motor, die sogenannten Kovariablen: den Bautyp des Motors, die Drehzahl, die Belastung im Prüfstand oder die Stromspannung.

Tests lassen sich auf ein Minimum beschränken
Die Werte der Kovariablen setzt Prof. Dr. Jensen in das Cox-Modell ein. Dafür muss das Modell eigens umgeformt und erweitert werden: „Das Cox-Modell ist in manchen Fällen zu einfach für die komplexe Wirklichkeit“, sagt der Wissenschaftler.

Die aufgenommenen Lebensdauer-Daten dienen dazu, die Kenngrößen des Cox-Modells statistisch zu schätzen. Am Ende seiner Berechnungen hat Prof. Dr. Jensen ein ganzes Bündel von Verlaufskurven, an denen sich ablesen lässt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Motor eine bestimmte Zeit ausfallfrei läuft. Für jede Kombination von Werten der Kovariablen gibt es eine Verlaufskurve. „Das funktioniert auch für Werte von Kovariablen, die wir gar nicht erfasst haben“, erklärt der Experte. „Vieles lässt sich durch Auswerten der Verlaufskurven an Zwischenstellen heraus bekommen.“

Dieser Ansatz könnte in Zukunft viel Zeit und Geld sparen. Langwierige, aufwändige Tests mit hunderten von Maschinen ließen sich so auf ein Minimum reduzieren und die Menge der erhobenen Daten würde sprunghaft zurück gehen, weil nicht für jede Kombination von Werten der Kovariablen eine eigene Stichprobe erhoben werden muss. „Das wäre ein Segen für die Allgemeinheit“, freut sich Prof. Dr. Jensen, „weil die Herstellungskosten für Motoren und Maschinen sinken würden.“

Hintergrund: Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt heißt „Zuverlässigkeitsprognose mechatronischer Systeme mit Hilfe statistischer Modelle am Beispiel feinwerktechnischer Komponenten“. Die Motor-Tests sind im vergangenen Juli angelaufen, die statistische Auswertung ihrer Ergebnisse begann im September. Die Ergebnisse sollten in drei Jahren vorliegen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Forschungsprojekt mit insgesamt fast 509.000 Euro. Davon fließen knapp 231.000 Euro an die Universität Hohenheim.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
Rund 28 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim im vergangenen Jahr für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem Drittmittelvolumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimental- bzw. 125.000 Euro bei den Buchwissenschaften.

Text: Weik / Klebs

Media Contact

Florian Klebs idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-hohenheim.de

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