Die Zukunft von Öl und Gas: Warum wir auch in Zukunft Öl und Gas brauchen

Eines Tages könnten Öl- und Gasfelder vollautomatisch am Meeresgrund arbeiten. Unter anderem am Standort Trondheim in Norwegen arbeitet Siemens an entsprechenden Technologien

Binnen weniger Monate – von Ende 2014 bis Anfang 2015 – fielen die Ölpreise um rund 50 Prozent. Einerseits war mehr Öl auf den Markt gekommen, andererseits hatte die Nachfrage nachgelassen. Dies war nicht das erste Mal, dass der Ölpreis einbrach. Seit jeher schwankt er stark, doch in den vergangenen zehn Jahren hat die Volatilität weiter zugenommen, beobachtet Lisa Davis, Mitglied des Vorstands der Siemens AG und zuständig für den Energiebereich, insbesondere die Öl- und Gasgeschäfte.

Der niedrige Ölpreis ist Herausforderung und Chance für die Ölindustrie: Unternehmen, die heute gut aufgestellt sind, werden – sobald die Preise sich wieder erholt haben – ihre Position im Markt weiter stärken können. Zwar ist die technische Verfügbarkeit der Produktionsstätten in der Öl- und Gas-Industrie stets oberste Priorität, doch in mageren Zeiten rückt der Blick verstärkt auf die Produktionskosten. Sie lassen sich senken, indem Unternehmen neue Technologien einsetzen und Prozesse weiter verbessern.

Knifflige Aufgaben für Produktions-Ingenieure

Siemens kann dazu beitragen: Das Unternehmen kaufte von Rolls-Royce das Geschäft mit aeroderivativen Turbinen. Zudem plant Siemens die Übernahme von Dresser-Rand, wichtiger Zulieferer der Industrie. „Wir haben einiges anzubieten, vor allem in drei Bereichen: Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung“, sagt Lisa Davis. „In allen drei Feldern geht es um höhere Effizienz.“

Die Öl-Industrie muss die Produktionskosten aus akuter Notwendigkeit heraus senken, aber auch langfristig kommt sie nicht daran vorbei. Kostengünstiges, einfach zu förderndes Öl ist vielerorts ausgeschöpft: Öl aus Lagerstätten an Land, nahe an der Oberfläche, deren Druck hoch genug ist, sodass es anfangs von alleine aus dem Bohrloch sprudelt. Viele der schwieriger zu erschließenden Quellen fallen in die Kategorie „unkonventionelle Förderung“: Das Öl lagert in großer Tiefe, unter dem Meeresboden, oder ist in Ölsanden eingeschlossen. Eine deutlich kniffligere Aufgabe für die Produktions-Ingenieure.

Die Öl- und Gasförderung wird insgesamt schwieriger. Die gute Nachricht: Öl und Gas müssen deshalb nicht teurer werden, solange die Produktionsmethoden kontinuierlich verbessert werden. In der Vergangenheit haben technische Innovationen und effizientere Prozesse die Förderung unter immer herausfordernderen Bedingungen wirtschaftlich gemacht. Was heute „unkonventionelles Öl“ ist, könnte morgen als „konventionell“ gelten.

Einige Trends lassen sich bereits heute absehen:

  • So werden bestehende Ölfelder in Zukunft länger produzieren, indem der Druck durch das Einbringen von Wasser oder Gas – zum Beispiel CO2 – erhöht wird.
  • Fracking wird über die Grenzen der USA hinaus üblich werden.
  • Die Produktion von Schweröl aus Ölsanden wird umweltverträglicher und weniger energieintensiv.
  • Der weltweite Markt für Flüssiggas („liquefied natural gas“, LNG) wird weiterhin kräftig wachsen. Dadurch kann Gas, das heute abgefackelt und damit vergeudet wird, künftig genutzt und vermarktet werden.
  • Die Vision automatischer Ölfelder kann Wirklichkeit werden: Am Meeresgrund, mehrere tausend Meter unter der Wasseroberfläche, könnten sie jahrzehntelang wartungsfrei arbeiten.

Allerdings reifen auch die Alternativen zu Öl und Gas. Elektrische Fahrzeuge könnten sich künftig am Markt durchsetzen. Und erneuerbare Energien, wie die Windkraft, werden wirtschaftlicher und könnten fossile Energieträger teils verdrängen. British Petroleum rechnet vor, dass vier Fünftel des derzeitigen Anstiegs beim weltweiten Energieverbrauch auf Schwellen- und Entwicklungsländer zurückzuführen sind; doch selbst deren Energiehunger dürfte eines Tages zurückgehen.

Einerseits schrumpft die Verfügbarkeit von leicht zu förderndem Öl – andererseits gibt es interessante Alternativen zu Öl und Gas. Für Produzenten heißt das: Sie müssen mit den Kosten runter. Die Pioniere unter ihnen machen vor, wie das mittels Automatisierung und Datenanalytik geht. Vereinfacht gesagt: In Zukunft werden mehr Ventile von Maschinen geöffnet und geschlossen. Und auch die Entscheidung, wann ein Ventil geschlossen oder geöffnet werden muss, wird häufiger von Maschinen getroffen werden. Dass menschliche Arbeiter zu Bohrinseln fliegen, wird eines Tages womöglich die Ausnahme sein, nicht mehr die Regel.

Automatisierte Ausrüstung produziert laufend Daten – Messwerte, die sich sammeln und aggregieren lassen. Durch intelligente Auswertung kann aus den vielen Daten, aus Big Data, Smart Data werden. Smart Data hilft, Produktionsprozesse besser zu verstehen.

Entsprechende Visualisierungs-Software von Siemens macht es beispielsweise schon heute möglich, in das virtuelle 3D-Modell einer Bohrplattform einzutauchen. In intensiven Trainings können sich Techniker auf ihren Einsatz vorbereiten. Das spart bares Geld. So konnte etwa die Mannschaft einer afrikanischen Ölverarbeitungsanlage auf offener See virtuell Einsätze üben – während ihr künftiger Arbeitsplatz sich noch im Bau befand. Die Schulung an Bord ließ sich verkürzen, die Anlage nahm zwei Monate früher als geplant den Betrieb auf.

Einsparpotenziale lassen sich auch nutzen, indem mechanische Antriebe durch elektrische ersetzt werden. Heute werden noch viele Pumpen und andere Geräte direkt angetrieben, statt mittels Generatoren und elektrischen Motoren. Elektrische Antriebe sind aber meist effizienter – und können so helfen, Kosten zu senken. Dies ist ein gutes Einsatzgebiet für aeroderivative Turbinen.

5 Prozent Kapazität müssen jedes Jahr ersetzt werden

Ob der Ölpreis niedrig bleibt, womöglich auf Jahre hinaus, keiner weiß es. Doch eines hat die Geschichte der Industrie gezeigt: Während der Preis wilde Ausschläge zeigt, wächst der Verbrauch verblüffend stabil. Es gab Spitzen, zu denen ein Barrel Öl 140 US-Dollar kostete, und Talsohlen, da lag der Preis bei 20 Dollar. Doch der weltweite Verbrauch wuchs langfristig im Schnitt verlässlich um ein bis zwei Prozent pro Jahr. Zudem muss rund fünf Prozent der bestehenden Produktionskapazität jedes Jahr ersetzt werden, um die sinkende Ausbeute alternder Ölfelder auszugleichen. Dazu werden neue Felder erschlossen und der Ertrag alter Felder durch das Einbringen von Gas erhöht.

Automatisierung und Digitalisierung werden dazu beitragen, dass Öl und Gas auch in den nächsten Jahrzehnten wettbewerbsfähig bleiben. Ob man das gut findet oder nicht: Sehr wahrscheinlich wird die Menschheit weiterhin jedes Jahr ein wenig mehr Öl und Gas verbrauchen, als im Vorjahr. In absoluten Zahlen steigt der Bedarf an. Dennoch: Der Anteil von Öl und Gas am Gesamtenergieverbrauch könnte zurückgehen.

Bis es, eines Tages, wirtschaftlicher sein wird, das verbliebene Öl in der Erdkruste zu lassen, statt es zu fördern. Die nötigen Anpassungen auf dem langen Weg dahin bedeuten jedenfalls gute Geschäftsmöglichkeiten für all jene, die den Mut zur Innovation mitbringen; die es wagen, neue Methoden zur Gewinnung und Nutzung von Öl und Gas auszuprobieren.

„Wenn man sich die Zunahme des Verbrauchs vor Augen führt, wird schnell klar, dass Öl und Gas wenigstens für einige Jahrzehnte sehr wichtig bleiben werden“, sagt Lisa Davis. „Natürlich brauchen wir auch erneuerbare Energien. Zumindest heute brauchen wir einfach alles, was wir haben – einschließlich Öl und Gas.“

Andreas Kleinschmidt

www.siemens.com

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